Florentin Vesenbeckh
· 26.02.2024
Die Firma Haibike setzte schon auf geländetaugliche E-MTBs, als es für das Gros aller Biker noch unvorstellbar war, dass E-Bikes auf Trails funktionieren könnten. Diese Pionierarbeit gipfelte schon früh in einem motorisierten Downhill-Bike mit Doppelbrückengabel, und mit Downhiller Guido Tschugg als erstem E-MTB Voll-Profi. Der neueste Ableger dieser extremen E-MTB Gattung ist das Nduro 8 Freeride. Der robuste Alu-Rahmen des Nduro mit progressiver Geometrie wurde an diesem Freeride-Modell mit einem edlen 180-Millimeter-Fahrwerk von Öhlins angereichert – inklusive Doppelbrücke an der Front und Stahlfeder im Heck. Neben der Beliebtheit der Marke Haibike dürfte das massive Erscheinungsbild des Nduro 8 Freeride dafür verantwortlich sein, dass sich viele Leser genau diesen Boliden im EMTB-Test gewünscht haben. Für uns ein Grund, das Bike als einen von 8 Kandidaten in unseren großen Test aufzunehmen: “Most wanted - die beliebtesten Bikes der Leser”.
Ihr habt gewählt, welche Bikes wir testen sollen: Readers most wanted - die beliebtestem E-MTBs des Jahres! Unter diesem Motto haben wir aus den Vorschlägen unserer Leser die spannendsten E-Mountainbikes herausgesucht. Exotische Spezialisten, absolute Kassenschlager oder günstiges Discounter-Bike? Alle mussten sich dem objektiven EMTB Test in Labor und Praxis stellen. Eure Lieblinge von Alutech, Bulls, Cube, Haibike, Husqvarna, Olympia, Rockrider und Scott. Bereits erschienen sind folgende:
Der E-Antrieb im Freerider von Haibike stammt von Yamaha, auch das hat bei Haibike Tradition. Doch der kompakte PW-X3 hat mit dem Ur-Modell nicht mehr viel gemein. Modernen Einschlag bringen auch das Mullet-Set-Up und der super steile Sitzwinkel. Damit soll das Bike sowohl bergauf als auch bergab in extremem Gelände bestehen. Das massive Erscheinungsbild spiegelt sich auch an der Waage wider: Mit 27,1 Kilo gehört das Nduro 8 Freeride definitiv zu den Schwergewichten am Markt. Schade, dass sich die robuste Auslegung nicht im freigegebenen Systemgewicht zeigt. 120 Kilo sind ein schwacher Wert, denn Bike, Fahrer und die komplette Ausrüstung zählen hier rein. Fahrer um 90 Kilo überschreiten hier schon die Grenze.
Yamahas PW-X3 ist, entgegen seinen Vorgängern, klein und kompakt. Mit dynamischer Kraftentfaltung und direktem Ansprechen bringt er Spaß im Gelände. Die Power liegt direkt an, selbst wenn man mit dem Fuß das Pedal nur streichelt. Das kann im Alltag nerven, bringt beim Anfahren am Berg und in technischen Sektionen aber Vorteile. Die Maximalleistung liegt klar unter Bosch-Niveau, auch ein aktueller Shimano EP801 oder Brose Drive SMag liefern spürbar mehr Wumms. Der 720er-Akku kann unkompliziert nach vorne aus dem Unterrohr geklappt werden und ist klassisch mit einem Schloss gesichert.
Sehr langer Reach, lange Kettenstreben, langer Radstand: Hier stehen alle Zeichen auf Laufruhe und Fahrstabilität. Zumindest fast: Der Lenkwinkel fällt für ein extremes Abfahrtsgeschoss gemäßigt aus. Trotzdem muss die Geometrie als extrem bezeichnet werden. Radstand und Reach könnten bei manch anderem E-Enduro auch als Größe XL durchgehen. Der Sitzwinkel ist sehr steil, das gibt im Uphill viel Kontrolle. Durch die Länge des Hauptrahmens ist die Sitzposition aber nicht kompakt.
Besonderheit des Haibike-Freeriders ist das hochwertige Öhlins-Fahrwerk, das im Test mit sehr souveräner Funktion überzeugen konnte. Auch Maguras MT7 mit großen Bremsscheiben machen einen hervorragenden Job und Schwalbes Reifenkombi kommt mit supergriffigem Gummi am Vorderrad. Die mechanische GX-Schaltung von Sram und die E-Deemax-Laufräder verrichten klaglos ihre Arbeit, setzen aber keine Glanzlichter. Im Marktvergleich fällt die Ausstattung für den Preis von 7999 Euro ordentlich aus. Nur die Teleskopstütze mit mäßigem Hub von 150 Millimetern müssen wir bemängeln.
Das Haibike Nduro 8 Freeride blüht genau da auf, wo mit vielen anderen Bikes der Spaß endet: auf richtig fiesen, rumpeligen Downhill-Pisten. Mit seiner enormen Länge und dem Schluckvermögen des Fahrwerks schreit es geradezu danach, im extremen Geläuf die Bremsen offen zu lassen. Der lange Reach und nicht allzu hohe Stack spannen den Fahrer dabei in einer sportlichen Position über das Bike, hier kommt eher Race- denn Freeride-Feeling auf.
Auf entsprechenden Pisten (schnell, garstig, nicht zu enge Kehren) würden wir mit dem Haibike gerne auf Sekundenjagd gehen. Griffige Bremsen und Reifen – hier gibt’s nichts zu meckern. Bei langsamer Fahrt lässt sich das Bike allerdings nur schwerfällig handeln, Kurven benötigen Nachdruck, und das Vorderrad lässt sich kaum entlasten. Wer sich durch den Federweg nur ein Komfort-Plus erkaufen möchte, wird von erstaunlich straffem Trimm überrascht. Das Fahrwerk arbeitet zwar absolut souverän und definiert, aber keinesfalls besonders komfortabel. Bei langsamem Tempo fühlt es sich das Nduro 8 Freeride eher straff an. Erst bei rassigem Highspeed-Einsatz blüht es so richtig auf. Immerhin: Das passt zum Gesamtcharakter des rassigen Bikes. Auf klassischen Trails ist das Nduro unterfordert und zu behäbig.
Dafür kann das Bike auch bergauf punkten. Das Vorderrad steigt selbst an steilsten Rampen nicht. Das liegt zum einen am sehr steilen Sitzwinkel und der dadurch weit nach vorne geschobenen Sitzposition. Und zum anderen am langen Hinterbau. So liegt immer genug Last auf dem Vorderrad, selbst wenn es richtig steil wird. Beschränkt wird die Kletterleistung durch die etwas geringere Motorpower. Und auf unruhigem Untergrund könnte die Heckfederung etwas sensibler arbeiten. Zwar steht das Haibike immer hoch im Federweg, mangelnde Traktion am Hinterrad begrenzt aber allzu technische Climbs. Auf langen Flachpassagen ist die Sitzposition trotz des extremen Sitzwinkels nicht zu kompakt, denn der Hauptrahmen ist richtig lang.
Scheucht man das Haibike Nduro 8 Freeride über schnelle, ruppige Downhill-Pisten, gibt es kein Halten mehr. Die extreme Geo und das starke Fahrwerk geben enorm viel Sicherheit. Doch selbst auf vielen Enduro-Trails ist das Bike zu viel des Guten, weil schwer, träge und behäbig. - Florentin Vesenbeckh, stellv. Chefredakteur EMTB Magazin