Laurin Lehner
· 21.12.2024
Downhill gilt als die Formel 1 des Bike-Sports. Die Abfahrtsboliden sind verdammt schnell und oft unvernünftig teuer. Häufig werden sie nur für einen Zweck konzipiert: für den Einsatz im Downhill-Worldcup. So auch unsere beiden Test-Duellanten.
Das brandneue Pivot Phoenix des US-Herstellers aus Arizona kommt mit einer aufwendigen Highpivot-Konstruktion inklusive Doppelkettenantrieb. Pivot nennt das Konzept Mid-High-Pivot DW6. Es soll den Spagat aus feinem Ansprechverhalten und gutem Gegenhalt schaffen. Die Kinematik des Kontrahenten aus Wales wirkt dagegen schlicht. Das Atherton besitzt dafür ein einzigartiges Rahmenkonzept. Es basiert auf Carbon-Rohren, die von 3-Dgedruckten Titan-Muffen zusammengehalten werden. Dank dieser Bauweise können Kunden neben zwölf verschiedenen Standardgrößen auch individuelle Rahmen anfragen. Braucht man das? Nicht unbedingt, doch so mancher Race-Nerd wird sich über diese Option freuen. Beide Bikes rollen auf einer Mullet-Bereifung (29/27,5 Zoll).
Ja, geht es. Während unsere beiden Testbikes an der 10.000-Euro-Marke kratzen, gibt es durchaus Bigbikes, die kosten weitaus weniger und liefern ähnlich viel Spaß und Speed. Als Referenz haben wir das YT Tues Core 4, das uns schon in früheren Tests überzeugen konnte, bei diesem Duell mitlaufen lassen und können sagen: Das YT liegt auf einem Niveau mit unseren beiden Testbikes, kostet aber 3500 Euro weniger als das Pivot. Auch mit dem Propain Rage 3 für 5399 Euro, das wir ebenfalls im Test hatten, kann man bergab ähnlich gut das Gas stehen lassen.
Gefahren sind wir alle Downhill-Bikes übrigens artgerecht auf der Downhill-Strecke in Serfaus-Fiss-Ladis sowie auf der UCI-Worldcup-Strecke in Leogang. Auf den Park-Abfahrten checkten wir Spieltrieb und Wendigkeit der beiden Test-Bikes.
Auch wenn Downhiller dank ihrer massiven Federwegsreserven ideal für den Bikepark-Einsatz geeignet sind, schlägt die Stunde dieser Worldcup-Bikes doch auf der Rennstrecke. Ihre Park-Fähigkeiten bringen manche Downhiller eher zufällig mit. Heißt: Sie sind verspielt genug für Manual-Fahrten und enge Anlieger oder besitzen ein poppiges Fahrwerk für Sprünge. Ohne Frage: Mit unseren beiden Duellanten kann man auch auf Jump-Strecken Spaß haben, doch ihre Spezialität ist das nicht. Das Phoenix wie auch das A.200.1 sind maximal auf Speed getrimmt und sollen den Ansprüchen der besten Downhill-Piloten der Welt genügen.
Mullet- oder 29-Zoll-Bereifung – das Thema wurde von unserem Test-Team intensiv diskutiert. Wir kamen zu dem Schluss: Alles spricht für Mullet. Leichter, wendiger und das Reifenprofil raspelt bei steilen Stufen nicht am Hintern.
Laurin Lehner, BIKE-Testredakteur
Die Geschichte von Atherton Bikes ist beeindruckend. Die Downhill-Geschwister Rachel, Dan und Gee fahren jahrzehntelang erfolgreich im Worldcup und gewinnen auf verschiedenen Bike-Marken. Dann beschließen sie, eine eigene Marke aus dem Boden zu stampfen, und stecken all ihr Know-how in das Projekt. Atherton Bikes wurde geboren. Das war 2019. Seitdem hat ihr Downhillbike schon Worldcup-Siege und sogar zwei Weltmeisterschafts-Medaillen eingefahren. Wir erinnern uns. Charlie Hatton in Fort William 2023 Gold und Andi Kolb Silber. Der Österreicher klebt sich übrigens 500 Gramm Zusatzgewicht unters Tretlager für mehr Fahrstabilität in der Abfahrt. Originell bei dem Label aus Wales: das Titan-Muffen-Konzept.
Im direkten Vergleich zum Kontrahenten Pivot wirkt das Atherton optisch schlicht. Statt auf erhöhten Drehpunkt und Carbon-Chassis mit Glitzerlack setzt das A.200.1 auf einen sechs-gelenkigen VPP-Hinterbau und Rundrohre aus Carbon. Das Design polarisiert im Test-Team. Manchen gefällt der einfache Look, andere finden, der Rahmen sieht aus wie ein zusammen- gesteckter Prototyp. Während der Vorgänger vorne und hinten noch auf 29-Zoll-Rädern rollte, haben die Athertons ihrem neuesten Modell Mullet-Laufräder verpasst – für mehr Freiraum und Kurvenstabilität. Das finden wir gut!
BIKE-Messwerte: Laufradträgheit: Je niedriger der Messwert, desto leichter zu beschleunigen. Gewicht ohne Pedale. Laufradgewicht pro Satz mit Reifen, Kassette, Bremsscheiben. Rahmensteifigkeit: Seitensteifigkeit in N/mm getrennt für das vordere Rahmendreieck inkl. der verbauten Gabel (vorne) und dem Hinterbau (hinten).
Das A.200.1 positioniert den Piloten tief im Rad. Das vermittelt sofort Vertrauen. Die Rahmengröße 7 passte uns mit einer Testergröße von 1,79 Meter gut. Das Fahrwerk arbeitete extrem sensibel und erzeugte massig Traktion. Die 475er Feder im Heck passte für unser Einsatzgewicht von etwa 80 Kilo gut, lag tendenziell aber auf der weichen Seite.
Trotz des hohen Komforts parierte der Hinterbau auch harte Schläge souverän und arbeitete gegen Ende des Federwegs angenehm progressiv, bot zudem ausreichend Gegenhalt. So fühlten wir uns auf der Worldcup-Strecke in Leogang sofort wohl – und schnell! Das stimmig hohe Cockpit mit dem „flexigen“ Lenker gefiel uns besser als das des Kontrahenten Pivot. Selbst in verblockten Abfahrten reagierte das Atherton gelassen, als wolle es dem Piloten signalisieren: „Lass laufen!“ In Highspeed-Kurven kam uns das Heck weicher vor – und angenehmer – als der nominelle Wert aus dem Labor. Wir vermuten, dass die Laufräder hier den Ausschlag gaben. Je länger der Testtag, desto mehr tendierten wir zum gutmütigeren Atherton mit seinem ausgewogenen Komfort-Fahrwerk, während der Duell-Gegner Pivot zwar so präzise wie ein Skalpell durch fieses Gerümpel schnitt, aber spürbar mehr Körner vom Fahrer verlangte.
Auf Parkstrecken mit Anliegern und Sprüngen steuerte sich das Atherton ausreichend handlich, zudem besitzt es genügend Pop für Airtime-Einlagen. Aufs Hinterrad wollte sich weder das Atherton noch das Pivot so recht ziehen lassen. Super: Unser Atherton-Test-Bike war extrem leise.
Das Atherton A.200.1 holt sich mit seiner intuitiven Fahrweise, dem ausgewogenen Sahne-Fahrwerk und der gefälligen Geometrie den Testsieg. Es ist schnell, handlich genug und komfortabler als der Duell-Gegner Pivot
² BEWERTUNG: Spinnendiagramm: Antrieb, Spieltrieb, Downhill bezieht sich auf das Fahrverhalten: Je größer der Ausschlag, desto besser die Eignung. Ausstattung: setzt sich aus unterschiedlichen Punkten wie Qualität/Verarbeitung, Usability zusammen. Die BIKE-Note setzt sich aus Praxiseindrücken der Testfahrer und Labormesswerten zusammen. Die Note ist preisunabhängig. Notenspektrum: 0,5–5,5, analog zum Schulnotensystem.
Der prominenteste Pivot-Racer ist der Brite Bernard Kerr. „BK“, wie er in der Szene genannt wird, gilt als einer der talentiertesten DH-Racer überhaupt. Seit rund zwei Jahren fährt er den Phoenix-Prototyp und startete damit bei Worldcups und der Red Bull Hardline. Jetzt ist das Bike endlich auch für uns Hobby-Racer verfügbar. Der schicke Carbon-Rahmen ist definitiv ein Eyecatcher, das Herzstück ist allerdings die aufwendige Hinterbaukonstruktion. In dem von Kinematik-Koryphäe Dave Weagle entwickelten 6-Gelenker-System arbeiten zwei Ketten entkoppelt voneinander in einem sogenannten Mid-Low-Drehpunkt. Das soll Pedalrückschlag verhindern und Speed aus dem Hinterbau kitzeln. Für Harmonie mit dem Heck und ein Plus an Bodenfreiheit soll die spezielle Kettenführung sorgen. Nachteil: Viele bewegliche Teile sind in der Regel wartungsintensiver.
¹ BIKE-Messwerte: Laufradträgheit: Je niedriger der Messwert, desto leichter zu beschleunigen. Gewicht ohne Pedale. Laufradgewicht pro Satz mit Reifen, Kassette, Bremsscheiben. Rahmensteifigkeit: Seitensteifigkeit in N/mm getrennt für das vordere Rahmendreieck inkl. der verbauten Gabel (vorne) und dem Hinterbau (hinten) rer Teststrecke merkt man, für wen und für welche Strecken dieses Bike entwickelt wurde: Geometrie und Fahrwerk sind maximal auf Speed getrimmt.
Der Fahrer steht im Phoenix gut integriert im Rad. Die Front ist etwas tief. Schon auf den ersten auf unserer Teststrecke merkt man, für wen und für welche Strecken dieses Bike entwickelt wurde: Geometrie und Fahrwerk sind maximal auf Speed getrimmt. Der Hinterbau glänzte umso mehr, je schneller wir unterwegs waren, und sorgte für viel Traktion. Das Plus an Hub im Heck (210 mm) war jedoch nicht zu spüren. Sauschnell – ja! Komfortabel – eher nein. Das flache und lange Phoenix steuerte sich mit seiner steifen Front extrem präzise und schnitt wie eine Rasierklinge durch fieses Geröll. Für mehr Komfort stimmten wir das Pivot schrittweise weicher ab (vorne: 71, 65, 61 PSI; hinten: 230, 215, 200 PSI). Der Charakter änderte sich dadurch aber nur geringfügig.
Auf zahmeren Passagen gab das Luft-Heck wenig Federweg frei und pumpte sich so effizient auf Speed. In Highspeed-Kurven rollte das Phoenix wie auf Schienen, lieferte viel Gegendruck und spritzte aus Turns mit so viel Wumms, dass wir uns über die bissige Saint-Bremse freuten. Ein Tester kommentierte: „Krank schnell, aber das Ding kostet Körner.“ Dem stimmten auch die anderen Tester zu. Wer mit dem Pivot auf der Worldcup-Strecke in Leogang vom Start bis ins Ziel durchfahren will, braucht eine sehr hohe Fitness. Guter Beweis dafür: Gegen Ende des langen Testtags griffen alle Tester vorzugsweise zum gutmütigeren Atherton. Als Hobby-Racer muss man über ein gewisses Skill-Level verfügen, um mit diesem Bike Spaß zu haben. Hier gab sich der Duell-Gegner Atherton A.200.1 deutlich intuitiver und gefälliger als das Phoenix.
Auf Parkstrecken gefiel uns das zu Beginn des Federwegs straff arbeitende Heck. Pop hatte es zudem auch. Mit 444 Millimetern fallen die Kettenstreben zwar moderat aus, aufs Hinterrad bekamen wir das lange Phoenix aber dennoch kaum. Zu meckern gab’s schließlich auch noch was: Die beiden Ketten klapperten bei uns und die Saint-Bremse pfiff nervig.
Das Pivot Phoenix ist sauschnell und hat ein originelles, aber auch unnötig kompliziertes Hinterbaukonzept. Das Bike erfordert ein hohes Können und viel Fitness, um viel und lange Spaß damit zu haben. Der Einsatzbereich ist spitz. Eingefleischte Downhill-Racer werden es jedoch lieben, das können wir garantieren.
² BEWERTUNG: Spinnendiagramm: Antrieb, Spieltrieb, Downhill bezieht sich auf das Fahrverhalten: Je größer der Ausschlag, desto besser die Eignung. Ausstattung: setzt sich aus unterschiedlichen Punkten wie Qualität/Verarbeitung, Usability zusammen. Die BIKE-Note setzt sich aus Praxiseindrücken der Testfahrer und Labormesswerten zusammen. Die Note ist preisunabhängig. Notenspektrum: 0,5–5,5, analog zum Schulnotensystem.
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