Peter Nilges
· 30.08.2024
Das natürliche Habitat der Enduros waren einst anspruchsvolle Abfahrten, die man sich dank ausgesprochener Allround-Qualitäten gerne selbst erarbeitete. Doch im Laufe der Zeit und getrieben durch den Rennsport haben sich die einstigen Alleskönner für alpine Trails immer mehr zu kompromisslosen Abfahrern entwickelt. Schwierigste Strecken, eine hohe Leistungsdichte im Rennsport und hohe Anforderungen an die Haltbarkeit des Materials drängen die aktuellen Enduros zunehmend in die Rolle von Downhill-Spezialisten.
Das Kuriose daran: Beim Gewicht haben die Bikes häufig dermaßen zugelegt, dass sie sogar so manchen Downhill-Boliden in den Schatten stellen. Unser Testfeld aus sechs Enduros zwischen 3500 und 4200 Euro bringt im Schnitt 16,5 Kilo inklusive Pedale auf die Waage. Ausreißer wie das Marin Alpine Trail kratzen sogar an der 18‑Kilo Marke und rollen auf über sechs Kilo schweren Laufrädern. Eine Größenordnung, die man eigentlich nur von Bikes mit Motor kennt. Doch hohes Gewicht muss nicht zwangsläufig schlecht sein, zumindest solange es bergab geht. „Nur ein schweres Enduro ist ein schnelles Enduro“, behauptet etwa der Deutsche Enduro-Meister Christian Textor. Kein Wunder also, dass selbst die High-End-Bikes im Enduro-Weltcup nur selten unter 16 Kilo wiegen. Im Downhill-Einsatz wirkt sich ein höheres Gewicht – Stichwort Trägheit – positiv auf das Fahrverhalten aus und beruhigt das Bike.
Hier findet ihr die jeweiligen MTBs im Einzeltests:
Natürlich spielt auch die Verteilung der Masse eine Rolle: Generell fährt sich ein leichteres Bike jedoch nervöser und verspringt stärker durch den Input vom Untergrund. Das ist auch der Grund, weshalb beispielsweise E-MTBs mit höherem Gewicht und tiefem Schwerpunkt viel satter in rauen Passagen liegen oder im Enduro-Racing zum Teil Zusatzgewichte im unteren Teil des Hauptrahmens angebracht werden. Noch besser lassen sich der Fahrer oder die Fahrerin von den Streckenunebenheiten entkoppeln, wenn die ungefederte Masse, sprich die Laufräder samt Reifen, möglichst leicht im Gegensatz zur gefederten Masse ausfällt.
Aber war da nicht noch etwas, bevor es überhaupt in die Abfahrt geht? Richtig: Wer runterfahren will, muss zunächst erst mal irgendwie nach oben kommen. Solange Lift und Shuttle nicht die erste Wahl sind, wandelt sich das im Downhill nützliche Gewicht in einen lästigen Bremsanker. Denn die Physik kennt auch bergauf keine Gnade und spielt die Trägheitskarte mit Nachdruck aus. Solange die Geometrie passt, der Hinterbau nicht übermäßig pumpt und es vor allem gleichförmig bergan geht, treten die Extrapfunde meist in den Hintergrund. Kurze Antritte und häufiges Beschleunigen, wie es in welligem Terrain der Fall ist, ziehen einem aber schnell die Energie und bremsen den Fahrspaß maximal aus. Selbst ein Bunnyhop, das Anheben des Vorderrads oder ein schneller Richtungswechsel werden zum Kraftakt. Wer nicht nur stoisch auf Schotter bergauf treten will und ein verhältnismäßig leichtfüßiges Enduro sucht, sollte das Gewicht nicht außer Acht lassen. Umso erfreulicher, dass es mit dem 14,9 Kilo leichten Radon Jab MX auch leichte Ausreißer gibt, die den Weg zum Gipfel fast schon von alleine schaffen.
Aufgrund des besten Fahrverhaltens und seines Top-Handlings sichert sich das Giant Reign mit knappem Vorsprung den Testsieg vor dem Radon Jab MX. Dank leichtem Rahmen und schlankem Gesamtgewicht streicht das Radon verdient die Allround-Wertung ein.
BENOTUNG: Das BIKE-Urteil setzt sich aus den subjektiven Eindrücken der Testfahrer und unseren Labormesswerten zusammen. Das Urteil ist preisunabhängig. Notenspektrum: sehr gut (0,5–1,5), gut (1,6–2,5), befriedigend (2,6–3,5), ausreichend (3,6–4,5), mangelhaft (4,6–5,5). Rahmensteifigkeit: Seitensteifigkeit in N/mm getrennt für den Hinterbau und das vordere Rahmendreieck inklusive der verbauten Federgabel. Laufradträgheit: Je niedriger der Messwert, desto besser lassen sich die Laufräder beschleunigen. Gewicht: BIKE-Messwerte, Gesamtgewicht mit Pedalen, Laufradgewicht mit Reifen, Kassette und Bremsscheiben.
Das Aushängeschild der Kitzbüheler Alpen ist eigentlich die große KitzAlps-Enduro-Runde: ein Marathon mit 6 Trails, 75 Kilometern, 3972 Tiefenmetern – und Seilbahnunterstützung. Das Fotoshooting für unsere Enduro-Testgruppe fand bereits im Herbst letzten Jahres statt. Der eigentliche Test wurde Ende Juni im Bikepark Geisskopf durchgeführt.
Auf diesen beiden Trails sind unsere Bilder in Kirchberg entstanden:
Einer von Tirols „Great Trails“, der 2015 speziell für die erste Enduro-EM in die Flanken der Ehrenbachhöhe verlegt wurde. Er startet mit sanften Almwiesen-Kehren und schaukelt sich dann im Wald zu einem Wurzel-Stein-und-Stufen-Monster auf. Mini-Gegenanstieg inklusive. Eine lange, legendäre Herausforderung.
Deutlich kürzer, teils steiler und flowiger geben sich die gebauten Anlieger des Gaisberg Trails am gegenüberliegenden Hang. Die Fahrwerke bekommen es hier mit eher sanften Kompressionen über Wellen, Sprünge und Tables zu tun. Bergauf hilft ein Sessellift.
Die KitzTrailCard kostet 51,50 Euro pro Tag und umfasst acht Lifte: kitzski.at