Downhill gilt als die Formel 1 des Bike-Sports. Die Abfahrtsboliden sind verdammt schnell und oft unvernünftig teuer. Häufig werden sie nur für einen Zweck konzipiert: für den Einsatz im Downhill-Worldcup. So auch das Atherton A.200.1.
Das Atherton besitzt ein einzigartiges Rahmenkonzept. Es basiert auf Carbon-Rohren, die von 3D-gedruckten Titan-Muffen zusammengehalten werden. Dank dieser Bauweise können Kunden neben zwölf verschiedenen Standardgrößen auch individuelle Rahmen anfragen. Braucht man das? Nicht unbedingt, doch so mancher Race-Nerd wird sich über diese Option freuen. Das A.200.1 rollt auf einer Mullet-Bereifung (29/27,5 Zoll).
Natürlich wurde das Bike für den Worldcup-Einsatz konstruiert. Heißt: Es ist auf maximal Speed getrimmt. Das ist bei anderen Downhiller genau so der Fall. Manche Downhiller sind aber dennoch verspielt genug für den Bikepark-Einsatz.
Auch mit dem Atherton A.200.1 kann man auf Jump-Strecken Spaß haben, doch die Spezialität des Bikes ist das nicht. Gefahren sind wir das Bike übrigens artgerecht auf der Downhill-Strecke in Serfaus-Fiss-Ladis sowie auf der UCI-Worldcup-Strecke in Leogang. Auf den Park-Abfahrten checkten wir Spieltrieb und Wendigkeit.
Mullet- oder 29-Zoll-Bereifung – das Thema wurde von unserem Test-Team intensiv diskutiert. Wir kamen zu dem Schluss: Alles spricht für Mullet. Leichter, wendiger und das Reifenprofil raspelt bei steilen Stufen nicht am Hintern.
- Laurin Lehner, BIKE-Testredakteur
¹ BIKE-Messwerte: Laufradträgheit: Je niedriger der Messwert, desto leichter zu beschleunigen. Gewicht ohne Pedale. Laufradgewicht pro Satz mit Reifen, Kassette, Bremsscheiben. Rahmensteifigkeit: Seitensteifigkeit in N/mm getrennt für das vordere Rahmendreieck inkl. der verbauten Gabel (vorne) und dem Hinterbau (hinten)
Die Geschichte von Atherton Bikes ist beeindruckend. Die Downhill-Geschwister Rachel, Dan und Gee Atherton fahren jahrzehntelang erfolgreich im Worldcup und gewinnen auf verschiedenen Bike-Marken. Dann beschließen sie, eine eigene Marke aus dem Boden zu stampfen, und stecken all ihr Know-how in das Projekt. Atherton Bikes wurde geboren.
Das war 2019. Seitdem hat ihr Downhillbike schon Worldcupsiege und sogar zwei Weltmeisterschafts-Medaillen eingefahren. Wir erinnern uns. Charlie Hatton bei der WM in Fort William 2023 Gold und Andi Kolb Silber. Der Österreicher klebt sich übrigens 500 Gramm Zusatzgewicht unters Tretlager für mehr Fahrstabilität in der Abfahrt. Originell bei dem Label aus Wales: das Titan-Muffen-Konzept.
Optisch wirkt das Bike eher schlicht. Statt auf erhöhten Drehpunkt setzt das A.200.1 auf einen sechs-gelenkigen VPP-Hinterbau und Rundrohre aus Carbon. Das Design polarisiert im Test-Team. Manchen gefällt der einfache Look, andere finden, der Rahmen sieht aus wie ein zusammen- gesteckter Prototyp.
Während der Vorgänger vorne und hinten noch auf 29-Zoll-Rädern rollte, haben die Athertons ihrem neuesten Modell Mullet-Laufräder verpasst – für mehr Freiraum und Kurvenstabilität. Das finden wir gut!
Das Atherton A.200.1 positioniert den Piloten tief im Rad. Das vermittelt sofort Vertrauen. Die Rahmengröße 7 passte uns mit einer Testergröße von 1,79 Meter gut. Das Fahrwerk arbeitete extrem sensibel und erzeugte massig Traktion. Die 475er Feder im Heck passte für unser Einsatzgewicht von etwa 80 Kilo gut, lag tendenziell aber auf der weichen Seite.
Trotz des hohen Komforts parierte der Hinterbau auch harte Schläge souverän und arbeitete gegen Ende des Federwegs angenehm progressiv, bot zudem ausreichend Gegenhalt. So fühlten wir uns auf der Worldcup-Strecke in Leogang sofort wohl – und schnell! Das stimmig hohe Cockpit mit dem “flexigen” Lenker gefiel uns sehr gut.
Selbst in verblockten Abfahrten reagierte das Atherton gelassen, als wolle es dem Piloten signalisieren: “Lass laufen!” In Highspeed-Kurven kam uns das Heck weicher vor – und angenehmer – als der nominelle Wert aus dem Labor. Wir vermuten, dass die Laufräder hier den Ausschlag gaben.
Auf Parkstrecken mit Anliegern und Sprüngen steuerte sich das Atherton ausreichend handlich, zudem besitzt es genügend Pop für Airtime-Einlagen. Aufs Hinterrad wollte sich das Atherton jedoch nicht so recht ziehen lassen. Super: Unser Atherton-Test-Bike war extrem leise.
Das Atherton A.200.1 ist mit seiner intuitiven Fahrweise, dem ausgewogenen Sahne-Fahrwerk und der gefälligen Geometrie gelungen. Es ist schnell, handlich genug und komfortabel. Kurz: Es kann alles, was ein Downhiller können muss. Wer ein maximal verspieltes Bigbike für den Park-Einsatz sucht, findet jedoch bei anderen Herstellern bessere Kandidaten.
² BEWERTUNG: Spinnendiagramm: Antrieb, Spieltrieb, Downhill bezieht sich auf das Fahrverhalten: Je größer der Ausschlag, desto besser die Eignung. Ausstattung: setzt sich aus unterschiedlichen Punkten wie Qualität/Verarbeitung, Usability zusammen. Die BIKE-Note setzt sich aus Praxiseindrücken der Testfahrer und Labormesswerten zusammen. Die Note ist preisunabhängig. Notenspektrum: 0,5–5,5, analog zum Schulnotensystem.