Als Trek 2019 die Neoprenabdeckung an Jolanda Neffs Worldcup-Bike lüftete und der Öffentlichkeit das erste Supercaliber präsentierte, war die Überraschung perfekt: Ist es ein Hardtail? Ist es ein Fully? Die Dämpfungstechnologie mit in den Rahmen teilintegriertem Federbein hatte die Welt an einem Racebike bisher noch nicht gesehen. Mit minimalistischen 60 Millimetern Federweg am Heck und leichtem Chassis mauserte sich das Supercaliber nicht nur unter den Cross-Country-Fahrern des Trek-Factory-Racing-Teams, sondern auch in vergangenen BIKE-Tests als Spezialist für effizienten Vortrieb. Im technik-intensiven Rennsport sind vier Jahre eine lange Zeit und so verpasst Trek dem Edel-Flitzer nun ein großes Update-Paket.
Am “Iso Strut” getauften Hinterbausystem hält Trek auch 2024 weiter fest. Allerdings steht auf der markanten Dämpfereinheit nicht länger der Name Fox, sondern der Schriftzug Rockshox Sid Luxe Iso Strut. Das Ergebnis der neuen Kooperation sind fünf Millimeter mehr Einbaulänge und 7,5 Millimeter mehr Hub. Frei von Platzproblemen und ohne an Gewicht zuzulegen generiert der Dämpfer nun 80 Millimeter Federweg. Gleichzeitig braucht es zum Ausbau nun kein Spezialwerkzeug mehr.
Trek nutzt die Neuauflage auch zur Anpassung der Hinterbaukinematik. Durch ein deutlich höheres und lineares Hebelverhältnis wollen die Amerikaner den Hinterbau nochmals effizienter gemacht haben. Gesteigerte Anti-Squat-Werte sollen verhindern, dass auch nur ein Bruchteil der Beinkraft in der Federung untergeht.
Um das Fahrwerk mit den flexenden Sitzstreben von Bremskräften zu entkoppeln setzt Trek auf eine schwimmende Bremsaufnahme. Passend zum gestiegenen Hub am Hinterbau verbaut Trek die neueste Generation von Rockshox-Gabeln mit 110 Millimetern Federweg.
Zudem wurde das Supercaliber einer weiteren Diät unterzogen und kommt nun in zwei unterschiedlichen Carbon-Laminaten. Die neuen SLR-Rahmen versprechen dank optimierter Kohlefaser-Struktur am Hauptrahmen und dem Verzicht auf einlaminierte Kabelführungen eine Gewichtsersparnis von bis zu 250 Gramm. Tatsächlich bringt der Rahmen unseres SLR-Testbikes in Größe L weniger auf die Waage, als der Vorgänger in Größe M. Bei den Modellen mit dem Kürzel SL soll das Rahmengewicht mit der vorangegangenen Generation vergleichbar sein.
Natürlich erhält das neue Supercaliber auch eine moderne XC-Geometrie mit flacherem Lenkwinkel und längerem Reach. Ob sich das Update in der Praxis bezahlt macht, verrät unser Fahrbericht. Wir baten die Topversion Trek Supercaliber 9.9 XX AXS Gen 2 zum Test. Diese Version gleicht den Arbeitsgeräten der Cross-Country-Profis des Trek Factory Racing Teams um Jolanda Neff, Evie Richards, Anton Cooper und Vlad Dascalu.
Das Trek Supercaliber ist für mich das perfekte Race-Bike. Dank seiner integrierten Federung und den flexiblen Streben fühlt sich der Federweg nach deutlich mehr an. Gleichzeitig spart das System ordentlich Gewicht und fliegt so jeden Berg hoch. Gerade auf anspruchsvollen Strecken wie z.B. in Tokyo kann ich mir kein besseres Bike vorstellen.” - Jolanda Neff, Trek Factory Racing
Wie ein austrainierter Spitzensportler rollt das Supercaliber aus unserem Testlabor. Die Prüfstände attestieren dem Racebike nicht nur ein Traum-Gewicht von 9,86 Kilo ohne Pedale, sondern auch die leichtfüßige Beschleunigung der Carbon-Laufräder. Wie es sich an einem XC-Fully für 11.499 Euro gehört, gibt’s die volle Punktzahl für die Ausstattung mit Srams Edel-Gruppe XX SL AXS Transmission. Während eine Variosattelstütze beim Vorgänger noch dem Topmodell vorbehalten war, stattet Trek alle Supercaliber-Versionen 2024 mit einer versenkbaren Sattelstütze aus.
Wie eine Rakete schießt das Supercaliber vom Fleck. Der straffe Iso-Strut-Hinterbau bleibt auch bei harten Antritten quasi bewegungsfrei. Besonders auffällig: Kommt die Kraft von vorne-oben, wie etwa beim Wiegetritt an steilen Rampen, bleibt das Federbein komplett ruhig. Erst, wenn das Körpergewicht weiter nach hinten verlagert wird, gibt der Dämpfer zunehmend mehr Federweg frei.
Im Sattel verleihen der verlängerte Reach von 462 Millimetern (Testbike Größe L), der nicht zu steile Sitzwinkel von 74,5 Grad und das niedrige Cockpit Supercaliber-Piloten eine sportliche Sitzposition. Mit viel Druck auf den Pedalen geht es effizient nach vorne. Mithilfe des neuen Rockshox Twistloc Ultimate Remote am Lenker lassen sich Gabel und Dämpfer gleichzeitig straffen. Einen spürbaren Vorteil verschafft das eigentlich nur beim Sprint auf Asphalt. Auch ohne Lockout setzt das Trek Muskelkraft äußerst verlustarm in Vortrieb um.
Trotz Antriebsneutralität filtert das eigenständige Fahrwerk kleine Unebenheiten erstaunlich sensibel aus dem Untergrund. Im Sitzen über groben Schotter, Wald- und Wiesenwege bringt das einen spürbaren Komfort-Vorteil zu jedem Hardtail. Über Trails bergauf macht der Iso-Strut-Dämpfer seinen Fahrer durch gute Traktion und Gegenhalt glücklich. Gerade die auf XC-Kursen verbreiteten Wurzel-Kanten nimmt das Supercaliber bergauf souverän und ohne wegzusacken. Technisch anspruchsvolle Anstiege gelingen so besser, als von einem straffen Racebike erwartet.
In der Ausstattungsliste des Trek Supercaliber 9.9 XX AXS Gen 2 finden sich einige Tribute ans anvisierte Einsatzgebiet. Racer schätzen die dünnen Silikongriffe. Schnell rollende Reifen und kleine 160-Millimeter-Bremsscheiben vorne sowie hinten trotz Rahmengröße L setzen die Zeichen auf den kompromisslosen Renneinsatz. Trotz Teleskopstütze und Geometrie-Update erfordert diese Bekenntnis zum Rennsport in technischen Abschnitten bergab eine versierte Hand am Lenker. Vor allem im Nassen und in Offcamber-Sektionen geizen die Pirelli-Reifen mit Grip. Auch, wenn sich das nominell nur 2,2 Zoll breite, italienische Gummi auf den weiten Carbon-Felgen voluminös aufstellen, sind sie bergab das limitierende Ausstattungsdetail. Was bei trockenen Trails und im Rennen unter Adrenalineinfluss funktionieren kann, braucht in der echten Welt des normalen Mountainbikers eine große Portion Mut und Fahrkönnen.
Bei schnellem Geradeauslauf liegt das Supercaliber, wie ein Brett aus Carbon. Die gewonnene Länge und das sportliche Fahrwerk machen sich mit hohem Sicherheitsempfinden bezahlt. Trotzdem bleibt das Trek auch bei niedrigen Geschwindigkeiten agil. Einfach lässt es sich über Hindernisse lupfen. Dank der kompakten Kettenstreben geht das Bike zudem gut aufs Hinterrad und wuselt geschickt durch enge Kurven. In Sachen Geometrie hat Trek in der zweiten Auflage ein goldenes Mittelmaß gefunden.
In Steilstücken macht sich das Geometrie-Update der Generation Zwei des Supercalibers am meisten bezahlt. Der 67,5 Grad flache Lenkwinkel verleiht dem Trek die nötige Portion Sicherheit. Dank der abgesenkten Sattelstütze lässt sich der Körperschwerpunkt einfach verlagern und auch der verlängerte Radstand hilft dabei, in anspruchsvollen Trail-Abfahrten die Kontrolle zu behalten. Der gefederte Hinterbau verzeiht dabei mehr Fehler, als ein Hardtail, kommt aber trotz 20 Millimetern mehr Federweg im Vergleich zum Vorgänger nicht an die Reserven anderer aktueller Racebikes heran. Durch die besonders hohe Progression des Hinterbaus braucht es schon sehr grobe Einschläge, um den gesamten Hub zu nutzen. Auch mit softerer Abstimmung operiert der Dämpfer in den meisten Situationen auf den ersten 60 Millimetern. Trotzdem liegt der gefühlte Federweg über diesem minimalistischen Wert. Etwas gutmütiger gibt die Rockshox Sid SL Gabel ihre 110 Millimeter Federweg frei. Trotzdem harmoniert ihre straffe Endprogression gut mit Hinterbau und Geometrie.
Während das ursprüngliche Supercaliber ein stark eingedampftes Fully war, hat das Chassis der neuen Generation deutlich an Potential gewonnen. In der Zwischenzeit haben jedoch teils noch flachere Geometrien und Bikes mit 120 Millimetern Federweg die Race-Welt erobert. Bergab muss das Trek diese Konkurrenten ziehen lassen und priorisiert Kurse, auf denen es eher um das letzte Watt, als um die waghalsigste Zeit im Downhill geht. Auch 2024 bleibt das Supercaliber ein sehr spezielles aber sehr gutes Bike.
Kaum ein anderes Rad hat die Bezeichnung ‘Racebike’ mehr verdient, als das Supercaliber. Der pointierte Charakter des Silberpfeils ist nicht für Jeden etwas. Daran ändern auch die Updates und das Mini-Plus an Federweg nicht. Aus Sicht eines Rennfahrers kann das Trek aber die perfekte Waffe für den großen Tag sein, denn in seiner Neuauflage steht das Supercaliber noch mehr auf Speed - bergauf und bergab.” - Jan Timmermann, BIKE-Redakteur
GESAMT BERGAUF: 112 von 120
GESAMT BERGAB: 72 von 100
*Das BIKE-Urteil gibt die Labormesswerte und den subjektiven Eindruck der Testfahrer wieder. Das BIKE-Urteil ist preisunabhängig. BIKE-Urteile: super (250–205 P.), sehr gut (204,75–180 P.), gut (179,75–155 P.), befriedigend (154,75–130 P.), mit Schwächen (129,75–105 P.), ungenügend (104,75–0 P.). Die Gewichtung der Punkte in den einzelnen Bewertungskriterien variiert je nach Bike-Kategorie.
Cross-Country-Bikes sind die Königsdisziplin für MTB-Ingenieure. Ein gewaltiger Entwicklungsaufwand ist nötig, um die vermeintlich ausoptimierten Modelle immer wieder auf ein neues Niveau zu heben.
Um maximale Einsatzbandbreite und minimales Gewicht bei voller Rennstreckentauglichkeit zu realisieren, wird mit spezieller Carbon-Faser, innovativer Rahmenkonstruktion und clever komponierter Ausstattung gegen jedes überflüssige Gramm gekämpft.
Basis für ein super leichtes Mountainbike ist ein super leichter Rahmen. Filigrane Dämpferanlenkungen und der Verzicht auf alles, was nicht wirklich nötig ist, ermöglichen im Jahr 2024 Rahmengewichte von teils deutlich unter 2000 Gramm. Inklusive Dämpfer, wohlgemerkt. Und das bei sehr guter Steifigkeit.
Das sind aktuell wohl die leichtesten und teuersten Mountainbikes, die wir im Test hatten – mit ihnen gehen die Top-Stars im Olympiajahr 2024 an den Start. Die nackten Zahlen.
Knapp dahinter:
Ohne Eingliederung, da ohne BIKE-Test & ohne BIKE-Messung