Florentin Vesenbeckh
· 14.11.2023
In der Vergangenheit gab es eine Art Gewaltenteilung in der E-MTB-Branche. Bikes waren entweder brachiale Akku-Monster, die zwar massig Reichweite, mit ihrem hohen Gewicht aber auch ein völlig plumpes Fahrgefühl boten. Auf der anderen Seite gab es Räder mit kleiner Batterie, die das Thema Reichweite ans Ende des Lastenhefts stellten und geringes Gewicht und gutes Bike-Handling priorisierten.
Dazu gehörte auch das erste Canyon Torque:On, das mit 500 Wattstunden eher mickrig bestückt war (Test des ersten Torque:On). Der Nachfolger, das neue Torque:On CF, hat jetzt mit satten 900 Wattstunden einen rekordverdächtig dicken Tank - und soll trotzdem auf fiesesten Abfahrten mit gutem Handling brillieren. Ein Paradigmenwechsel. Dafür gibt´s einen Vollcarbonrahmen, ein ausgeklügeltes Fahrwerk und ein eigens von Canyon entworfenes Akku-Konzept. Doch reicht das, um aus dem Brummer einen guten Abfahrer zu machen?
Alleinstellungsmerkmal des Torque:On CF ist das Akku-Konzept, das Canyon bereits mit dem neuen Spectral:On CF eingeführt hat. Ins Unterrohr passen wahlweise 720 oder 900 Wattstunden, die Batterien können nach unten aus dem geschlossenen Unterrohr herausgezogen und ohne Adapter beliebig getauscht werden. Mit dem großen Akku stellen die Canyon-Bikes die absoluten Reichweitenkönige. Bei unserem standardisierten Reichweitentest hält diese Motor-Akku-Kombi die absolute Bestmarke. Erfreulich: Dennoch bleibt das Gesamtgewicht der Bikes im Rahmen.
Das gilt auch für das Torque:On CF, das mit 24,6 Kilo zwar kein Leichtgewicht ist, doch dieser Wert geht in Anbetracht der massiven Federelemente und des Riesen-Akkus mehr als in Ordnung. Mit der kleineren 720er-Batterie lassen sich theoretisch noch 900 Gramm einsparen. Ihre Energie liefern die Akkus an Shimanos EP8-Motor. Leider steckt in den aktuellen 2023er-Modellen tatsächlich noch nicht der etwas stärkere, neu aufgelegte EP801 (zum Test: Shimano EP801).
Länge läuft! Das ist die klare Marschroute beim Torque:On CF. Der Radstand nimmt mit 1310 mm in Größe L Rekordwerte an, auch der Reach ist super lang. Insgesamt fällt das Bike sehr groß aus, so dass wir im Zweifel zur kleineren Rahmengröße raten würden. Der Sitzwinkel fällt auf dem Papier recht steil aus, bei weitem Sattelauszug und bei eingefedertem Dämpfer hätten wir uns allerdings eine zentralere Sitzposition weiter vorne über dem Bike gewünscht. Vier Größen von S bis XL stehen zur Wahl.
In die Vollen geht Canyon beim Fahrwerk. Fox 38 Gabel und X2-Dämpfer aus der Factory-Reihe mit Kashima-Beschichtung und massig Einstellungsoptionen. Mehr geht nicht. Schaltung und Bremsen kommen aus Shimanos XT-Regal. Wenig begeistern können allein die günstigen Sunringle-Laufräder und der wenig robuste Hinterreifen mit der Trail-Karkasse Exo+. Zu wenig für einen Mini-Downhiller mit 180 Millimeter Federweg. Immerhin sorgt am Vorderrad ein Maxxis Assegai mit dem klebrigen MaxxGrip-Gummi für Traktion. Top: Die Teleskopstütze bietet mit 200 mm einen üppigen Verstellweg.
Downhill-Legende Fabien Barel selbst, der an der Entwicklung des Bikes maßgeblich beteiligt war, bezeichnet den neuen Wurf von Canyon als Mini-Downhiller. Und das ist keine Übertreibung. Wer ein E-MTB sucht, mit dem er auf schnellen, ruppigen Downhill-Pisten auf Sekundenjagd gehen kann, findet vermutlich kaum ein schnelleres E-Bike. Die Laufruhe und die Nehmerqualitäten des Torque:On CF sind phänomenal. Hier spielt der enorme Radstand seine Trümpfe aus. Egal ob fieses Steilstück, übles Steinfeld oder dicke Drops und Sprünge, das Bike vermittelt richtig viel Sicherheit. Auch die Heckfederung bleibt in jeder Situation souverän. Der Charakter ist dabei aber weniger sänftenartig, sondern betont sportlich und definiert. Das werden besonders versierte Fahrer zu schätzen wissen. Das führt auch dazu, dass das Bike auch in ruhigeren Fahrsituationen lebendig bleibt und nicht im Hub des Dämpfers versackt.
So sehr uns das Torque:On bei wilden Abfahrten und Highspeed überzeugen konnte: Das sportlich-straffe Fahrwerk und die lange Geometrie haben auch Nachteile. Denn erst bei versierten Piloten und echten Vollgas-Ritten kann das Torque:On sein Potenzial voll entfalten. Wer bergab mit moderatem Tempo unterwegs ist, erntet ein eher sperriges Bike und wird den Hub der Heckfederung kaum ausnutzen können. Kaum ein E-MTB war je so klar auf Experten ausgerichtet.
Wenn es steil bergauf geht, kommt man schnell in Versuchung, den Sattel ganz nach vorne zu schieben und die Nase etwas nach unten zu kippen. Denn die Kombi aus tief in Hub stehendem Dämpfer, rutschigem Sattel und hecklastiger Sitzposition macht sonst die Fahrposition an steilen Rampen zu passiv. Zur echten Bergziege avanciert das Torque:On CF dadurch nicht. Hat man ein passendes Setup gefunden, nimmt der Freerider auch steile Stiche souverän. Das Fahrwerk arbeitet sehr aktiv und bietet massig Traktion. Wenn es richtig technisch wird, fehlt aber eine aktivere Position und ein spritzigerer Motor. Das zeigt, dass der Carbon-Bolide für eine andere Disziplin entworfen wurde. Den Downhill.
Ganz ehrlich: Wer sich mit dem vielen Federweg nur ein besonders komfortables Touren-Bike erkaufen möchte - dem würden wir nicht gerade zum Torque:On raten! Das Handling ist auf wirklich aktive und versierte Biker ausgelegt, das gilt auch für das explizit definierte Fahrwerk. Auch die etwas hecklastige Sitzposition ist für gemütliche Ausfahrten nicht ideal. Wer das Thema “Tour” allerdings im Sinne eines langen, extremen Enduro-Rides interpretiert, der wird mit dem riesigen Akku und damit enormer Reichweite sicher seine Freude haben. Mehr geht kaum!
Konsequenter Mini-Downhiller mit Mega-Reichweite und ebenso krasser Abfahrtsstärke. Die Kombi aus Riesen-Akku und top DH-Performance beeindruckt und ist einzigartig am Markt. Ausrichtung und Charakter des rassigen Torque:On CF sind jedoch spitz. - Florentin Vesenbeckh, Testleiter EMTB Magazin