Jan Timmermann
· 12.03.2024
Specialized startet mit einem Paukenschlag ins Modelljahr 2024 und präsentiert unter dem Epic-Namen zwei neue Fullys der Superlative. Das Specialized Epic S-Works 8 ist nicht nur das aktuell teuerste Serienbike der XC-Welt, sondern auch das erste mit dem neuen elektronischen Flight Attendant Fahrwerk von Rockshox. Es hat an Federweg zugelegt und an Gewicht abgenommen - eine explosive Mischung für den Race-Kurs. Der Zeitpunkt könnte nicht passender sein: Im Olympia-Jahr und kurz vorm Start des legendären Cape Epic Etappenrennens dürfte das Epic ein heißer Anwärter aufs Treppchen sein. Doch damit nicht genug. Specialized zaubert gleich ein zweites spannendes Bike aus dem Hut: Der Downcountry-Bruder Epic Evo wildert ab sofort im Trailbike-Segment. Auch hier gibt’s nun mehr Hub und den optimierten Carbon-Rahmen.
In diesem Artikel zeigen wir alle Details der neuen Epic-Familie, geben Auskunft zu Modellen sowie Preisen und tauchen wir tief in die spannende Entwicklungsarbeit bei Specialized ein. Vorhang auf für das neue Epic-Duo von Specialized!
Diesen Slogan etablierte Specialized bereits vor vielen Jahren. Getreu dem Motto “Erfinde dich neu oder stirb” haben sich die Amerikaner seit den Anfangsjahren des Mountainbikens einen Namen für innovative Bikes gemacht. Vor allem das Cross Country- und Marathon-Modell Epic galt in der Szene schon immer als Technologieträger. Lange setzte man dafür auf das “Brain-System”, welches mithilfe eines Massenträgheitsventils die Losbrechkraft der Federung regulierte. Damit ist 2024 Schluss. Lässt man Modelle mit nur kleinen Detailveränderungen aus, steht nun bereits der achte Innovationssprung fürs Specialized Epic an.
Es wäre nicht das Jahr 2024, wenn Specialized für sein prunkvollstes Rennpferd nicht voll auf Elektronik setzen würde. Das neue Epic 8 wird als erstes Bike mit mit dem Rockshox Flight Attendant XC Fahrwerk der Öffentlichkeit präsentiert. Zeitgemäß erhält das XC-Fully ein Federwegs-Plus und ein Geometrie-Update. Das überarbeitete Epic hat nun 120 Millimeter Federweg vorne wie hinten und baut länger sowie flacher. Dazu kommt ein rundum erneuerter Rahmen und einiges mehr an Hightech-Entwicklungen. In der sündhaft teuren S-Works-Variante dürfte das Specialized Epic 8 aktuell eines der spannendsten Cross Country-Bikes überhaupt sein. Durch das volle Rockshox-Ökosystem trägt das futuristische XC-Fully neun einzelne Batterien bei sich: Schaltwerk, Schalthebel, Teleskopstütze, Dropper-Remote, zwei Luftdruckprüfer, Powermeter, Dämpfer und Gabel wollen mit Energie versorgt werden.
Trotz 120-Millimeter-Fahrwerk soll das neue Specialized Epic nichts an Effizienz eingebüßt haben. Zur Anpassung der Kinematik an die Bedürfnisse moderner XC-Racer wurde der untere Dämpfer-Link neu platziert. So wollen die Entwickler die Anti-Squat-Werte des Epic optimiert und das Wippen des Hinterbaus unter Last um 20 Prozent im Vergleich zum Epic Evo des vorherigen Modellzyklus reduziert haben. 12 Prozent mehr Schläge und Vibrationen soll der neue Hinterbau verdauen.
Nicht nur das neue Flight-Attendant-Fahrwerk am Epic S-Works, sondern auch die nicht-elektronischen Rockshox-Fahrwerke an den günstigeren Modellen machen die enge Kooperation zwischen den beiden US-Marken deutlich. Hier kommt eine auf dem dreistufigen 3P-System des Rockshox Sid Fahrwerks basierende Druckstufe zum Einsatz, die von Specialized speziell für den Hinterbau des Epic feingetuned wurde. Besonders die mittlere Einstellung preist die Entwicklungsabteilung als echten Alleskönner an. Für 80 Prozent der Rennsituationen soll der “Magic Middle” Modus optimal sein. Im Vergleich zum Vorgänger will das neue Epic bei Racern außerdem durch einen nun strafferen Lockout punkten.
Die neue Geometrie des 2024er Specialized Epic erinnert stark an Bikes mit mit noch mehr Federweg. Werte, wie etwa ein Lenkwinkel von 65,9 Grad, kannte man bisher eher aus dem Trailbike-Bereich. Mittels eines Flip-Chips in der Dämpferaufnahme lässt sich die Geo um 0,5 Grad steiler stellen, was zudem eine Anhebung des Tretlagers um fünf Millimeter bewirkt. Mit 333 Millimetern Höhe in Größe L steht dieses selbst in der High-Einstellung eher tief, was eine gute Trail-Lage begünstigen soll. Auch der ausladende Reach des neuen Epic-Rahmens (475 mm in Größe L) war bisher eher Trailbike-Terrain. In Ergänzung werden alle Rahmengrößen mit einem 760 Millimeter breiten Lenker und einem für XC-Verhältnisse kurzen 60-Millimeter-Vorbau ausgeliefert. Ein Sitzwinkel von 75,5 Grad soll für ordentlich Druck auf dem Pedal sorgen.
Obwohl der Rahmen des Specialized Epic über alle Größen hinweg länger geworden ist, neuerdings mit SWAT-Staufach im Unterrohr kommt, einen Lenkanschlagsbegrenzer besitzt und durch mehr Protektoren geschützt wird, spart das überholte Design am S-Works rund 76 Gramm im Vergleich zum Vorgänger (Herstellerangabe). Zu diesem Abgleich zieht Specialized allerdings das alte Epic EVO mit 120 Millimetern Federweg heran. Im Bezug zur minimalistischen 100-Millimeter-Rennfeile, die nun in Ruhestand geschickt wird, legt der Epic-Rahmen tatsächlich 241 und das S-Works-Komplettbike satte 750 Gramm (BIKE-Messung) zu. Den 2024er Epic-Rahmen wird es in zwei verschiedenen Carbon-Güten geben. Nur das 14.500 Euro teure S-Works-Modell kommt mit dem ausoptimierten FACT 12M-Rahmen. Nach unser eigenen BIKE-Messung bringt es dieser in Rahmengröße L auf 1682 Gramm ohne Dämpfer.
Aufgebaut in der S-Works-Variante bleibt die Laborwaage beim Specialized Epic 8 bei 10,4 Kilo in Größe L und ohne Pedale stehen. Der Einsatz von Carbon spart allein an der Dämpferverlängerung 20 Prozent Gewicht. Zusammen mit einer Hardware aus Titan, einer reduzierten Kabelführung und von Hand verlegten Carbonfasern der aller obersten Güte führt das zu einer Gewichtsersparnis von rund 110 Gramm (Herstellerangabe, BIKE-Messung Größe L: 190 Gramm) gegenüber den FACT 11M-Rahmen der günstigeren Modelle.
Die Epic-Rahmen aus FACT 11M Carbon verfügen über eine konventionelle Zugführung, bei der die Leitungen hinter dem Steuerrohr im Rahmen verschwinden. Zwar wird es das S-Works Epic auch in leichter 12M-Variante als Rahmenkit geben, dann allerdings ohne Rockshox Flight Attendant System. Für dessen vollen Funktions-Spektrum braucht es ohnehin das Sram-AXS-Ecosystem, sodass die neue Technologie dem Komplettbike vorbehalten ist. Der Rahmen verfügt über größenspezifische Steifigkeiten, wobei das Design der Rohre und Knotenpunkte eine größere Rolle spielt, als zusätzliches Material. Dadurch sollen die Rahmengewichte unterschiedlicher Größen nahe beieinander liegen. Entgegen aktueller Trends verzichtet Specialized auf größenabhängige Kettenstrebenlängen, sondern setzt durchweg auf den Wert von 435 Millimetern. Auch gegen eine Flatmount-Aufnahme der hinteren Bremse haben sich die Entwickler entschieden.
Hinsichtlich des Rahmengewichts platziert sich die teure S-Works-Variante im Vergleich mit anderen aktuellen Racebikes im oberen Mittelfeld. Erstaunlich ist, dass der FACT 11M Carbonrahmen des neuen Trailbikes Epic EVO mit seinen 1872 Gramm selbst im Feld der Racebikes mithalten kann.
Ursprünglich war das Epic Evo als Downcountry-Modell mit 120 Millimetern Federweg konzipiert. Nachdem das XC-Modell Epic im neuen Modelljahr diesen Platz einnimmt, wächst der Evo-Bruder in eine höhere Federwegsklasse und bietet nun 130 Millimeter vorne. Hinten bleibt der Hub Federweg von 120 Millimetern erhalten. Interessanterweise teilen sich die auf den ersten Blick ungleichen Geschwister ein und denselben Rahmen. Verantwortlich für die Unterschiede in Hub und Geometrie sind lediglich unterschiedlich lange Federelemente. Apropos: Das Epic Evo verzichtet komplett auf das neue Flight-Attendant-System von Rockshox und kommt mit einem stärker auf Abfahrt gepolten Ausstattungspaket, wie etwa mit aggressiveren Reifen.
Wo das Specialized Epic bereits eine progressive Richtung einschlägt, geht das Epic Evo noch einen Schritt weiter. Nach eigener Aussage der US-Ingenieure ist die Geometrie des Grenzgängers zwischen Trail- und Downcountry-Bike “ziemlich extrem”. In der flachen Flip-Chip-Einstellung steht der Lenkwinkel 65,4 Grad flach. Aufgrund der längeren Gabel fallen die Reach-Werte des Evos minimal kürzer aus, als die des Epic. Das Epic Evo kommt ausschließlich mit Rahmen aus FACT 11M-Carbon. Auch die Teile-Liste sagt ganz deutlich, dass das Evo ein Bike für anspruchsvolle Trails ist. Insgesamt dürfte sich die neue Produktfamilie des Specialized Epic auch dank seiner variablen Rahmenplattform wohl viele Freunde machen.
Kaum zu glauben, wie vielseitig Racebikes heute sein können. Das neue Specialized Epic ist viel mehr als ein asketischer Sportler. Auch dank Rockshox Flight Attendant Fahrwerk ist das XC-Fully absolut zukunftsweisend. Derweil macht das nicht zu schwer geratene Specialized Epic Evo auch bei größeren Trail-Abenteuern und selbst im Bikepark ordentlich Tempo. - Jan Timmermann, BIKE-Testredakteur
Mit unglaublichen 14.500 Euro sichert sich das neue S-Works Epic den fragwürdigen Titel “teuerstes Serien-MTB der Welt” noch vor dem Scott Spark RC für 13.999 Euro. Begründet wird der Preis-Wahnsinn durch das exklusive Rockshox Flight Attendant Fahrwerk, den ausoptimierten FACT 12M Carbonrahmen und die High-End-Ausstattung. Zum nächst günstigeren Modell klafft ein 5000 Euro großes Loch.
Ein Foto des Comp-Modells veröffentlicht Specialized zum Launch noch nicht.
Die stetige Weiterentwicklung des Cross-Country-Sports ist auch an der Entwicklungsabteilung von Specialized nicht spurlos vorbei gegangen. Früher galt die Prämisse: Je steifer ein Racebike, desto schneller. XC-Rennen werden jedoch nicht länger ausschließlich bergauf gewonnen. Entscheidend ist auch die Energieeinsparung und Souveränität bergab. Ziel für den neuen Epic-Rahmen war es die sicherheitsvermittelnde Länge und geschätzte Vielseitigkeit eines Trailbikes mit der faszinierenden Effizienz eines Racebikes zu vereinen.
Viele Specialized-Teamfahrer wussten das bereits in der Vergangenheit zu schätzen. So war Marathon-Weltmeisterin Annika Langvad beispielsweise nicht die einzige Fahrerin, die für das Cape Epic Etappenrennen das Epic Evo dem Epic vorzog. Mehr Reserven bei Fahrwerk und Geometrie führte auf langen, unvorhersehbaren Strecken zu weniger Ermüdung. Auch, wenn es im XC-Worldcup über fahrtechnisch besonders anspruchsvolle Kurse ging, griff das Team regelmäßig zum Evo. Die Evolution des “alten” Epic war so nur eine Frage der Zeit.
Man könnte sagen: Für 2024 ist das alte Epic Evo das neue Epic. So beschwerte sich Tour-de-France-Star und MTB-Racer Peter Sagan, als er das neue Epic geliefert bekam: “Ich will doch ein Racebike. Warum habt ihr mir das Evo geschickt?” Inzwischen ist aber auch Sagan ein großer Fan der Neuentwicklung. Als er damit zum ersten Mal durch ein Steinfeld fuhr soll er gerufen haben: “What the hell is this?” Die Logik hinter der Entwicklungsrichtung scheint klar: Geo und Fahrwerk lassen weniger Vibrationen zum Fahrer vordringen und schützen diesen vor Ermüdung. Das neue Specialized Epic soll in XC- und Trail-Situationen sogar noch kompetenter sein, als das alte Evo. Die Amerikaner behaupten gewohnt selbstbewusst, das 2024er Epic sei das fähigste 120er-Bike des Planeten. Ob das wirklich stimmt, zeigt der BIKE-Test.
Das neue Epic ist vielseitiger als jemals zuvor. Die neue Geometrie ermöglicht mir Kurven und Abfahrten mit unglaublicher Kontrolle und Sicherheit. - Haley Batten, Specialized Factory Racing
Natürlich hat Specialized nicht einfach den alten Evo-Rahmen umgelabelt, sondern viel Hirnschmalz in die Neuentwicklung des Epic Racebikes gesteckt. Ein ganzes Team aus Ingenieuren mit Hintergründen aus dem Formel-Eins- und Race-Truck-Sport widmete sich der Aufgabe. Testfahrer wurden mit Beschleunigungssensoren ausgestattet, um die in Rennsituationen wirkenden Kräfte auf den Rahmen und die Laufräder zu messen. Das achtköpfige Ride-Dynamics-Team kümmerte sich derweil um das Feintuning der Kinematik. Effizienz stand trotz gewachsenem Federweg weit oben auf der Wunschliste. Auch das neue Specialized Epic sollte noch die Brain-Philosophie in sich tragen.
Die direkte Kraftübertragung des neuen Epic konnte ich sofort spüren. Jedes Watt wird sofort in Vortrieb umgesetzt. - Christopher Blevins, Specialized Factory Racing
Um die optimale Geometrie auszutarieren, experimentierten die Entwickler und Teamfahrer mit modular verstellbaren Rahmen. Selbst ein extremer Lenkwinkel von 63 Grad blieb nicht unversucht. Mit der Geometrietabelle des neuen Epic will Specialized ein Bike kreiert haben, das nicht nur auf dem Papier, sondern “in der echten Welt” schneller ist, als sein Vorgänger. Dabei erweitert das Epic seinen Kompetenzbereich vor allem im Downhill. Das aufgebohrte Trailbike Epic Evo legt sogar noch eine Schippe drauf. Specialized-Testfahrer Brian Gordon gibt zu bedenken: “Vielen Bikern könnte das Evo zu extrem sein. Das Epic ist das Bike für 90 Prozent der Fahrer.”
Auch beim Gewicht wäre nach eigener Aussage noch Tuning-Potential gewesen, nicht aber ohne weitere Kompromisse eingehen zu müssen. “Leichtigkeit ist nicht alles” gestanden die Entwickler beim Presse-Launch des neuen Specialized Epic in Chile. Stattdessen kam es auch zu einer strukturellen Weiterentwicklung. Durchgehende Fasern an der Dämpferaufnahme ermöglichen zum Beispiel mehr Stabilität aufgrund einer ununterbrochenen Struktur. Die vordere Dämpferaufnahme wird nun mit einem Bladder-Verfahren konstruiert und spart im Vergleich zum Vorgänger-Rahmen rund zwei Dutzend Gramm.
Specialized war einer der ersten MTB-Hersteller, der ein Staufach ins Unterrohr seiner Carbonrahmen integrierte. Der “SWAT Box” getaufte Kofferraum hält am 2024er Epic nun erstmals an einem leichten Racebike Einzug. Die Entwicklung eines funktionellen Staufachs ohne Nachteile bei Gewicht und Stabilität stellt viele Marken vor große Herausforderungen. Ein passender Vergleich aus der Welt der Autos: Cabrios sind in der Regel schwerer, als Modelle mit durchgehendem Dach. Eine Öffnung im Chassis reduziert entgegen der weitläufigen Meinung nicht etwa das Gesamtgewicht. Stattdessen muss die beeinträchtigte Steifigkeit durch bedeutend mehr Material an anderer Stelle ausgeglichen werden.
Für die SWAT Box im neuen Specialized Epic wurde das Know-How von anderen Modellen auf das Racebike übertragen. Zusätzlich wurde die Aufnahme des Verschlusses weiter optimiert, um eine bessere Passform zu erreichen. Das Staufach soll nun vollständig wasserdicht sein und zwischen 1,1 (Rahmengröße XS) und 1,7 (Größe XL) Liter fassen. Damit Marathon-Racer den Verschlusshebel auch mit kalten Fingern noch gut bedienen können, wurde dessen Form zudem angepasst. Bei der Entwicklung hat Specialized nichts unversucht gelassen. Dazu gehörten Ausfahrten im Regen mit saugstarken Papiertüchern im Staufach und das Reiben der Tür im Schlamm alle 15 Minuten. Auch im Gefrierfach und bei 80 Grad Hitze wurde das Fach in zwei Jahren Testphase erprobt.