Florentin Vesenbeckh
· 24.10.2023
Bosch oder Shimano? 29 oder 27,5 Zoll? Viel oder wenig Federweg? Auf dem Weg zum E-MTB-Kauf warten unzählige Fragen. Doch aktuell drängelt sich eine ganz grundlegende Entscheidung in den Vordergrund: Light- oder Power-E-MTB? Heißt: Wie stark muss der Motor sein? Und wie viel Kapazität braucht mein Akku? Und lohnt sich das Knausern bei Watt und Wattstunden überhaupt? Oder sind die teuren Light-Geschöpfe nur eine verkaufsfördernde Marketing-Masche?
Doch insbesondere Enduro-Biker, die ihren Fokus auf Spaß in der Abfahrt legen, fremdeln gerne mit schweren E-MTBs. Wie soll man mit einem E-Bike über 25 Kilo Flow auf dem Trail erleben? Auch wenn wir aus der Erfahrung ganz klar sagen können, dass das hervorragend funktioniert, ist die Frage berechtigt, ob weniger Gewicht nicht deutlich bessere Fahreigenschaften auf dem Trail bedeutet.
Und genau diese Frage wollen wir in diesem Test klären. Wie unterscheiden sich leichte E-Enduros von ihren massigen Geschwistern? Wo liegen Vor- und Nachteile? Und wie groß sind die Unterschiede wirklich? Dafür haben wir je zwei Vertreter der Light- und Power-Klasse mit 170 Millimetern Federweg und kompromissloser Enduro-Auslegung zum Doppelduell gebeten. Dabei wird auch klar: Selbst innerhalb der Kategorien gibt es unterschiedliche Ausrichtungen. Die Kaufentscheidung und Orientierung am Markt macht das nicht gerade leichter. Unser Systemvergleich bringt Licht ins Dunkel.
Steigt man vom mächtigen Cannondale Moterra LT auf das schlanke Simplon Rapcon TQ um, ist das ein himmelweiter Unterschied. Das Handling eines gelungenen Light-Bikes liegt näher an dem eines unmotorisierten MTBs als an dem eines klassischen Power-E-Bikes. Was heißt das konkret? Auf dem Trail lässt sich das Bike spielerisch bewegen. Es fällt leicht, spontan die Linie zu wechseln, das Bike in Wechselkurven von einer in die andere Richtung zu werfen oder an Geländekanten in die Luft zu ziehen. Außerdem ist die Fahrt präziser und direkter, denn das leichte Bike entwickelt weniger Eigenleben. Schwere E-MTBs neigen durch das hohe Eigengewicht zum Schieben, was mehr Kraft und Eingewöhnung erfordert, um die gewünschte Linie zu treffen und zu halten. Brillieren kann hier das Simplon. Das M1 hingegen liegt eher auf halbem Weg zwischen den beiden E-Bike-Welten. Heißt: Nicht alleine das Gewicht ist entscheidend, auch die Geometrie, Fahrwerk und Laufräder müssen den Light-Faktor unterstützen.
Ich fahre nur selten E-Bike, sondern meist auf einem Enduro ohne Motor. Das Simplon hat mich mit seinem gelungenen Handling absolut überzeugt. Ich würde fast sagen: Es fährt sich bergab sogar besser als mein YT Capra. Das ist ein drastischer Unterschied zu den drei anderen Bikes in diesem Test. Insbesondere die schweren E-MTBs sind mir zu träge. - Nic Dörpholz, EMTB Testfahrer
Der Kontrapunkt zur Leichtfüßigkeit ist die Fahrsicherheit. Die hängt primär an den Themen Geometrie, Fahrwerk und Ausstattung. Doch auch hier gibt es grundlegende Unterschiede zwischen den beiden Kategorien. In unserem Vierkampf lagen die beiden Power-Bikes von Cannondale und Flyer deutlich satter auf dem Trail. Das Eigengewicht bringt viel Traktion und Laufruhe mit sich – unabhängig von Fahrwerksqualität und Geometriewerten. Den Lenker an einer schwer sichtbaren Wurzel verreißen oder im Steinfeld aus der Spur geworfen werden – das passiert mit den massigen E-MTBs weniger leicht. Gerade bei etwas passiver Fahrweise fördert das die Fahrsicherheit enorm. Das gilt übrigens auch für dynamische Manöver wie Sprünge. Zwar lassen sich schwere E-MTBs nicht so leicht in die Höhen ziehen, und auch Tricks benötigen mehr Kraft, doch dafür fällt die Flugphase stabiler aus. In Summe kommt man mit einem Power-E-MTB seltener in Schwierigkeiten.
Ganz unabhängig vom Thema Reichweite: In schwerem Gelände würde ich immer zum Power-Bike greifen. Dabei spielt aber auch die Gewöhnung eine Rolle. Ich sitze viel auf klassischen Power-E-Bikes und empfinde deren Laufruhe und Fahrsicherheit bergab als klares Plus. Gerade für weniger Geübte. Bikes wie das Simplon sind mir im Downhill oft schon etwas zu quirlig und unruhig. - Adrian Kaether, Redakteur EMTB Magazin
Das Antriebsgeräusch eines E-Bikes ist untrennbar mit dem Fahrgefühl verknüpft. Wer mit unmotorisierten Freunden fährt, oder die Ruhe der Natur genießen will, wird den HPR 50 von TQ lieben. Der Sound ist zwar wahrnehmbar, geht in vielen Situationen aber völlig in Umgebungsgeräuschen unter. So leise ist kein anderer E-MTB-Motor! Zudem ist er bergab klapperfrei – im Gegensatz zu den beiden Bosch-Antrieben. Bei geringem Schub tönt auch Boschs SX recht angenehm, doch beim Abruf von viel Leistung wird er deutlich lauter. Der Bosch CX ist selbst im Eco-Modus nicht leise und sein Surren ein permanenter Begleiter.
Die Geschichte ist schnell erzählt: Wer fieseste Steilstufen und technische Anstiege meistern will, hat mit einem starken Motor deutlich mehr Reserven und tut sich leichter. Auch das Flow-Gefühl steigt mit dem Schwung und der Leichtigkeit, die ein Power-Motor liefert. Der Performance-SX-Motor kann mit seiner beachtlichen Leistung deutlich besser mithalten als der HPR50. Bei niedrigen Trittfrequenzen fehlt aber auch dem leichten Bosch ganz deutlich der Durchzug – das schränkt anspruchsvolle Uphills ein. Im Vergleich zu einem unmotorisierten Bike fliegt man auch mit den beiden Leicht-Antrieben unbeschwert und im Rekordtempo den Berg hinauf. Doch der Punkt geht klar an die Power-Klasse.
Wo soll ein Light-E-MTB punkten, wenn nicht beim Gewicht? Natürlich sind die beiden minimalistischen Kandidaten mit ihren kleineren Akkus und leichteren Motoren hier deutlich vorne. Im Schnitt gut fünf Kilo. Dabei sind beide Light-Bikes alles andere als ultimativ gewichtsoptimiert. Dicke 38er-Gabeln, konsequente Enduro-Komponenten und vor allem richtig pannensichere Reifen. Hier übertrumpfen sie die beiden Power-Bikes sogar noch – für Gewichtsfetischisten lauert also Tuning-Potenzial. Kritiker werden sagen: Es gibt auch deutlich leichtere Power-E-MTBs in diesem Preis- und Federwegsbereich. Das ist zwar richtig, aber erstens eher die Ausnahme, und zweitens gilt das auch für die Light-Kandidaten. Und an die 21,1 Kilo des M1 kommen auch die leichtesten Power-Enduros mit vergleichbarer Ausstattung bei Weitem nicht heran.
Im Fahrverhalten spürt man auch das Laufradgewicht deutlich. Besonders das M1 lässt hier mit den günstigen Laufrädern und fetten Eddy Current Spritzigkeit liegen. Noch deutlich schwerer sind die Rundlinge im Flyer. Neben den robusten Onza-Reifen schlagen hier die schweren Mavic-Laufräder zu Buche. Hier lohnt sich Tuning! Die Maxxis-Reifen mit dünner Karkasse machen die Laufräder des Cannondale leicht – sind für die Nehmerqualitäten des fahrstarken Enduros aber unterdimensioniert.
Jeder Topf findet einen Deckel. Das Sprichwort gilt auch für E-Mountainbikes. Zwischen minimalistischen Light-E-MTBs, zum Beispiel mit TQ-Antrieb, und klassischen Power-Bikes, bilden sich unzählige Ansätze und Zwischenformen heraus. Bestes Beispiel ist der kräftige Bosch SX. Umso wichtiger werden Probefahrten für die Käufer – am besten auf einem Test-Event. - Florentin Vesenbeckh, Testleiter EMTB Magazin
Kleinerer Akku, weniger Reichweite. An dieser simplen Logik gibt’s nichts zu rütteln. Die zusätzlichen Pfunde der Power-Bikes haben in Summe nur marginalen Einfluss auf die Reichweite. Fährt man alle Bikes mit vergleichbarer Motorunterstützung, kommt man mit den großen Bosch-Akkus mit 750 Wattstunden fast doppelt so weit wie mit den minimalistischen Light-Antrieben. Das ist Fakt. Doch auch mit den Light-Bikes sind längere Ausflüge drin. Dann muss man allerdings die Unterstützung noch mehr drosseln und fleißig selbst in die Pedale treten. Oder man setzt auf einen Zweit-Akku (nur beim M1 möglich) oder Range-Extender (160 Wh fürs Simplon, 250 für den Bosch im M1). Einen ausführlichen Reichweitentest mit einigen aktuellen Light-Motoren im direkten Vergleich zu einem Power-E-MTB lesen Sie hier.
Fahrstabil oder handlich? Wie man die beiden Kategorien persönlich wahrnimmt, hat natürlich auch viel mit den eigenen Präferenzen und körperlichen Voraussetzungen zu tun. Ein 100-Kilo-Fahrer mit starkem Oberkörper wird sich an dem etwas höheren Krafteinsatz, den ein 25-Kilo-Bike fordert, weniger stören, als ein schlacksiger 60-Kilo-Biker. Auch die Themen Motor-Power und Reichweite werden von den körperlichen Voraussetzungen beeinflusst. Leichte und fitte Fahrer kommen deutlich besser mit weniger Motorschub und Akku-Leistung aus.
Nichts ist langweiliger als ein Unentschieden? Mag sein. Doch für diesen Systemvergleich gilt mehr denn je: Ansichtssache! Rollt man auf einem Trail den Berg hinab, haben gelungene Light-Enduros meist die Nase vorn. Doch auch für Abfahrts-Junkies spielen noch andere Faktoren eine Rolle. Gute Argumente gibt es für beide Kategorien, leicht oder stark. Wer sich klarmacht, welche Anforderungen er an sein E-Enduro hat, ist von einer Entscheidung für eines der beiden Konzepte nicht weit entfernt.
Massig Power, üppige Reichweite, starke Modulation: Der Performance Line CX ist die Messlatte für anspruchsvolle Uphills und kräftige E-MTBs. Die spritzige Kraftentfaltung sorgt für Fahrspaß im Uphill. Allerdings ist das System mit großem Akku (750 Wattstunden) schwer und vergleichsweise laut – leider auch in der Abfahrt (Klappern).
Nicht Fisch, nicht Fleisch? Oder eher die goldene Mitte? Das liegt im Auge des Betrachters. Klar ist: Der Performance SX liefert für sein geringes Gewicht viel Leistung. So kann man fast mit einem Power-Motor mithalten und auch schwierige Uphills erklimmen. Voraussetzung ist allerdings eine sehr hohe Trittfrequenz, denn sonst schiebt der SX nur mäßig. Die Lautstärke landet mittig zwischen CX und TQ, das Fahrgefühl ebenso. Leider klappert auch der kleine Bosch bergab. Hier finden Sie den ausführlichen Test des Bosch Performance Line SX Motors.
Der TQ HPR 50 ist der absolute Gegenentwurf zum klassischen E-MTB-Power-Motor. Dezent, leicht, klein und super leise! Mit diesem Antrieb nähert man sich dem klassischen MTB maximal, bekommt aber trotzdem einen deutlichen Zusatzschub für Extra-Runden. Reichweite und Power sind im Vergleich deutlich eingeschränkt. Dafür ist der Antrieb super leise, bergauf wie bergab. Hier geht’s zum ausführlichen Test des TQ HPR 50.
Kraftsparend und zügig bergauf, um dann unbeschwert in halsbrecherische Abfahrten zu stürzen. Das ist das Einsatzgebiet von leichten E-Enduros. In unserem Test landen zwei Light-Bikes, jeweils mit Mullet-Laufrädern, jeweils mit üppig Federweg. Auf den ersten Blick lassen die Daten ein langweiliges Duell vermuten. Doch weit gefehlt. Unsere zwei Kandidaten von Simplon und M1 zeigen, wie unterschiedlich die Light-Kategorie ausgelegt werden kann.
Los geht’s beim Motor. Während die Bayern von M1 auf den Schwaben-Antrieb Bosch SX setzen, kommt das Vorarlberger Simplon mit Bayern-Motor von TQ. Das M1 landet mit dem kräftigeren Motor gewissermaßen zwischen den Welten der Light- und Power-Klasse. Der Schub reicht aus, um auch mal mit stärker motorisierten Bikes mitzuhalten. Und um die Reichweite zu erweitern, gibt’s die Möglichkeit für einen zackigen Akku-Wechsel oder die Option auf den 250er-Range-Extender von Bosch. Das Konzept von Simplon spricht hingegen Minimalisten an. Die Power des TQ HPR 50 ist geringer. Der kleinere Akku mit 360 Wh ist fest im Bike verbaut, mit einer zweiten Batterie kann man die Reichweite also nicht strecken. Und der 160-Wh-Aufsteck-Akku ist auch eher ein kleines Update als ein enormer Reichweiten-Boost.
Die Zielsetzung bei Simplon ist klar: Hier werden Biker glücklich, die sich mit minimaler Unterstützung zufriedengeben und vollen Fokus auf Abfahrtsqualitäten und Fahrspaß im Trail legen. Das M1 ist hingegen deutlich breiter aufgestellt und kann auch für E-Biker interessant sein, die nicht so richtig auf Motor-Power und Uphillflow verzichten wollen. Ohne zu viel vorweg zu nehmen: Im Enduro-Einsatz kann das EN.400.SX von M1 hingegen nicht mit dem Simplon Rapcon PMax TQ mithalten. Details zu den Fahreigenschaften, sowie Stärken und Schwächen der Bikes, gibt´s in unseren ausführlichen Tests. In Sachen Ausstattung sind beide Bikes kompromisslos auf hartes Gelände ausgelegt – das schlägt etwas aufs Gewicht. Auf dem Trail würde man den Gewichtsunterschied der beiden Kandidaten noch größer einschätzen, denn das 1,2 Kilo leichtere Simplon fährt sich deutlich leichtfüßiger.
Dieses Duell ist eine klare Angelegenheit, denn es heißt: minimalistischer Enduro-Spezialist gegen vielseitigen Allrounder. Bergab fährt das Simplon dem M1 in allen Belangen davon und sammelt absolute Besturteile. Doch Reichweite und Motor-Power fallen nur mäßig aus. Wer eher einen Allrounder sucht, der nicht zu schwer, aber auch nicht zu schwach auf der Brust ist, der findet im M1 ein sportliches und vielseitiges Bike für Touren, Trails und Abstecher in gröberes Gelände. - Florentin Vesenbeckh, Redakteur EMTB
Lange Alpen-Touren, Bikepark-Runs oder schnelle Feierabendrunde: Starke E-Enduros sind Allrounder für hartes Gelände mit integriertem Shuttle. Aufsitzen, losfahren und das Abenteuer in schwierigem Gelände suchen. Ist das nicht der Grundgedanke von Enduro-Mountainbikes? Wer dem zustimmt, könnte in einem klassischen E-Enduro die Erfüllung finden. Denn der Spaß beginnt hier nicht erst am Trail-Einstieg. Schon der Weg nach oben wird auf Wunsch zum Spielplatz mit Fahrtechnik-Challenges. Anstiege sind nicht länger das notwendige Übel, das mit Schweiß vernichtet oder im Shuttle abgesessen werden muss.
Höhenmeter werden zum Spaßgaranten – bergauf wie bergab. Denn die starken Motoren bringen Uphillflow und ermöglichen schier unmögliche Anstiege. Und dank der dicken Akkus kann der Wumms der E-Antriebe auch genutzt werden. Wer nicht völlig verschwenderisch mit der Energie umgeht, und ggf. zur Mittagspause etwas nachlädt, füllt mit 750 Wattstunden einen ganzen Trail-Tag. Die Kehrseite der Medaille: Die Power- und Reichweiten-Reserve schlägt auf die Pfunde. Deutlich über 25 Kilo wiegen unsere zwei Enduro-Kandidaten. Und das trotz Carbon-Rahmen und üppiger Preise von fast 9000 Euro.
Sowohl das Flyer Uproc Evo:X als auch Cannondales Moterra LT setzen auf den beliebten Bosch Performance CX. Insbesondere der schwere Powertube 750 drückt aufs Gewicht der beiden Bosch-Enduros. Mit dem leichtfüßigen Charakter klassischer Light-E-MTBs können diese zwei Kandidaten nicht mithalten. Dafür haben sie neben ihrer Allround-Stärke auch richtig Nehmerqualitäten und viel Laufruhe auf der Habenseite. Das neue Uproc Evo:X schafft den Spagat aus angenehmem Handling und Fahrstabilität besser als das Moterra LT. Mit leichteren Laufrädern könnte das Flyer hier noch mehr Punkte sammeln. Das fahrstarke Cannondale bringt dafür so schnell nichts aus der Ruhe.
Die beiden Power-Enduros unseres Vergleichs teilen das Schicksal der meisten aktuellen E-MTBs: Große Akkus drücken aufs Gewicht! Kommt dann eine robuste Ausstattung hinzu, landen die Bikes nicht selten bei über 25 Kilo. Weder Flyer noch Cannondale können an der Waage punkten. Dafür haben beide viel Reichweite, gutes Uphill-Können und massig Nehmerqualitäten. Das Uproc Evo:X schafft es besser, auch etwas Wendigkeit ins Fahrverhalten mit einzumischen. - Florentin Vesenbeckh, Redakteur EMTB