Wie baut man ein E-Bike, das Enduro- und Bikepark-Piloten vollumfänglich glücklich macht? Dieser Frage hat sich Focus gestellt. Das Rezept des neuen Sam² ist einfach aber gut: Ein solider Alu-Rahmen ist schwer aber belastbar. Damit kann das Focus für vollen Downhill-Einsatz (ASTM 5) freigegeben werden. Und das bei einer vertrauenserweckenden Gewichtsfreigabe von 150 Kilo Systemgewicht. Bei E-MTBs gibt es das nur selten. Dazu kommen ausreichend Federweg und eine lange, flache Geometrie. Spätestens der Stahlfederdämpfer macht klar: Dieses Rad ist voll auf Abfahrt gepolt.
Also: Auf in den Bikepark! Bleibt die Frage, ob ein 26,5-Kilo-Bike auf dem Trail überhaupt Spaß machen kann. Dieses üppige Gewicht liefert das Sam² bereits mit dem kleinen 600er Akku in unserem Testbike. 800 Wattstunden und damit 900 Extra-Gramm gibt’s optional für 300 Euro Aufpreis. Der kleine Akku ist in vielen Fällen aber keine schlechte Wahl für das Sam², denn für klassische Touren ist dieses rassige E-Enduro ohnehin nicht gebaut.
Focus fuhr bei seinen E-Mountainbikes lange Zeit mehrgleisig. In der Power-Klasse hatten die Stuttgarter sowohl Bikes mit Shimano-, als auch mit Bosch-Motoren im Portfolio. Aktuell liegt der Fokus ganz klar auf dem neuen Bosch Performance Line CX (hier im Test!). Nach dem letzten Software-Update auf 100 Nm und 750 W ist der beliebte Schwaben-Motor jetzt noch stärker und souveräner denn je. Auch der neue Modus E-MTB+ ist ein klares Plus. In schwierigen Ansteigen spielt das System seine Stärken besonders aus.
Aber auch in Sachen Reichweite überzeugt der Bosch-Antrieb. Das Sam² ist explizit auf ein modulares Akku-Konzept ausgelegt. Heißt: Es passen wahlweise 600 oder 800 Wattstunden ins Bike. Dafür ist lediglich ein anderes Cover nötig. Unser Testbike kommt mit dem kleineren 600er-Akku, der natürlich deutlich weniger Reichweite liefert, als die 800er-Bosch-Bikes. Doch im Vergleich zu anderen Systemen mit rund 600 Wh sind sehr gute Reichweiten drin.
Keine Kompromisse! Bei der Ausstattung geht Focus in die Vollen. Am Einstiegsmodell sind zwar keine Highend-Parts verbaut, aber Funktional muss man keine ernsten Abstriche machen. Von der Stange ist das Bike bereit für harte Trail- und Park-Einsätze. Am Heck werkelt ein dicker Stahlfederdämpfer von Fox, vorne die passende 38er aus dem günstigen Rhythm-Regal. Passend dazu kommen eine DH-Karkasse am Hinterreifen und 220er-Bremsscheiben an beiden Laufrädern.
Lang, länger, Focus Sam²! Auf unserem Geometrieprüfstand im BIKE Testlabor haben wir 1312 mm Radstand beim Bike in Größe L gemessen. So lang sind selbst abfahrtsorientierte E-MTBs nur sehr selten. Doch über zwei Variablen lässt sich der Radstand einkürzen. Ein Winkelsteuersatz macht einen steileren Lenkwinkel möglich und auch die Kettenstreben können über zwei Flipchips verkürzt werden. Für Highspeed-Einsätze im Gelände empfanden wir die lange und flache Einstellung aber als sehr ausgewogen und geeignet.
Die lange Geometrie des Sam² macht sich auch im Uphill bemerkbar. Mit seinen langen Kettenstreben und dem steilen Sitzwinkel klettert das E-Enduro sehr unkompliziert. Das Stahlfeder-Heck findet auch unter widrigen Bedingungen viel Grip, der Federungskomfort ist hoch. Nur in engen Passagen kann der lange Radstand hinderlich sein. Dafür schiebt der Bosch-Motor spritzig und wohldosierbar zugleich an. Der geniale Modus E-MTB+ kann in schwierigen Anstiegen einen echten Unterschied machen und der situative Nachlauf hilft geschmeidig über mache Schlüsselstelle.
Bergab trumpft das Focus dann nochmal mehr auf. Schon etwas übermütig durch den sicheren Stand im Rad und die enorme Laufruhe schießen wir mit dem Sam² mit Vollgas auf die schnellen Geraden der Teststrecke. Vielleicht doch etwas viel gewollt? Keineswegs. Das Sam² schluckt auch schnelle, große Schläge so souverän, dass man gut und gerne 180 Millimeter im Stahlfeder-Heck erwarten würde. Bike und Fahrwerk erzeugen derartig viel Bodenhaftung, dass die Kontrolle auch bei extremem Speed und in richtig harten Passagen nicht abreißt.
Die konsequente Ausstattung erhöht die Reserven auf der Jagd nach Topspeed zusätzlich, und das bereits im günstigsten Spec des Sam² 6.8. Zumindest, solange die Strecke ein ordentliches Gefälle bietet und genügend Speed zulässt. Dass das Focus auf flachen Strecken weniger in seinem Element ist, liegt mit Blick auf Geometrie und Gewicht auf der Hand. Wir waren aber überrascht, wie gut sich das lange Sam² mit seiner satten Kurvenlage auch in schnellen Anliegern und über Sprünge macht. Auch hier kommt richtig Fahrspaß auf.
Dank des hohen Wohlfühlfaktors bleibt man als Fahrer stets in einer aktiven Fahrposition. Über einen Winkelsteuersatz und Flipchips im Hinterbau kann man Lenkwinkel und Kettenstreben für ein agileres Handling noch deutlich anpassen. Wir empfanden die flache, lange Einstellung aber als auffallend ausgewogen und angenehm. Die konsequente Wahl für echte Enduro-Missionen. Kleine Schwächen: Bergab klapperte unser Bike ein wenig und Bunnyhops ohne definierten Absprung brauchen viel Körpereinsatz. Etwas behäbig und lang erlebten wir das Bike bei langsamer Fahrt und auf richtig engen Trails.
Achtung, hier steckt Vollgas drin! Wer das Focus Sam²* in entsprechendes Gelände entführt, bekommt brutale Fahrsicherheit und ein tolles Fahrwerk. Auf schnellen, gebauten Trails kommt auch der Fahrspaß nicht zu kurz. Ein konsequenter Abfahrer mit stimmiger Ausstattung und fairem Preisschild – für gemütliches Trail-Rollen ist das Focus aber eher nicht gemacht. - Adrian Kaether, BIKE-Redakteur