Erstmals wird hier das Grin One Enduro-Bike in Serie getestet und wir können dem mit Spannung erwarteten Testbericht eines vorwegnehmen: Selten fuhren wir das allererste Serien-Bike einer kleinen, brandneuen Marke mit One-Man-Show und waren anschließend so überzeugt. Überzeugt, dass Grin mit ihrem Premieren-Bike einen Nerv getroffen und einen guten Job gemacht hat. Ein Lob der BIKE-Testredaktion klingt wie der Traum jedes Startup-Herstellers. In Wahrheit fängt die Erfolgsgeschichte aber schon früher an. Was als privates Projekt während des Corona-Lockdowns begann, sollte schon bald zu einem neuen Player auf dem Enduro-Markt heranwachsen. Der Duellgegner heißt Last Coal. Hier haben wir den Gegenspieler getestet.
Viele Mountainbike-Fans hegen den Traum, eines Tages ihr eigenes Bike zu entwickeln. Für Philipp Brunn wurde dieser Wunsch 2022 Wirklichkeit: Damals rollte der erste Prototyp des Grin One Enduro Bikes durch die Wälder – und markierte den Beginn eines spannenden Projekts. Zwar startete der gebürtige Odenwälder mit einem leeren Blatt Papier, ganz ohne Vorerfahrung war er jedoch nicht. Mit über 20 Jahren Berufspraxis in der Automobilindustrie brachte Brunn technisches Know-How und ein feines Gespür für Konstruktion mit. Als begeisterter Bike-Bergsteiger störte Grin-Chef Brunn die Entwicklung hin zu immer unhandlicheren und schwereren Enduro-Bikes – also entwickelte er kurzerhand sein eigenes, vollgefedertes Modell. Im März 2023 stand nach den Tests des ersten Prototyps das überarbeitete Konzept fest. Ende Juli desselben Jahres gingen dann mehrere Bikes der zweiten Entwicklungsstufe an eine Gruppe erfahrener Testfahrer. Der nächste Prototyp rollte Mitte 2024 auf die Trails und im Frühjahr 2025 startete endlich die Serienproduktion des Grin One.
Vor den Downhill stellte Gott einen Uphill - als Biker weiß das Grin-Mastermind Philipp Brunn ganz genau. Deshalb war ihm in der Entwicklung des One ein leichtes Gewicht trotz Alu-Rahmen wichtig. 3,35 Kilo gibt Grin für ein Chassis in Größe M an. Mit einer leichteren Ausstattung unterbietet das Testbike seinen Duellgegner von Last gar um 50 Gramm. Laut Brunn seien Komplettbike-Gewichte ab knapp über 14 Kilo möglich. Für extra steile Anstiege ist der Rahmen mit einem winzigen 26er-Kettenblatt kompatibel. Praktisch auf Tour: unter dem Oberrohr sitzt ein Tool-Mount, ins Rahmendreieck passt eine Trinkflasche. Mittels Flip-Chip lässt sich bei der Geometrie zwischen einer High- und einer Low-Einstellung wählen. In Rahmengröße L und XL passt auch ein 29er-Laufrad in den Hinterbau. Bei Größe M gelingt dies nur mit Einschränkungen bei der Reifenwahl. Durch unterschiedlich lange Dämpfer lassen sich wahlweise 150, 160 oder - wie in unserem Fall - 165 Millimeter Federweg realisieren.
Ein geschraubtes BSA-Tretlager sowie klassisch intern geführte Leitungen im Hauptrahmen sowie extern geleitete Kabel im Hinterbau verbessern die Wartungsfreundlichkeit des Grin One. Doppelte Lagerdichtungen und die volle Freigabe für Enduro, Downhill und Freeride wecken Vertrauen in die Haltbarkeit der Grin-Rahmen. Diese werden übrigens vollständig beim taiwanesischen Rahmenbauer Genio-Bikes hergestellt, bei dem unter anderem auch Raaw seine Rahmen produzieren lässt. Grin-Rahmensets können direkt über die Homepage geordert und selbst aufgebaut werden oder man wendet sich dazu an ein Netzwerk an Partner-Shops. Die erste Order-Serie umfasst 150 Rahmen und ist derzeit noch nicht ausverkauft. Komplettbikes bietet Grin aktuell nicht an.
Bei BIKE betreiben wir einen beispiellosen Aufwand, um Fahrräder zu testen. Als einziges Fachmagazin weltweit betreiben wir ein eigenes Testlabor. Die ermittelten Daten stützen die Eindrücke aus dem Praxistest. Auch bei den Geometriedaten verlassen wir uns nicht ausschließlich auf die Herstellerangaben, sondern setzen selbst das Lasermessgerät an.
Die meisten Bike-Firmen stecken Jahre der Entwicklungsarbeit in ihr Serienprodukt. Bei Grin passt die Geometrie auf Anhieb. Wie der Pilot in den Rahmen integriert wird, gefiel allen der vier Testfahrer ausgezeichnet. Ein langer aber nicht extremer Hauptrahmen trifft auf einen Hinterbau, der etwas länger baut, als am Duellgegner von Last. Auch wenn sich die Geometrietabellen beider Hersteller ansonsten sehr ähnlich lesen, ist die Kettenstrebenlänge doch ein entscheidender Unterschied. So fällt die Längenverteilung zwischen Front und Heck beim Grin One etwas ausgewogener aus. Für das Handling in schnellen Downhills ist das Gold wert. Auch dank des kurzen Sitzrohres, welches aufgrund eines langen Vario-Hubes auch tatsächlich genutzt werden kann, lassen sich radikale Fahrmanöver jederzeit kontrolliert einleiten. Die Magura MT7-Bremsen greifen sehr gefühlvoll und satt auf die großen Bremsscheiben von Galfer, brauchen aber mehr Handkraft als die radikale Sram Maven am Last.
Da sich das Grin auch bei hohen Geschwindigkeiten ein ausbalanciertes Verhältnis aus Laufruhe und Wendigkeit erhält, könnten wir uns mit diesem Bike eine Anmeldung zu einem Enduro-Rennen gut vorstellen. Der flache Lenker mit nur 15 Millimetern Rise bringt ordentlich Druck auf die Front und animiert erfahrene Biker zum Tempo machen. So richtig warm wurde mit dem Cockpit unseres Testbikes jedoch keiner der Fahrer. “Zu flach in Steilpassagen, zu steif, wenn es richtig rumpelt” war das Resümee zum Pro-Lenker aus Alu mit fetter 35-Millimeter Klemmung. Apropos Steifigkeit: Obwohl Grin auf eine Verbindungsstrebe zwischen den massiven Sitzstreben verzichtet, fällt die am Hinterbau hoch aus. Bei Schlägen in Offcamber-Situationen verspringt da schon mal das Hinterrad. Vor allem leichte Fahrer sollten das im Hinterkopf behalten.
Durchs Gelände zu pushen oder an einem Kicker abzuziehen ist auf dem Grin One ein Kinderspiel. Auch weil der Hinterbau weder wegsackt noch zu stark knautscht. Der Rockshox Vivid Air im Testaufbau steht sehr definiert im Federweg und hilft bei der präzisen Platzierung des Bikes. Im direkten Vergleich zum Heck des Last Coal vermissten wir jedoch Sensibilität. Trotz großer Hub-Reserven ist der Grin-Hinterbau vor allem im ersten Federwegsbereich kein feinfühliger Staubsauger sondern reicht zusammen mit der potenten Steifigkeit einige Vibrationen weiter. Das hat zur Folge, dass das Grin One nicht ganz so komfortabel und unaufgeregt zu Tale rauscht, wie der Test-Konkurrent. Vorne lässt die starke Rockshox ZEB Ultimate mit 170 Millimetern Federweg derweil nichts anbrennen. Sie führt das Enduro standesgemäß und dank 63 Grad flachem Lenkwinkel mit hohem Sicherheitsgefühl durchs Gelände.
Bergauf wiederum spielt der Hinterbau des Grin One seine Stärken aus. Für ein langhubiges Enduro bleibt das Heck selbst im Wiegetritt erstaunlich ruhig und lässt kaum wertvolle Energie verpuffen. Den Griff zum Plattform-Hebel kann man sich auf Tour sparen. Auch das Gesamtgewicht bleibt trotz robuster Ausstattung voll im grünen Bereich. Dass die Laufräder trotz Einheitsreifen jedoch schwerer in Schwung geraten als die am Last, kostet auf langen Runden mehr Körner. Mit steilem Sitzwinkel und flacher Steuerzentrale lastet im Sitzen viel Druck auf der Front. Gut, um mit kleinen Gängen steile Rampen zu erklimmen, jedoch zu extrem für seichte Mittelgebirgs-Hügel. Dort wirkt die Sitzposition gedrungen und will durch ein länger-höheres Cockpit-Setup entschärft werden. Die Schaltgenauigkeit von klassischer Sram-GX-Schaltung und Kassette von Garbaruk kann unter Last nicht mit dem Transmission-Antrieb am Test-Antagonisten mithalten. Für alle Nicht-Racer ein vernachlässigbarer Nachteil.
BIKE Gesamtnote: 2,28
Die BIKE-Note setzt sich aus Praxiseindrücken der Testfahrer und Labormesswerten zusammen. Die Note ist preisunabhängig. Notenspektrum: 0,5–5,5, analog zum Schulnotensystem. Die Bewertung fand in der Kategorie Enduro statt.
Beeindruckend, was Grin mit seinem ersten Serien-Bike geschafft hat! Fahrposition und Fahrspaß sind absolut on point. Etwas nachbessern darf das kleine Startup noch bei Sensibilität und Optimierung der Steifigkeit im Hinterbau. Wer Bock auf ein sportliches Enduro hat, wie man es nicht an jeder Ecke findet, sollte sich das Grin One definitiv genauer anschauen. Den Testsieg verpasst der Newcomer nur knapp. - Jan Timmermann, BIKE-Testredakteur