Als kleine, innovative Marke vom Tegernsee machte sich Bionicon einen Namen in Biker-Kreisen. Clou der Fullys war damals, dass die Geometrie durch einen Luftaustausch zwischen Gabel und Dämpfer massiv angepasst werden konnte. So wurde das Bike ideal auf Downhill oder Anstieg getrimmt, einfach per Knopfdruck.
Doch in den letzten Jahren ist es ruhig geworden um die kleine deutsche Marke. Unter neuem Dach sitzt die Brand jetzt in der Oberpfalz – und für 2024 steht eine komplett neue Palette mit Bosch-E-MTBs am Start. Kopf des Fuhrparks ist das Enduro Bionicon Wyatt 750 mit 170/160 Millimetern Federweg. Kann die Wuchtbrumme mit solidem Alu-Chassis und Bosch-Antrieb im EMTB-Test überzeugen?
Voller Fokus auf bergab, so hat uns der Konstrukteur und ehemalige deutsche Enduromeister Leo Putzenlechner das Topmodell des Wyatt übergeben. Seine Stärken soll das Bike ganz klar auf anspruchsvollen Downhills haben und im Bikepark ebenso bestehen wie im fiesen Enduro-Gelände à la Finale Ligure.
Dafür stellt Bionicon das Bike auf 29er-Laufräder, verpasst dicke Federelemente mit 170 Millimetern Federweg an der Front und 160 am Heck. Auch der Rest der Ausstattung ist auf Haltbarkeit und Nehmerqualitäten gepolt.
Die robuste Auslegung, das Alu-Chassis und der dicke Bosch-Akku mit 750 Wattstunden haben ihren Preis, der in diesem Fall nicht in Euro, sondern in Kilo fällig wird. Mit 26,9 kg gehört das Topmodell des Wyatt zu den Schwergewichten der Enduro-Liga. Dafür hat das Bike standesgemäße Hinterreifen mit robuster Supergravity-Karkasse von Schwalbe an Bord. On top kommen große Bremsscheiben (220 mm vorne!), Fox-Fahrwerk aus 38er-Gabel und dickem X2-Dämpfer. Natürlich kann man auch mit diesen Komponenten leichtere E-MTBs bauen. Doch das geht ins Geld. Bionicon setzt hingegen auf ein besonders faires Preis-Leistungsverhältnis. Insbesondere das Topmodell für 6399 Euro ist absolut überdurchschnittlich ausgestattet.
Boschs Performance CX ist kräftig, sportlich und dynamisch. Mit dem 750er-Powertube bietet er zudem eine richtig gute Reichweite. In unseren standardisierten Reichweitentests kommen Bikes mit 750er-Powertube signifikant weiter, als andere E-MTBs mit Batterien um 700 bis 750 Wattstunden. Die Kombi mit den langen Akkus ist allerdings recht schwer. Die Batterieentnahme ist beim Wyatt etwas komplizierter. Das Cover ist mit vier kleinen Schrauben fixiert, das ist fummelig. Darunter sitzt das Schloss für die Batterie, die dann nach unten herausgezogen werden kann. Gut ist die Führung der Batterie im Unterrohr. Dennoch ist diese Lösung wenig komfortabel, wenn man den Akku regelmäßig herausnehmen möchte.
Mit flachem Lenkwinkel, sowie ordentlichem Reach und Radstand nimmt das Wyatt klassische Enduro-Maße an. Es verzichtet aber auf Extreme. Mit den langen Kettenstreben liegt der Fokus auf Fahrstabilität und gutmütigem Handling, statt Wendigkeit. Der Sitzwinkel ist flach, das Oberrohr dadurch lang. So fällt auch die Sitzposition gestreckt aus. Bei der Größenwahl muss man bewusst vorgehen: Die drei Größen S, M und L fallen groß aus und würden eher in das Raster M, L und XL passen. Das gilt nicht nur für Reach und Radstand, sondern auch für die Sitzrohrlänge - so kann es für klassische M-Fahrer definitiv eng werden auf dem Wyatt in M.
Drei Modelle zum Preis von 5299, 5799 oder 6399 Euro bietet Bionicon vom neuen Wyatt 750 an. Neben dem Alu-Chassis haben alle drei auch den Bosch-Motor und den 750er-Powertube-Akku gemeinsam. Die Federelemente kommen von Fox, am Einstiegsmodell mit einer Marzocchi-Forke. Auch die solide Schwalbe-Bereifung mit dicker Big Betty Supergravity am Heck haben alle drei Varianten an Bord.
Den besten Deal stellt das Topmodell Wyatt 750 0 dar. Mit 6399 Euro ist das Bike zwar nicht mehr wirklich günstig - dafür ist die Ausstattung aber auch richtig stark. Herausragend ist das Fahrwerk aus der Fox-Factory-Reihe mit X2-Dämpfer und 38er-Gabel. Das bekommt man bei manchem Hersteller selbst an einem E-Enduro für 10.000 Euro noch nicht.
“Voll auf Abfahrt!” Mit den Worten der Bionicon-Entwickler im Ohr starten wir in den Praxistest mit dem Wyatt. Also ab in den Bikepark am Geisskopf. Doch das E-MTB schmeißen wir natürlich nicht auf den Lift, sondern treten über den Uphill-Flow zum Trail-Head. Die Sitzposition fällt lang aus, das wird schon auf den ersten Metern vom Parkplatz weg klar.
Auf den flowigen Kurven des Anstiegs gefällt der Bosch-Motor mit seinem spritzigen Schub. Die steileren Abzweige von der Hauptlinie fordern eine versierte Fahrtechnik. Das Vorderrad bleibt durch die langen Kettenstreben solide am Boden. Trotz sehr flachem Sitzwinkel hängt man nicht allzu weit hinten drin, denn der Dämpfer steht hoch im Hub und hält den Fahrer in einer ordentlichen Position. Eine zentralere Sitzposition würde dem Wyatt in steilen Uphills trotzdem noch besser zu Gesicht stehen.
Von seiner besten Seite zeigt sich der Neuling auf schnellen und ruppigen Abfahrten: Die lange Geometrie mag Geschwindigkeit. Und Schläge jeglicher Couleur sind Kerngeschäft des starken Fahrwerks. Federelemente aus der Fox-Factory-Reihe hat Bionicon für 6399 Euro spendiert – das findet man so an kaum einem anderen E-MTB dieser Preisklasse. Und nicht nur die Komponenten bringen Ruhe in die Fahrt. Die Kinematik des Hinterbaus überzeugt mit einer gelungenen Mischung aus fluffigem Schluckvermögen und sportlichem Gegenhalt. Auf ruppigen Strecken ist das die halbe Miete. Dank robuster Reifen (Supergravity am Heck!) und guten Bremsen (Magura MT7, 220er-Scheiben vorne!) kann man es bedenkenlos laufen lassen.
Wird der Trail flacher und enger, fällt die größte Schwäche des Wyatt auf. Fast 27 Kilo bringt das Alu-Bike mit dem schweren 750er-Akku auf die Waage. Von einem wendigen Trail-Flitzer kann man hier nicht mehr sprechen. Und auch das hohe Tretlager verhindert ein wirklich wendiges und kurvenfreudiges Handling. Positiv hebt sich auch hier das Fahrwerk hervor. Denn mit gutem Gegenhalt belohnt es einen aktiven Fahrstil und sichert dem Wyatt einen lebendigen Charakter. So kann man den Boliden an Sprüngen und Wurzelkanten noch gut in die Luft befördern. Spielereien wir Manuals fallen mit dem langen Heck aber schwer.
Wer ein Innovationsfeuerwerk sucht, ist beim neuen Wyatt mit wuchtigem Alu-Rahmen nicht unbedingt an der richtigen Adresse. Bei manch anderem Hersteller findet man liebevollere Verarbeitung und smartere Detaillösungen. Doch Bionicon liefert mit dem Wyatt ein fahrstarkes Enduro mit klasse Fahrwerk zum richtig fairen Preis. Im rauen Gelände ist das Bike voll in seinem Element. Die Ausstattung ist top, das Wyatt fällt allerdings schwer aus. - Florentin Vesenbeckh, Ressortleiter Test und Technik beim EMTB Magazin