Das Cannondale Moterra SL ist ein echter E-Bike-Klassiker. In wie vielen Varianten es das Bike der Amerikaner bereits gab! Mit kurzem und mit langem Federweg, als Hängebauch-Variante mit halbintegriertem Akku und sogar als Moterra SE mit Doppelbrücke. Allerdings: In unseren Tests konnten das Moterra bis auf die allerersten Varianten nicht so richtig punkten. Sitzwinkel zu flach, Fahrwerk zu straff, Rad zu schwer - irgendwie gab es immer etwas zu meckern.
Das könnte sich jetzt ändern. Für 2025 hat Cannondale das Moterra rundum modernisiert und in vielen Belangen entscheidend verbessert. Den Anlass dafür gibt der neue Performance Line CX Motor von Bosch samt neuem 800er Akku. Dafür musste Cannondale den Rahmen von Grund auf neu konstruieren und hat einige der Erfahrungen vom Leichtbau-Bike Moterra SL einfließen lassen. Das Moterra kommt zwar weiterhin mit klassischem Viergelenker statt Flex-Pivot-Hinterbau. Der neue Vollcarbon-Rahmen soll gegenüber dem Vorgänger mit Alu-Heck aber über ein Kilo abgespeckt haben. Neben dem LT gibt’s das Moterra auch noch in einer All Mountain Variante - dann auch mit günstigerem Alu-Rahmen.
Die Gewichtseinsparungen durch den neuen Bosch-Motor zahlen zusätzlich auf eine geringere Gesamtmasse ein. Speziell der neue 800er Akku ist gegenüber dem Vorgänger mit 750 Wattstunden fast 400 Gramm leichter geworden. Der Motor selbst spart zusätzlich ein paar Gramm ein. Wesentlich entscheidender sind aber die Fahreigenschaften des neuen CX. Er bietet jetzt bis zu 750 Watt Spitzenleistung und 100 Newtonmeter Drehmoment, freischaltbar über die Bosch-App. Außerdem gibt’s den neuen EMTB+-Modus. Und für Abfahrtsfans beim Moterra SL vielleicht am Entschiedensten: Der Motor klappert bergab nicht mehr.
Etwas zusätzliche Reichweite gibt’s mit dem 800er Akku noch on top, der natürlich klassisch entnehmbar verbaut ist. In unserem standardisierten Reichweitentest ist erst nach rund 2000 Höhenmetern im Turbo-Modus Schluss. Mit einer speziellen Ladeport-Konstruktion ist das Moterra LT außerdem für den Bosch Range Extender vorbereitet. Auf ein Display muss man beim abfahrtsorientierten Enduro-Modell hingegen verzichten. Die minimalistische Kombination aus System-Controller und Mini Remote zeigt lediglich die U-Stufe und den aktuellen Akkustand in 10-Prozent-Schritten an.
Alles oder nichts: Während Cannondale bei “normalen” Moterra auf eine ausdifferenzierte Produktpalette mit Carbon- und Alu-Rahmen und diversen Ausstattungsvarianten setzt, kommt das Enduro Moterra LT lediglich in der von uns getesteten Ausführung. Der Carbon-Rahmen ist hochwertig und wird von Cannondale mit funktionalen Mittelklasse-Parts diverser Hersteller kombiniert.
Das Fahrwerk mit Downhill-Stahlfederdämpfer (Climb-Switch und einstellbare Druckstufe!) und dicker 38er Performance Gabel kommt von Fox, geschaltet wird mit der besseren mechanischen 90 Transmission. TRP DH-R Evo Bremsen beißen auf dicke 2,3 Millimeter Scheiben für maximale Hitzeresistenz. Die H1900 Laufräder von DT Swiss priorisieren Haltbarkeit vor Leichtbau. Als erstes Serien-Bike überhaupt kommt das Cannondale mit Schwalbes ultra-aggressivem Shredda-Reifen vorne. Das Teil sieht echt aus als hätte Schwalbe sich direkt beim Erzberg-Rodeo bedient.
Trotz massivem Federweg und Bosch-System bemüht sich Cannondale um eine nicht zu ausladende Geometrie zugunsten des Spieltriebs. Neben dem Reach wachsen auch die Kettenstreben mit den Rahmengrößen und messen 445 Millimeter (S, M) oder 450 Millimeter (ab Größe L). Der Lenkwinkel ist flach, dafür bleibt der Reach eher kompakt. Ein hoher Stack und großer BB-Drop sollen für einen tiefen Stand im Rad sorgen.
Schon auf den ersten Test-Metern wird klar: Dieses neue Moterra ist eine ganze Ecke besser weil deutlich runder als seine Vorgänger. Auf Flachstücken sitzt man modern aber nicht zu vorderradlastig - der gutmütige Charakter auf Touren bleibt also erhalten. Dafür kann die neue Sitzposition mit steilerem Sitzwinkel auch im Uphill punkten. Anders als bisher wirkt sich der Knick im Sitzrohr nicht so negativ auf die Fahrposition in steilen Anstiegen aus.
Auch hier bleibt man zentral im Rad und kann das Moterra LT ohne Angst vor Kontrollverlust auch fiese Anstiege hinauf steuern. Die recht hohe Front und der flache Lenkwinkel brauchen allerdings etwas Eingewöhnung. Hat man das Spiel einmal raus, begeistert das Moterra LT jedoch mit feinfühligem Fahrwerk und ultra-griffigen Radial-Reifen von Schwalbe. In Kombination mit dem neuen Bosch-Motor (EMTB+, 100 Nm) macht das Moterra LT auch beim Tüfteln in schier unfahrbaren Uphill-Challenges noch Spaß.
Wenig überraschend ist es aber vor allem der Downhill, in dem das dicke E-Enduro aus Connecticut glänzen kann. Schon beim kleinen Bruder, dem normalen Moterra mit Alu-Rahmen, haben wir den Hinterbau als extrem traktionsstark und schluckfreudig erlebt. Für das große Moterra LT mit Stahlfederdämpfer gilt das noch mehr. Fein im Ansprechverhalten saugt sich das Heck in Kombination mit dem Traktionsstarken Radial-Reifen an jeden Stein und jede kleine Wurzel an und hält doch für große Schläge immer ausreichend Progression bereit. Das Heck verhärtet dabei nie drastisch, sondern bietet genau die richtige Progression. Nur die Grund-Abstimmung des Stahlfeder-Hecks ist uns nicht ganz leicht gefallen. Eine Markierung für den SAG auf dem Federbein oder ein Schleppzeiger am Rahmen wären eine enorme Erleichterung.
Seiner Nehmerqualitäten zum Trotz ist das Moterra LT kein langweiliger Bulldozer, der nur geradeaus fährt. Der Hinterbau bietet einen guten Popp. Durch die für ein E-Enduro kompakte Geometrie bleibt das Cannondale auch auf engen Kursen lebendig und handlich. Trotz der großen Gewichtseinsparungen beim Rahmen hätten wir uns das Bike aber noch etwas leichter gewünscht. So braucht das Moterra immer etwas Schwung bergab um nicht zu schwerfällig zu werden. Gelungen: Auch bergab klappert das Bike dank neuem Bosch-Motor nur wenig. Der kurze Reach und flache Lenkwinkel waren für uns aber nicht ganz intuitiv. Den ultraweichen Shredda-Reifen am Vorderrad empfanden wir als speziell.
Innerhalb von Cannondales Line-Up ist die Hackordnung klar. Wer tourenorientiert unterwegs ist, greift zum normalen Moterra. Wer vor allem Spaß in der Abfahrt sucht, ist mit dem Moterra LT besser beraten. Das superleichte Moterra SL mit Shimano-Motor erkauft das geringere Gewicht mit etwas weniger Reichweite und einem deutlich strafferen Fahrwerk. Spannend, aber sicher nichts für jeden.
Wir konnten das Moterra LT nicht im direkten Vergleich mit anderen aktuellen E-Enduros fahren, hatten in letzter Zeit aber viele Bikes aus dieser Kategorie im Test. Das satte Fahrwerk des Moterra LT ist dem Focus Sam² nicht unähnlich. Das Cannondale bleibt aber wesentlich handlicher und erinnert mit seinem Mix aus Spieltrieb und Downhill-Qualitäten beim Fahren mehr an das extrem gelungene Ekano 2 CF von Propain. Das Moterra LT ist allerdings deutlich schwerer, bietet aber auch eine bessere Reichweite und mehr Motorpower. Wer ein Enduro mit sattem Federweg explizit für Touren sucht, könnte auch auf das neue Hybe von Haibike (hier im Test) einen Blick werfen.
Das Cannondale Moterra LT* schenkt reinen Wein ein. Der Enduro-Bolide glänzt mit einem super Fahrwerk und hohen Nehmerqualitäten. Dazu passt auch die Ausstattung mit Bombproof-Charakter. Etwas hohes Gesamtgewicht, die Fahreigenschaften überzeugen aber. - Adrian Kaether, BIKE-Testredakteur