Jan Timmermann
· 14.07.2024
Es ist schon eine ganze Weile her, dass man den Schriftzug “Storck Adrenalin” im Startblock eines Marathons entdecken konnte. Das generalüberholte Adrenalin.2 wird sich in einem Racebike-Shootout beim Mehrtages-Rennen Alpentour in Schladming beweisen müssen und als mein Blick die 400 Teilnehmer und Teilnehmerinnen schweift, ist kein einziges Storck zu entdecken. Zu Unrecht? Lange stand das deutsche Unternehmen für schnelle, leichte Bikes aus edler Kohlefaser und mit auffälligem Look. Heute scheint sich das Kerngeschäft auf Rennräder zu konzentrieren. Umso größer die Freude, als das Storck Adrenalin bei der Eurobike 2023 seine Wiedergeburt erlebte. Bislang mussten Storck-Fans sich jedoch noch in Geduld üben. In den Shops wird es das 120-Millimeter Marathon-Fully erst ab Ende August 2024 zu Kaufen geben. Wir konnten uns ein Storck Adrenalin.2 Testbike sichern und es in einem echten UCI-Marathon-Rennen mit der Konkurrenz von Cervélo und Mondraker vergleichen.
Bei der ersten Bestandsaufnahme zeigt unser Storck Adrenalin.2 zwei Gesichter. Aufgrund von Schwierigkeiten bei der Verfügbarkeit ist es das einzige Bike dieses Vergleichs in Rahmengröße L. Um unseren 190 Centimeter großen Test-Redakteur zu passen, wurden ein 80 Millimeter langer Vorbau und eine Variostütze mit satten 175 Millimetern Hub verbaut. Der Reach-Wert des Carbon-Rahmens erreicht auch in Größe XL nicht die Ausmaße des Mondrakers und die Sitzrohre bauen bei Storck eher lang. Ansonsten braucht sich das Chassis aber keinesfalls zu verstecken: Bei Sitz- und Lenkwinkel haben wir dieselben progressiven Werte gemessen, wie bei der spanischen Konkurrenz. Hier gibt sich das Storck sogar moderner, als das Cervélo. Allerdings hat es im Vergleich zu diesem einen heftigen Nachteil beim Rahmengewicht. Ohne Flex-Pivot-Design wiegt der Storck-Rahmen 408 Gramm mehr, als der des Cervélo - und das in der kleineren Rahmengröße. Dass das Adrenalin beim Komplettgewicht trotzdem vor Cervélo und deckungsgleich mit dem Mondraker landet, verdankt das Storck vor allem seinen leichten Laufrädern.
Diese beiden Marathon-Fullys haben wir auch auf ihre Race-Tauglichkeit hin getestet:
Tatsächlich ergibt sich beim Blick auf den Laufradsatz erst einmal ein Fragezeichen. Felgen mit 25 Millimeter Innenweite und 2,2 Zoll schmale Reifen gehören bei hochwertigen Race-Bikes seit vielen Jahren nicht mehr zum Standard und sind inzwischen sogar bei einigen Gravelbikes zu finden. Ob hier der Dropbar-Einfluss von Storck zu spüren ist? Immerhin sieht Storck die Upgrade-Möglichkeit auf Carbon-Laufräder mit 30 Millimeter Innenweite vor. In der schmalen Konfiguration erreicht das Adrenalin.2 auf dem Laufrad-Prüfstand die mit Abstand besten Beschleunigungswerte. Im Abgleich mit der Konkurrenz scheinen auch andere Ausstattungsdetails des Storck etwas aus der Zeit gefallen: Sram Level Bremsen ohne Stealth-Standard und eine Sram GX Eagle AXS Schaltung ohne Transmission-Technologie scheinen noch auf dem Stand des Vorjahres zu sein. Ob das in der Praxis Punkte kostet?
Es ist kein Zufall, dass ich das Storck als Partner für den ersten Wettkampftag wähle, denn ich muss zugeben: Angesichts der Reifenwahl bleibt etwas Skepsis. Auf der ersten Etappe mit trockenen Streckenverhältnissen, 50 Kilometern und 2130 Höhenmetern mit vielen Asphalt-Anstiegen und Schotter-Abfahrten wird sich diese jedoch als völlig unbegründet herausstellen. Auf festem Untergrund und in der Ebene rollt das Storck schneller als das Mondraker und erst recht als das Cervélo. Ein Lenker-Remote fehlt zwar leider, das Fahrwerk agiert aber auch im offenen Modus eher straff. Entsprechend viel Gegenhalt bietet der Hinterbau beim Weg durch den Federweg. Zum Pedalieren ist das super. In der Federung des Storck Adrenalin.2 verpufft kaum Energie und die Plattform-Hebel der Fahrwerkskomponenten können einen vollständigen Lockout herbeiführen.
Storck kombiniert einen Riser-Lenker mit einem 76,5 Grad steilen Sitzwinkel. Daraus ergibt sich eine kompakte Sitzposition, die auch bei langen Stunden im Sattel nicht unangenehm wird. Dank kurzen Steuerrohr und steilem Sitzwinkel lässt sich auf der Sattelspitze jede Menge Druck auf die Pedale geben. Steile Rampen erklettert das Storck so ausgesprochen gut. So gut, dass meine Wahl am vierten Tag der Alpentour nochmals auf das Adrenalin.2 fällt. Auf der letzten Stage steht nämlich ein Einzelzeitfahren am Berg an. Für die 1100 Höhenmeter unter körperlicher Volllast ist das Storck bestens geeignet, obwohl mir der Rahmen nominell einen Ticken zu klein ist. Trotz 34er Kettenblatt schaffe ich es mit dem Adrenalin die teilweise 22-prozentige Steigung auf Trail sitzend zu erklimmen. 1:06h steht am Ende auf der Zeitmessung.
Auch in Trail-Anstiegen windet sich das Storck Adrenalin.2 geschickt den Hang hinauf. Die Traktion passt, über dem nicht zu langen Oberrohr lässt sich das Gewicht jederzeit gut verteilen. Beim Bergzeitfahren ist die Fahrspur teilweise sehr eng und mit anderen Fahrern verstopft. Auch hier kann das kompakte Storck punkten und wuselt dank kurzem Radstand einfach um alle Uphill-Hindernisse herum. Beim Einzel-Zeitfahren gehe ich an meine körperlichen Grenzen, wie niemals zuvor. Am Ende werde ich mit meiner besten Tagesplatzierung des Etappenrennens belohnt: Platz 18 in der Klasse Men III. Am letzten Tag der Alpentour konnte das kletterstarke Storck also nochmal richtig punkten. Allerdings ging es auch fast ausschließlich bergauf. Auf der ersten Marathon-Stage des Rennens zeigte sich aber mehr vom Charakter des Adrenalin.2.
Zurück zum ersten Tag der Alpentour Schladming. Genau, wie die Uphill-Stärken des Storck auf Anhieb auffällig sind, machen sich direkt einige Details bemerkbar. Allen voran die wuchtigen Gummi-Griffe, welche Storck seit Jahrzehnten an fast allen Flatbar-Bikes verbaut - egal, ob MTB oder City-Rad. Auch hier verflog die anfängliche Skepsis während des Praxis-Tests. Ungeachtet der provokanten optischen Erscheinung, liegen die Hände auf den Gummis gut auf und können zwei Griffpositionen nutzen. Die Lamellen erzeugen in der Abfahrt eine bessere Dämpfung, als die Silikon-Griffe am Cervélo, und bieten Platz zum Einkrallen an richtig steilen Uphill-Rampen. Das Sram GX Eagle AXS Schaltwerk ohne Transmission-Standard wechselt die Gänge sogar schneller, als die neuere Version am Cervélo, hat beim Schalten unter Last aber das deutliche Nachsehen.
Auch wenn die Sram Level TL Bremsen beim ersten Abgleich mit den anderen Kandidaten etwas veraltet wirken, überraschen sie im Praxis-Test trotz zweier Kolben mit der besten Bremspower im Test. Das dürfte jedoch nicht an den Stoppern selbst liegen, sondern an der Kombination mit den dickeren, schwereren Sram HS2 Bremsscheiben, welche mit Hitze besonders gut umgehen können. Insgesamt eine ungewöhnliche aber gut funktionierende Bremsen-Kombination. Weniger gut: Die Carbon-Wippe baut so breit, dass austrainierte Marathon-Wagen schon mal an ihr schleifen können. Ein No-Go ist der dürftige Rahmenschutz. Nur ein winziger Aufkleber bedeckt die Kettenstrebe, ansonsten ist das Chassis nackt. In Rumpel-Abfahrten schlägt die Kette laut gegen das Carbon und aufgewirbelte Steine knallen ungehindert ans Unterrohr.
In Sachen Flaschenhalter geht Storck beim Adrenalin.2 unkonventionelle Wege. Anstatt am Sitzrohr findet sich eine zweite Aufnahme auf dem Unterrohr. Um beide in der Praxis nutzen zu können, sind zwei Sideloader-Flaschenhalter notwendig. Maximal 1,5 Liter können so in Reihenschaltung transportiert werden. Die Leitungen laufen, wie bei der Konkurrenz in diesem Test durch den Steuersatz ins Rahmeninnere. Allerdings setzt Storck auf eine eigene Abdeckung mit einzelnen Öffnungen für die jeweiligen Züge. Der edle Metallic-Lack mit den goldenen Logos weiß zu gefallen!
Wenn das Storck auf die Test-Konkurrenz im Uphill Plätze gut machen kann, verliert es diese leider leicht wieder in der Downhill-Wertung. Dabei ist das Adrenalin.2 bei Weitem kein schlechter Abfahrer. An die beeindruckende Laufruhe des Mondraker und das unaufgeregte Handling des Cervélo kommt das Storck jedoch nicht heran. Während die Front mit einem 66,5 Grad flachen Lenkwinkel und der edlen Fox 34 Factory Gabel bergab gut liegt, zickt der straffe Hinterbau. Das Heck reicht viel Feedback an den Fahrer weiter und auch die schmalen Reifen geizen mit Dämpfung.
Auf gebauten Bikepark-Pisten kann das straffe und agile Storck Adrenalin.2 Spaß machen, denn der Gegenhalt im Fahrwerk animiert zum Pushen über Wellen und zum Abziehen an Sprüngen. Auf der Marathon-Langstrecke muss der Fahrer allerdings einige Prügel einstecken. Trotz flacher Geometrie besitzt das Storck bergab so das reaktivste und anstrengendste Fahrverhalten. Den sehr heißen, ersten Fahrtag der Alpentour beende ich mit einem guten 21. Platz in meiner Kategorie, habe aber noch Stunden nach Renn-Ende mit fiesen Muskelkrämpfen zu kämpfen.
Auch, wenn die Ausstattungsliste unseres Storck Adrenalin.2 Testbikes etwas ‘oldschool’ wirkt, ist es dennoch ein sehr starkes Marathon-Fully für Racer mit guter Fitness. Dank straffem Fahrwerk und schnellen Laufrädern ist es die beste Wahl, wenn in kurzer Zeit viele Höhenmeter erklommen werden sollen. Trotz 120-Millimetern Federweg und flachem Lenkwinkel bietet das Bike in der Abfahrt nur wenig Potential für Erholung. Bei kleinen Details hat Storck noch Hausaufgaben zu machen.