Es ist die Furcht vor alten Geistern. Da gibt es keinen Zweifel. Der Blick auf das giftgrüne Plastik schnürt mir die Kehle zu. Als ich das letzte Mal unter einem Start- und Zielbogen hindurchrollte, wurde dieser gerade abgebaut. Fünf Stunden Quälerei umsonst. Nun stehe ich in der Fußgängerzone von Schladming und fürchte die Retraumatisierung. In nur drei Tagen werde ich die Anzahl meiner Marathon-Starts verdoppeln. Am vierten werde ich meine Feuertaufe beim Bergzeitfahren ablegen. Alpentour Trophy heißt das größte UCI-Rennen Österreichs, welches in diesem Jahr bereits zum 25. Mal stattfindet. 25 Jahre professioneller, episch-harter Rennsport schüchtern einen Marathon-Grünschnabel mit unrasierten Beinen gehörig ein. Im Startblock springt der Blick Zickzack: überall sehnige Muskeln unter glatter, brauner Haut. Was ich hingegen nirgends entdecken kann: Bikes von Cervélo, Mondraker oder Storck. Ich habe mir vorgenommen, an jedem Tag ein anderes Bike zu fahren – ein Test unter Realbedingungen für das Material und für mich.
Dabei habe ich mir Rennmaschinen ausgesucht, welche das aktuelle Lastenheft an Marathon-Fullys perfekt ausfüllen sollten: Vollcarbonrahmen, Teleskopstütze, Federwegs-Plus. Auf Erfahrungswerte kann ich dabei nicht zurückgreifen, denn alle drei Kandidaten sind Exoten, welche BIKE so noch nie getestet hat. Das heißt: Einen Erfahrungswert habe ich doch. Auf dieselbe Felgen-Reifen-Kombination des Storck war ich auch bei meinem aller ersten Marathon-Start vor elf Jahren schon angewiesen. Ich schlitterte auf dem Bike meines Vaters vier Stunden lang durch Schlamm bis zum Tretlager und stellte es völlig zerstört zurück in die Garage. Das gab einen Rüffel. Zum Glück soll es heute trocken bleiben.
An den Engstellen radiert Gummi über Asphalt. Stress und Nervosität sind in der Startphase mit den Händen greifbar. Nicht für alle reicht der Platz. Jemand schreit etwas auf Tschechisch. Zum Jubiläum beschenkt sich die Alpentour Trophy mit einem 430 Fahrer starken Teilnehmerfeld aus 25 Nationen. Sie alle pressen sich in den ersten Anstieg und durch die Schotter-Abfahrt ins nächste Tal. Das Tempo ist brutal. Umso mehr verwirrt mich die gedrosselte Gangart auf dem ersten Singletrail. Im Verlauf der nächsten Tage werde ich mich immer wieder wundern, mit welch rudimentärer Fahrtechnik sich Amateur-Racer auf die Strecke wagen.
Direkt an der ersten Verpflegungsstation lade ich nach. "Iso? Iso?" schreit mich eine Frau an. "Iso! Iso!" schreie ich zurück. Es ist heiß. Über 30 Grad im Schatten. Davon gibt es auf der nächsten elend langen Rampe Nichts. Im Wiegetritt mache ich viele Plätze gut, schlucke eine Gruppe nach der anderen. Kann das Marathon-Comeback doch gelingen? "Stark!" ruft mir ein überholter Fahrer zu. "Wie lange noch?" denke ich, habe aber keine Luft in den Lungen, um zu antworten. Ich schließe mich drei Dänen an. Wir befinden uns zehn mal höher über dem Meeresspiegel, als der höchste Berg ihres Heimatlandes. Inzwischen ist die Körpertemperatur in ungesunde Gefilde gestiegen. Beim Blick auf die Zahlen meines Radcomputers gefriert mir trotzdem das Blut in den Adern: Halbzeit erst. Später werde ich mit fiesen Muskelkrämpfen bestraft. Der Marathon-Gott mag keinen Übermut.
Kamele trinken 200 Liter Flüssigkeit in 15 Minuten. Ich trinke zwölf am Tag. Das reicht nicht. Ständiger Mangel prägt Etappe Zwei. Zu wenig Nachschub, zu wenig Tempo, zu wenig Kraft. Heute setze ich auf das Cervélo. Zum Glück, denn auf der Königsetappe rettet mir das kleine 32er-Kettenblatt den Hintern. Die Sonnenalm am Rittisberg hat ihren Namen verdient. UV-Belastung und Sahara-Staub-Konzentration erreichen ihren Höhepunkt. Mein Kessel steht unter Druck und ist kurz vorm Platzen. Ich koche im eigenen Sud und schalte in den Überlebensmodus. Das Risiko eines Hitzeschlags erscheint mir plötzlich beängstigend real. Mit Tunnelblick folge ich stoisch dem Hinterrad meines Vordermannes. Erst die nächste Verpflegungsstation erlöst mich aus der Trance. Eine Kindergarten-Gruppe empfängt uns mit La-Ola. Senioren bieten in ihrer Einfahrt Wasser an. Ich habe Rennfieber und die ganze Region fiebert mit.
Tag Drei. Über Nacht hat ein Gewitter das Panorama von der Endzeit-Optik des Sahara-Staubs rein gewaschen. Mit 70 Sachen brumme ich auf dem Mondraker eine Skipiste hinab. Da, vor mir: ein Bike-Helm mit Red-Bull-Logo. An einer Ablauf-Rinne hebe ich ab und überhole Skisprung-Legende Andi Goldberger in der Luft. Geil! Heute kann mich niemand aufhalten. Der Hintern zwickt von den wechselnden Sätteln, die Füße schmerzen vom Kampf mit den Carbon-Sohlen, der Magen bläht vom Pulver-Dauerfeuer, jeder Muskel ist müde. Und doch hat sich der Körper an die Dauerlast gewöhnt. Faszinierend, wie schnell die Psyche Schmerz und Erschöpfung erst als Routine verarbeitet und hinter der Ziellinie schließlich sogar romantisiert. Es muss der Zauber des Mehrtages-Marathons sein.
Der pure Psycho-Terror! Kein Hollywood-Regisseur könnte sich dramatischere Szenen einfallen lassen, als beim Bergzeitfahren an Tag vier. Die Startreihenfolge orientiert sich an der aktuellen Platzierung. Keinesfalls will ich mich vom Belgier hinter mir kassieren lassen und schalte einen Gang strammer. Zurück auf dem Storck presse ich jedes verbliebene Watt Energie aus meinen Beinen. Die Steigungs-Prozente des Trail-Anstiegs zur Schafalm sind für jeden zweiten Fahrer zu viel. Oben am Berg, versteckt im Nebel, ist der Moderator zu hören.
Ich schnaufe nicht mehr einfach nur, ich keuche lautstark, bleibe aber auf dem Bike. Das System ist hoffnungslos am Anschlag und erste Körperfunktionen werden abgeschaltet. Ein langer Sabber-Faden verbindet meinen weit aufgerissenen Mund mit dem Oberrohr. Als ich schließlich über den Zeitmess-Teppich rolle, ist um mich herum nur noch Püree. Orientierungslos stehe ich eine gefühlte Ewigkeit einfach nur da. Als mir die Miss Dachstein Hoheit eine Finisher-Medaille um den Hals hängt, muss ich aufpassen, mich nicht auf ihre Füße zu übergeben. Mein leerer Blick geht zurück und eine tiefe Erleichterung setzt ein: Der Zielbogen steht noch.
Für die elf Kilometer und 1100 Höhenmeter Einzelzeitfahren brauche ich 66 Minuten in denen ich an die Grenzen meiner körperlichen Leistungsfähigkeit gehe, wie niemals zuvor. Bis zu 22 Prozent Steigung hat der Trail. Der Tscheche Filip Rydval schafft es 21 Minuten schneller als ich. - Jan Timmermann, BIKE-Test-Redakteur
Dank schlankem Flex-Pivot-Design hat der Rahmen des Cervélo im Vergleich zum Storck einen gewaltigen Gewichtsvorteil von 408 Gramm - und das obwohl der Storck-Rahmen eine Nummer kleiner ist. In der Uphill-Wertung muss das Cervélo aufgrund des Downcountry-Ansatzes trotzdem Federn lassen. Storck stellt mit straffem Fahrwerk und leichten Laufrädern den besten Kletterer. Das teure Mondraker leistet sich derweil kaum Schwächen und ist im Downhill eine Macht. Sieg nach Punkten für die Spanier.
Fast hätte ich vergessen, wie hart und befriedigend zugleich Mountainbike-Marathons sein können. Auf den steilen Hängen rund um Schladming bekommen Biker Nichts geschenkt. Im Großen und Ganzen sind alle Test-Bikes Race-ready. Ergonomie, Flaschen-Transportvolumen und Fahrwerks-Ansteuerung: In der hitzigen Renn-Praxis können kleine technische Details allerdings ordentlich Nerven kosten. Das überzeugendste Gesamtpaket finden Marathonisti bei Mondraker.
Das Rennen umfasst insgesamt 8570 Höhenmeter auf 200 Kilometern und vier Stages. Gestartet wird jeden Morgen in der Fußgängerzone von Schladming. Anders, als bei vielen anderen Etappen-Rennen vereinfacht das die Logistik für Teilnehmer und Veranstalter ungemein. Die ersten drei Stages beinhalten jeweils eine separate Bergwertung und enden mit einer Abfahrt zur Talstation des berühmten Bikeparks. Spätestens alle 25 Kilometer gibt es eine Verpflegungsstation. Stage Vier ist ein Einzelzeitfahren am Berg.
All you can eat: Die Startgebühr (ab 425 Euro) umfasst täglich ein gemeinsames Abendessen, bei dem die Highlights des Tages präsentiert werden. Ausgehend vom Renn-Verbrauch unseres Redakteurs, muss das Buffet jeden Abend rund zwei Millionen Kalorien hergeben. Das Bergzeitfahren endet mit einer Pasta-Party auf der Alm.
Rahmenprogramm: City-Sprint Kinder-Rennen, One Day Marathon auf drei Distanzen, Live-Timing, Hotel-Pakete, Kinderbetreuung