Federweg ist längst nicht alles. Gerade bei E-Mountainbikes verschwimmen die Grenzen zwischen den fein abgestuften Bike-Kategorien immer mehr. Tour oder All Mountain? Enduro oder Trail? Dieses Motto hat Focus bei seiner neuen E-MTB-Palette besonders beherzigt.
Nach dem Allrounder Jam² und dem gediegenen Tourer Thron² steht jetzt die neue Abfahrtsmaschine Sam² an der Startlinie. Klar: Mit 170 Millimetern ist das Bike der Hub-Sieger des Trios. Doch die entscheidenden Unterschiede liegen auch an anderen Stellen.
Focus positioniert das Sam² als Gravity-E-MTB für anspruchsvolle Trails und extreme Abfahrten. Das Bike soll mit seiner abfahrtsorientierten Geometrie und Ausstattung maximale Kontrolle bei hohen Geschwindigkeiten bieten. Dafür wurde das robuste Alu-Chassis mit 170 Millimeter Federweg vorne wie hinten bestückt.
Die Kinematik im Heck wurde zudem explizit auf Stahlfederdämpfer ausgelegt. Die hohe Gewichtsfreigabe von 150 Kilo Systemgewicht gibt Vertrauen in die Konstruktion. Obendrein ist das Bike mit der Kategorie 5 explizit für den Enduro- und Downhill-Einsatz mit großen Sprüngen freigegeben.
Der neue Bosch Performance CX legt den Grundstein für die neue E-MTB-Palette von Focus. Wie Thron² und Jam² kommt auch das dicke E-Enduro Sam² der Saison 2025 mit der neuesten Ausbaustufe des Schwaben-Motors. Etwas leichter, leiser und nochmal geschmeidiger ist dessen Neuauflage geworden. Auch wenn die Leistungsdaten mit max. 85 Newtonmetern und 600 W in der Spitze gleich geblieben sind, ist die neueste Ausbaustufe ein guter Schritt nach vorne.
Auch bei der Batterie setzt das Sam² auf die gleiche Integration, wie seine zwei Geschwister. Biker haben die Wahl zwischen 600 und 800 Wattstunden und können damit entscheiden, ob sie es lieber etwas leichter (ca. 900 Gramm) oder ausdauernder mögen. Der Preisunterschied liegt bei 300 Euro.
Beide Batterien stecken unter einem Cover im Unterrohr, sind mit einem Schlüssel gesichert und können leicht und schnell entnommen werden. Für den 800er-Akku gibt´s ein anderes Cover, das mehr Platz für die dicke Batterie schafft und deshalb etwas weiter vom Rahmen absteht.
Unterschied zu Thron² und Jam²: Das Sam² setzt als einziges der drei Bikes auf die kompakten Bedienelemente Mini-Remote und Systemcontroller. Das soll dem abfahrtsorientierten Charakter des Bikes entsprechen. Die kabellose Lenkerfernbedienung und die integrierte Anzeige sollen im Sturzfall weniger anfällig für Defekte sein.
Das Focus Sam² bietet verschiedene Möglichkeiten, die Geometrie an persönliche Vorlieben und das Terrain anzupassen. Über Headset-Cups lässt sich der Lenkwinkel zwischen 63,5 und 64,5 Grad variieren. Ein flacherer Winkel sorgt dabei für mehr Laufruhe, ein steilerer für mehr Agilität. Die Verstellung soll auch mit den vollintegrierten Zügen problemlos funktionieren.
Über einen Flip-Chip im Hinterbau können die Kettenstreben wahlweise auf 441 oder 448 Millimeter angepasst werden. Kürzere Kettenstreben machen das Bike verspielter, längere sorgen für mehr Laufruhe, so die Theorie. Focus empfiehlt für die Rahmengrößen S und M die kurze Einstellung, für L und XL die lange Variante.
Der Aluminiumrahmen des Sam² verfügt über kurze Sitzrohre, die viel Platz für lange Sattelstützen mit großem Verstellbereich bieten. Der Reach fällt üppig aus. Auffällig ist die große Varianz im Radstand: Je nach Einstellung der Kettenstrebenlänge und des Lenkwinkels variiert der Wert in Größe L von kurzen 1258 mm bis zu üppigen 1292 mm. Entsprechend groß ist der Einfluss auf das Fahrverhalten des Bikes. Die Sitzposition des Bikes fällt trotz langer Reach-Werte eher kompakt aus, denn der Sitzwinkel ist sehr steil und die Front hoch.
Bei der Ausstattung setzt Focus kompromisslos auf Komponenten für den harten Gravity-Einsatz. Dazu gehören Downhill-Reifen in 2,5 Zoll Breite, die für viel Grip und guten Pannenschutz sorgen. Dabei geht Focus tatsächlich in die Vollen.
Während die meisten Enduro-Bikes ab Werk maximal mit Super-Gravity- (Schwalbe) oder Doubledown-Karkassen (Maxxis) ausgestattet sind, kommen die neuen Sam²s je nach Modell mit noch pannensicherer Super-DH- bzw. DH-Konstruktion. Obendrein gibt´s für Vorder- wie Hinterrad jeweils die weichste Gummimischung Ultra Soft.
Bremsscheiben mit 220 Millimeter Durchmesser sollen auch auf langen Abfahrten zuverlässig verzögern. Eine absenkbare Sattelstütze mit großem Verstellbereich sorgt für Bewegungsfreiheit. Je nach Rahmengröße sind Stützen mit 150 bis 210 Millimeter Hub verbaut.
Focus setzt beim Sam² bewusst auf ein komplettes Aluminium-Paket mit Rahmen, Laufrädern und Lenker aus Alu. Diese Komponenten sollen Einschläge problemlos wegstecken und sicherstellen, dass man auch nach Stürzen weiterfahren könne. Für sorglose Einsätze soll auch die reduzierte Bosch-Ausstattung sorgen: Auf ein Display wurde verzichtet, die Kabel dank Wireless-Remote minimiert.
Die Konsequenz von so viel Heavy Duty: Das neue Focus Sam² fällt schwer aus. Unser Testbike checkt in Größe L mit 600er-Akku bei 26,6 Kilo ein. Mit der größeren Batterie muss man nochmal 900 Gramm draufzählen.
Wir konnten die Fahrmaschine Focus Sam² 6.9 bereits ausführlich durchs Gelände scheuchen. Wobei der Begriff “Gelände” dabei relativ ist. Denn was für manch anderes Bike eine krasse Herausforderung darstellt, ist für das Sam² im Zweifel nur ein moderater Untergrund. Doch dazu später mehr.
Schon beim Losrollen macht das neue Sam² klar, dass es nicht für langweilige Flachlandfahrten gedacht ist. Die Sitzposition ist super modern, mit sehr steilem Sitzwinkel. So sitzt man sehr kompakt, was in der Ebene nicht jedermanns Sache ist.
Wohler fühlt sich das Bike, wenn es steil ist - ob bergauf oder bergab. Trotz der krassen Abfahrtsauslegung performt das E-Enduro auch im Uphill stark. Massig Traktion, gepaart mit einer zentralen Sitzposition und einem starken Motor - so trekkert man auch richtig steile Stiche unkompliziert hinauf.
In seinem Element ist das neue Sam² immer dann, wenn es bergab geht. Und dabei darf es möglichst wild zur Sache gehen. Das hohe Gewicht, das satte Fahrwerk und die lange Geometrie sorgen für massig Bodenhaftung. Auf dem Trail liegt es richtig satt und sicher.
Egal ob kleine Wurzeln oder derbe Einschläge: Das Bike schnupft Hindernisse regelrecht in sich auf. Die Fahrposition ist dabei super integriert. Der Fahrer steht komfortabel hinter der hohen Front platziert, das gibt Selbstvertrauen.
Unser Testeinsatz beschränkte sich bisher auf anspruchsvolle, aber nicht übermäßig ruppige Mittelgebirgs-Trails. In diesem Setting konnten wir das Bike nicht ansatzweise aus der Reserve locken. Und hier sehen wir auch nicht den idealen Einsatzbereich des Sam². Das neue Focus schreit nach steifen, schnellen und ruppigen Strecken. Bikeparks mit Downhill-Pisten oder schnellen Jumplines würden wir mit dem Bike eher ansteuern. Oder auch Enduro-Reviere mit harten Pisten à la Finale Ligure.
Geht es gemäßigt zur Sache, zehrt das hohe Gewicht an der Agilität des Bikes. Wer das Sam² aktiv über flache Trails bewegen möchte, dem empfehlen wir im Vorfeld eine Extrarunde im Fitnessstudio - selbst wenn der kleinere und leichtere 600er-Akku verbaut ist, wie in unserem Testbike.
Das E-Enduro nimmt lieber die direkte Linie durchs Steinfeld, statt im Bunny-Hop darüber hinwegzusegeln. Das Focus in den Manual zu ziehen, ist durchaus ein Kraftakt. Abseits von Hochgeschwindigkeitsstrecken und richtig steilen Trails empfehlen wir auf alle Fälle die kürzere Geometrieeinstellung mit steilem Lenkwinkel. Das macht das Bike wendiger.
Positiv fällt auch im flacheren Terrain die richtig gute Kurvenlage auf. Mit ausgewogener Gewichtsverteilung zwischen Vorder- und Hinterrad railt das Bike durch Anlieger und nimmt auch flache Kurven wie auf Schienen. Dabei hilft auch der enorme Grip der weichen Reifen.
Getrost würden wir uns mit diesem Paket auf fiese Gravity-Abenteuer einlassen. Zumal Focus bei der Ausstattung wirklich an alles gedacht hat. Die hohe Bewegungsfreiheit durch die lange Teleskopstütze fällt ebenso positiv auf, wie die starken TRP-Stopper - die dennoch top dosierbar bleiben.
Das neue Focus Sam² geht in die Vollen! Im heftigen Abfahrtseinsatz kann man das Bike bedenkenlos fordern und die Grenzen ausloten. Mehr Sicherheit geht kaum. Und auch um die Haltbarkeit muss man sich bei diesem robusten Paket keine Sorgen machen. Die kompromisslose (und schwere!) Gravity-Auslegung geht allerdings etwas auf Kosten der Allround-Tauglichkeit. Damit ist dieses E-Enduro ein Tool für die richtig harten Einsätze eines Biker-Lebens. - Florentin Vesenbeckh, stv. Chefredakteur BIKE Magazin
Das neue Focus Sam² 2025 kommt in drei Ausstattungsvarianten zwischen 5699 und 8499 Euro. Alle setzen auf den identischen Alu-Rahmen und kommen mit Bosch Performance CX. Bei den Akkus gibt´s jeweils die Wahl zwischen Powertube 600 und Powertube 800. Nur das Topmodell 6.0 kommt ausschließlich mit der kleineren 600er-Batterie. Das Topmodell kommt mit Rockshox-Fahrwerk, die beiden anderen Varianten mit Fox.