Max Fuchs
· 22.06.2024
Das Canyon Strive im Traumbike-Test? Ausgerechnet ein Mountainbike von einem der größten Bike-Versender der Welt unter all den Boutique-Bikes? Wo steckt da der Reiz? Ganz einfach: Es handelt sich hier um eines der schnellsten Enduros am Markt. Profis wie Jesse Melamed fahren das Strive regelmäßig an die Spitze des Enduro-Weltcups. Aber auch in unseren BIKE-Tests konnte das Koblenzer Erfolgsmodell schon Bestnoten sammeln. Reiz genug, dass sicher einige heimlich von diesem Canyon träumen.
Wer sich für das Canyon Strive interessiert, sollte sich vorher intensiv mit der Größenverteilung auseinandersetzen. Denn in Größe L misst der Reach 500 Millimeter! Zum Vergleich: Das Gros der Mitbewerber bewegt sich bei dieser Größe zwischen 470 und 485 Millimetern. Besser, man wählt also eine Größe kleiner, um die Proportionen von Mensch und Maschine in Einklang zu bringen.
Anderenfalls ist das Strive einfach zu lang. Auch wir haben uns aus diesem Grund für ein Testbike in Größe M entschieden. Hier misst der Reach in der kurzen Einstellung 468 Millimeter. Je nach Vorliebe lässt sich der Wert dank exzentrischer Steuersatzschalen um fünf oder zehn Millimeter verlängern. Dann spielt das Strive CFR größentechnisch in derselben Liga wie die Konkurrenz in L.
Variabel zeigt sich das Canyon Strive aber auch im Hinblick auf das Fahrwerk. Fast wie bei einem Transformer lassen sich Geometrie und Federweg des Canyon über den sogenannten Shapeshifter auf Knopfdruck vom Lenker aus verstellen. Eine kleine Gasdruckfeder, welche die Anlenkung des Dämpfers verändert, hebt im Uphill-Modus das Tretlager an, stellt den Sitz- und Lenkwinkel um mehr als ein Grad steiler und strafft den Hinterbau für mehr Vortrieb bei Zwischensprints. Der Federweg schrumpft im selben Zug auf 140 Millimeter.
Da die Tretlagerhöhe selbst im hohen Modus mit 345 Millimetern immer noch im grünen Bereich liegt, können sogar beide Modi je nach Streckenanforderung bergab gefahren werden. So besitzt das Strive quasi zwei Gesichter: das eines kompromisslosen Baller-Bikes und das eines quirligen Enduros, perfekt für wellige Trails und tretlastige Touren. Dieser Spagat gelingt keinem zweiten Mountainbike am Markt ähnlich gut – vor allem nicht zu einem derart attraktiven Preis.
Apropos Preispolitik: Hier zeigt sich das Canyon wie gewohnt unschlagbar. Für 5999 Euro packen die Koblenzer neben der einzigartigen Shapeshifter-Technologie auch ein lupenreines Fox-Factory-Fahrwerk, Srams neueste Transmission-Schaltung und ein makelloses Carbon-Chassis in den Versandkarton. Mehr Bike fürs Geld geht derzeit wohl nicht.
Trotz der kleineren Rahmengröße – mit seinem 62,6 Grad flachen Lenkwinkel und dem 1280 Millimeter langen Radstand kann das Strive vor allem eins: mit Vollgas entlang der Falllinie fräsen. Die Kombination aus niedrigem Tretlager und hoher Front bettet den Fahrer sehr tief hinter der Steuerzentrale ein. Sobald die Schwerkraft das Bike gen Tal zieht, beschert das dem Canyon ein extremes Maß an Souveränität.
Das hervorragende Fahrwerk tut sein Übriges. Der Hinterbau filtert feine Unebenheiten fast schon auf Stahlfeder-Niveau. Heißt: Die Traktion ist der Hammer. Trotzdem mangelt es dem Fahrwerk nicht an Gegenhalt. Ganz im Gegenteil. Drückt man das Bike aktiv durch Kompressionen und Anlieger, generiert das Strive super Geschwindigkeit. Träges Versumpfen im Federweg? Fehlanzeige!
Sehr verwinkelte und schwer einsehbare Trails bringen die extreme Geometrie aber an ihre Grenzen. Hier fühlt sich das Canyon in der langen Einstellung sperrig an. Deshalb unser Tipp: Auf jeden Fall die Steuersatzschalen drehen, dann kommt das Bike auf Singletrails besser zurecht. Auf Tretpassagen und im Uphill setzt das Strive dank des steilen Sitzwinkels, des antriebsneutralen Hecks und der Shapeshifter-Technologie neue Maßstäbe. Bravo!
Während man für 6000 Euro bei vielen Herstellern gerade mal das Einstiegsmodell kaufen kann, bekommt man bei Canyon ein High-End-Enduro vor die Türe geliefert. Hat man die richtige Größe gefunden, bleiben bei den Fahreigenschaften keine Wünsche offen. Unbedingt mit dem Reach experimentieren.. - Max Fuchs, BIKE-Testredakteur