MTB mit 32 Zoll im TestGrößenwahn oder Zukunft? Endlich Fakten!

Peter Nilges

 · 21.11.2025

Unser erster Showdown zum Thema 32 Zoll: Wie schlägt sich der Stoll Prototyp mit 32 Zoll Laufrädern im Vergleich zu einem etablierten 29er von KTM?
Foto: Max Fuchs
​Mit 32 Zoll rollt etwas sehr Großes auf uns zu. Branchen-Insider beschwören schon jetzt den Untergang von 29 Zoll. Was ist dran am Laufradgrößen-Hype? Wir konnten einen Prototyp mit Riesenrädern gegen ein 29er-Fully ausführlich und objektiv testen.

​The Future is Big, prangt in schwarzen Lettern auf dem Oberrohr des Prototypen. Der Slogan trifft den Nagel auf den Kopf und ist zugleich eine Kampfansage: Die etablierten 29er könnten bald zum neuen Mittelmaß degradiert werden. Das von der Schweizer Marke Stoll unter Hochdruck kreierte Fully rollt auf riesigen 32-Zoll-Laufrädern, die nicht nur den Redaktions-Esstisch, sondern gleich auch noch die darauf platzierte Espresso-Tasse überragen. Kurzum: Das Bike ist riesig – und das trotz Rahmengröße M.



​Laufrad-Evolution am MTB

Das damalige 26 Zoll Maß hat sich im MTB-Kosmos bislang am längsten gehalten.Foto: BIKE MagazinDas damalige 26 Zoll Maß hat sich im MTB-Kosmos bislang am längsten gehalten.

70er bis 2015

26 Zoll dominiert über Jahrzehnte den MTB-Markt und ist das Maß der Dinge für kleine wie große Fahrer sowie über alle Disziplinen hinweg. Aktuell nur noch ein Kids- und Dirt-Bike-Thema.

ab 2012

Die Zwischengröße 27,5 Zoll betrat deutlich nach 29 Zoll die MTB-Bühne. Nino Schurter pilotierte 2012 in Pietermaritzburg erstmals ein 27,5-Zoll-Bike zum Worldcup-Sieg. Aktuell nur noch bei kleinen Größen und am Hinterrad relevant.

ab 2008

Niner kam bereits 2005 mit 29 Zoll ums Eck, BIKE testete 2008 die ersten 29er. Doch es dauerte bis 2010, bis die ersten Rennsiege auf 29-Zoll-Bikes erzielt wurden. Die großen Räder konnten sich nur schleppend etablieren.

ab 2026?

Maxxis präsentiert 2025 auf der Eurobike einen Aspen-Reifen in 32 Zoll. Einzelne Firmen wie BMC, KTM, Stoll oder Bike Ahead zeigen ebenfalls die ersten Prototypen auf Basis der Riesenräder.



Hosen runterlassen im Labor

Doch bevor wir die heranrollende Zukunft ins Gelände entführen, geht es zur Datenakquise in unser Testlabor. Die 32 x 2,4 Zoll großen Maxxis-Aspen-Reifen messen gewaltige 817 Millimeter im Durchmesser. Damit überbieten sie die identischen Reifen in 29 Zoll auf unserem Referenz-KTM um ganze 74 Millimeter. Ein Sprung, der in etwa dem von 26 auf 29 Zoll entspricht. Größer bedeutet jedoch auch schwerer und damit träger. Um das Gefühl von „Fühlt sich nicht ganz so spritzig an wie ...“ in belastbare Werte zu gießen, messen wir die exakte Trägheit beider Laufräder in unserem Testlabor . Der Gewichtsunterschied zwischen den beiden Laufradsätzen beträgt 384 Gramm, wobei allein 150 Gramm auf die Reifen entfallen. Ein Maxxis Aspen in 32 Zoll wiegt 75 Gramm mehr als sein 29-Zoll-Bruder. Gewicht, das maximal weit außen sitzt und erst mal in Schwung gebracht werden will.

Unser hochpräzises Messgerät zur Bestimmung der Laufradträgheit wurde ursprünglich für Golfschläger entwickelt.Foto: Max FuchsUnser hochpräzises Messgerät zur Bestimmung der Laufradträgheit wurde ursprünglich für Golfschläger entwickelt.

27 Prozent träger im Antritt

Unsere Messreihen zeigen: Die Massenträgheit der 32-Zöller liegt um 27 Prozent höher als bei 29 Zoll. Auch bei der Geometrie sind Anpassungen nötig, um das Mehr an Laufrad unterzubringen. Der Stoll-Prototyp bietet 100 Millimeter Federweg an Front und Heck und hat einen Radstand von 1222 Millimetern. Knapp 50 Millimeter mehr als unser Referenz-Bike, das KTM Scarp. Auch wenn der Abstand der Achsen damit immer noch wesentlich kürzer ist als bei einem 29er-Enduro, ist die Gesamtlänge des 32-Zöllers überwältigend. Mit satten 203,4 Zentimetern Länge (elf Zentimeter mehr als beim KTM!) möchte man sich das Gerät nicht auf dem Heckträger eines VW Golfs vorstellen – da bleiben rechts und links nur noch acht Millimeter Luft, vom Außenspiegel aus gemessen!

Knapp fünf Zentimeter länger vom Radstand und elf in der Gesamtlänge lassen das 29er KTM fast wie ein Kidsbike wirken.Foto: Max FuchsKnapp fünf Zentimeter länger vom Radstand und elf in der Gesamtlänge lassen das 29er KTM fast wie ein Kidsbike wirken.

Déjà-vu: wie beim Umstieg von 26 auf 29 Zoll

Die Stunde der Wahrheit ist gekommen: Es geht auf den Trail. Mit einem Gewichtsunterschied von stolzen zwei Kilo zugunsten des KTM fällt der 32er-Prototyp mit seinem 3,5-Kilo-Rahmen deutlich schwerer aus. Für einen objektiven Vergleich sind beide Bikes mit Leistungsmessung ausgestattet. Bereits die ersten Meter im Sattel zeigen, dass die Fahrposition stimmig ausfällt. Meine Bedenken, dass das große Vorderrad die Front zu hoch bringt, werden vom Stoll-Prototyp durch ein Stummel-Steuerrohr und das Negativ-Cockpit ausgeglichen. Bei einer Körpergröße von 1,79 Metern sitze ich sportlich und habe ordentlich Druck auf den Händen.

Die erste Schlüsselstelle lässt nicht lange auf sich warten und führt steil nach oben. Ich wähle bewusst die schlechteste Linie und wühle mich konstant durch den losen Schotter, der sich in der steilen Rinne angesammelt hat. Anstrengend, aber machbar. Auf dem KTM 29er versetzt mich das gleiche Spiel gedanklich ins Jahr 2008. Genauso hat es sich angefühlt, als ich bei Bike das erste 29er-Hardtail von Gary Fisher gegen ein „aktuelles“ 26-Zoll-Hardtail gefahren bin. Statt weiter in Erinnerungen zu schwelgen, kämpfe ich mit der Linie in der Schotterrinne. Bereits an der ersten tiefen Stelle dreht das Hinterrad durch. Ich verliere Geschwindigkeit, muss mit einem Schlenker korrigieren. So geht es weiter. Mit diversen Fußabsetzern kämpfe ich mich nach oben.

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Vor allem bei rutschigen und losen Bedingungen macht sich das Mehr an Grip deutlich bemerkbar.Foto: Max FuchsVor allem bei rutschigen und losen Bedingungen macht sich das Mehr an Grip deutlich bemerkbar.

Mehr Grip, mehr Sicherheit

Trotz identischer Reifenprofile ist der Grip-Unterschied gewaltig. Das 32-Zoll-Bike bringt mehr Profil auf den Boden und klettert durch die langen Kettenstreben souveräner und kontrollierter. Kurze Zwischensprints hingegen bestätigen das Messergebnis aus dem Labor. Das nur 10,53 Kilo schwere KTM mit den kleineren und leichteren Laufrädern beschleunigt mühelos aus dem Stand heraus. Hier braucht das 32er spürbar mehr Druck auf dem Pedal. Doch wenn die Fuhre einmal rollt, und man mit gleichförmiger Geschwindigkeit dahinkurbelt, erlebt man das Wunder der Physik. Hohe Stufen und armdicke Wurzelgeflechte lösen sich förmlich in Luft auf, während die Riesenräder mit nahezu unverminderter Geschwindigkeit darüber hinwegrollen und den Schwung konservieren. Kein Hängenbleiben oder Gegenpoltern wie bei den kleinen, pardon, normal großen 29ern.

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Aber kann das bessere Rollverhalten die höhere Laufradträgheit und das in unserem Fall noch wesentlich höhere Gesamtgewicht kompensieren? Wir kalibrieren die Leistungsmesser und spulen im Zweier-Team zeitgleich ein 200 Meter langes Uphill-Segment mit 25 Höhenmetern ab – ausschließlich auf festem Waldboden, gespickt mit einer kurzen Wurzelpassage. Drei Mal sitze ich auf dem KTM, während Max mit dem Stoll an meinem Hinterrad klebt. Danach wechseln wir die Bikes und die gleiche Prozedur erfolgt erneut. Max sieht das leichtfüßige KTM vorne.

Stoll P32 Prototyp:

12,6 kg1/ 100/100 mm / 32" / Alu/Carbon

  • ​Gabel / Dämpfer: Intend Samurai XC / Fox Float Factory
  • Schaltung / Bandbreite: Sram XX SL Transmission / 520 %
  • Bremsen: Shimano XTR 160/160 mm
  • Laufräder: Bike Ahead Biturbo
  • Reifen: Maxxis Aspen Maxxspeed Exo 32 x 2,4“
  • Telestütze / Hub: Rockshox Reverb / 150 mm
  • Besonderheiten: aktuell noch Prototyp, Serien-Bikes ab Mitte 2026 erhältlich

KTM Scarp Exonic Evo 3:

​10,5 kg1/ 110/105 mm / 29" / 12999 Euro / Carbon

  • ​Gabel / Dämpfer: Rockshox SID SL / SID Luxe Ultimate Flight Attendant
  • Schaltung / Bandbreite: Sram XX SL Transmission / 520 %
  • Bremsen: Trickstuff Piccola C22 160/160 mm
  • Laufräder: Mavic Crossmax Ultimate
  • Reifen: Maxxis Aspen Maxxspeed Exo 29 x 2,4“
  • Telestütze / Hub: Rockshox Reverb / 125 mm
  • Garantie: 5 Jahre
  • Max. Systemgewicht: 110 kg
  • Besonderheiten: Lenker-Vorbau-Einheit
Grobes Terrain entlockt den 32-Zöllern nur ein SchmunzelnFoto: Max FuchsGrobes Terrain entlockt den 32-Zöllern nur ein Schmunzeln

7 Prozent bessere Effizienz

Doch bevor es an die Auswertung der Daten geht, stürzen wir uns in die Abfahrt. Wie steht es um die Downhill-Performance und das Handling des „Big Bikes“? Der lange Radstand und hohe Kreiselkräfte sorgen für Stabilität. Grobes Terrain wird einfach weggebügelt. Es scheint unmöglich, irgendwo hängen zu bleiben oder gar über den Lenker zu gehen, so tief steht man zwischen den Laufrädern. Es gibt weniger seitlichen Input aufs Vorderrad. Das 32er steuert sich enorm laufruhig, ohne dabei zu träge zu wirken oder das Gefühl zu vermitteln, dass man selbst nur noch Passagier ist. Steilstücke bei rutschigen Bedingungen meistert es viel besser. Das Sicherheitsgefühl ist deutlich höher als beim 29er. Einen Tag später steht auch die Auswertung der Leistungsdaten bereit. Max lag mit seinem Bauchgefühl knapp daneben. Der 32-Zöller absolvierte den Uphill in der gleichen Zeit, allerdings mit sieben Prozent geringerer Leistung. Es sieht also ganz nach einem klaren Punktsieg für die neuen großen Laufräder aus.

BIKE-Testleiter Peter NilgesFoto: Max FuchsBIKE-Testleiter Peter Nilges

​Fazit Peter Nilges, BIKE-Testleiter

Mehr Gewicht und höhere Laufradträgheit sprechen gegen das neue Riesenmaß 32 Zoll. In nahezu allen anderen Belangen übertrumpft 32 Zoll jedoch die aktuellen 29er. Überrollverhalten, Fahrsicherheit, Grip und Rollwiderstand sprechen eine klare Sprache und werden die Laufradevolution mit Sicherheit vorantreiben.
Alu-Hauptrahmen und modifizierter Hinterbau machen den Prototyp funktionstüchtig aber schwer.
Foto: Max Fuchs

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