Unter falscher FlaggeEin Trailbike im All-Mountain-Test um 5000 Euro

Max Fuchs

 · 10.01.2024

Im Test: Sechs All Mountains und ein Trailbike in der Preisklasse um 5000 Euro.
Fotos: Max Fuchs / Mediengruppe Klambt
Alle Mountainbikes wollen Abenteuer bezwingen. Ihr Einsatzbereich scheint dabei grenzenlos. Doch Übergewicht beschneidet ihren Tatendrang. Kann ein leichteres Trailbike den Allroundern den Wind aus den Segeln nehmen? Wir wagen den Versuch und schleusen neben sechs All Mountains um 5000 Euro auch ein Trailbike durch den BIKE-Test.

,,Geringes Gesamtgewicht ist eben nicht alles!“, grinse ich vor mich hin und kritzle meinen Fahreindruck der letzten Testrunde in meinen Notizblock. Mein Kollege Peter dementiert: „Für mich schon. Weniger Gewicht erweitert den Einsatzbereich und das ist nun mal ausschlaggebend für diese Kategorie.“ Selten gingen unsere Meinungen bei einem All-Mountain-Test so weit auseinander. Bis jetzt konnten wir auf den Teststrecken an den Südhängen um Latsch immer schnell eindeutige Urteile über das Fahrverhalten der Bikes fällen. Doch die Tatsache, dass unter den sechs All Mountains heute ein Trailbike mitmischt, stellt unser Urteilsvermögen auf die Probe.

Diese Bikes haben wir getestet:

Warum Trailbikes vielleicht die besseren All Mountain Bikes sind?

Warum vergleichen wir Äpfel mit Birnen, wird sich jetzt vermutlich der ein oder andere nicht ganz zu Unrecht fragen. Ganz einfach: All Mountain Bikes definieren sich eigentlich über ihr enorm breites Einsatzspektrum. Über alle Berge soll es gehen – das verrät sogar der Name. Den Weg bergauf erarbeitet man sich aus eigener Muskelkraft. Selbst technische Anstiege im Gebirge stehen im Anforderungsprofil. Das stellt rigorose Anforderungen an die Ausdauer des Piloten und den Vortrieb der Bikes. Im Umkehrschluss müssen All Mountains aber auch bergab mit sehr technischen alpinen Trails fertig werden. Abfahrtsstark, aber trotzdem leicht zu treten, das bringt die Kernkompetenzen dieser Mountainbike-Gattung auf den Punkt. Doch diese Allround-Qualitäten rücken immer weiter in den Hintergrund. Zugunsten der Nehmerqualitäten bergab plustern sich die Standrohre der Gabeln immer weiter auf. Felgen bauen breiter und Reifen werden pannensicherer. Die Folge: Im Einstiegssegment knacken All Mountains immer häufiger die 16-Kilo-Marke. Kein Wunder also, dass man sich mit diesen Bikes kaum noch in Mountainbike-Reviere ohne Gondel- oder Shuttle-Angebote verirrt. Denn von Allround-Qualitäten fehlt oft jede Spur.

Meistgelesene Artikel

1

2

3

Canyon Neuron CF 9 SL: 12,8 kg / 140/130 mm / 29" / 4999 Euro / Carbon
Fotos: Max Fuchs

Mit Preisen um 5000 Euro gehören die Kandidaten in diesem Testfeld schon zur gehobenen Mittelklasse. Hier liegen die Gewichte zwischen 14,1 und 15 Kilo ohne Pedale. Das klingt zwar ganz passabel, schürt aber noch lange keine große Vorfreude auf höhenmetergeladene Tagestouren. So stellt sich die Frage: Wäre ein leichteres Trailbike vielleicht die bessere Alternative für diesen Einsatzbereich? Um das herauszufinden, tritt in diesem Vergleich auch ein mit BIKE-Testsiegen schwer behangenes Trailbike an: das Canyon Neuron. Mit 140 Millimetern Federweg besitzt es etwas weniger Hub als seine Konkurrenten, die mit 150er- oder 160er-Gabeln antreten. Es rollt einheitlich auf 29-Zoll-Laufrädern und wiegt nur 12,82 Kilo ohne Pedale. Preislich begegnet das 4999 Euro teure Neuron der Konkurrenz auf Augenhöhe. Ist diese Kombination vielleicht die neue Geheimrezeptur für kompromissloses All-Mountain-Vergnügen?

Trailbike vs. All Mountain Bike: Der Praxistest

Etwas skeptisch klemme ich mir für die nächste Testrunde das Canyon unter den Hintern. Ein paar Pedalumdrehungen und der Uphill zum Einstieg des Propain-Trails offenbart bereits große Unterschiede. Obwohl die vortriebsstarke Konkurrenz von Scott, Cube und Propain uns beim Pedalieren voll überzeugen konnte, legt das Canyon noch mal eine Schippe drauf. Keine Tempoverschärfung scheint zu viel, kein Anstieg zu lang. Das verdankt das Neuron neben seinem vergleichsweise mageren Gesamtgewicht auch der Schwalbe-Reifen-Kombi mit schneller Speedgrip-Gummimischung an Heck und Front. Aber auch knifflige Klettereinlagen abseits befestigter Wege meistert das Canyon beispiellos. Dank des steilen Sitzwinkels behält man stets die Kontrolle. Das ausgeklügelte Hinterbausystem bietet Traktion en masse, ohne dabei zu wippen. Kurzum: Berghoch fährt das Trailbike den All Mountains um die Ohren. Oben angekommen gerät die Führungsposition des Neurons aber bereits nach der ersten Felspassage ins Wanken. Das Fahrwerk leistet trotz knapperen Federwegs zwar ganze Arbeit. In puncto Fahrverhalten muss der Kandidat die All Mountains aber doch ziehen lassen. Der kürzeste Radstand und der steilste Lenkwinkel beschneiden beim Trailbike die Laufruhe. Schlüsselstellen, Steilstücke oder Vollgas-Passagen verlangen auf dem Canyon nach mehr Körpereinsatz und fahrtechnischem Können. Auch das schmale Cockpit und die schmächtigen Reifen hemmen die Nehmerqualitäten des Neurons spürbar. Die Abfahrtsspezialisten von Vitus, Trek und Scott spielen deshalb bergab in einer deutlich höheren Liga.

Wieder an der Test-Basis angekommen hat sich meine Meinung gefestigt: Für mich muss ein All Mountain nach wie vor auch anspruchsvollste Abfahrten verdauen können – auch wenn ich dafür bergauf etwas mehr Zeit einplanen oder Körner verbraten muss. Wer sein Bike aber auch entspannt auf zahmeren Hometrails einsetzen möchte, sollte dagegen im Downhill Abstriche machen. So wie Kollege Peter – der würde nach seiner Testrunde auf dem potenten Trek nach wie vor das Trailbike einem All Mountain vorziehen.

Fazit von Max Fuchs, BIKE-Testredakteur

YT Industries Jeffsy Press Camp at Forest of Dean in 2023.Foto: Dan Griffiths
Was die Fahrleistung anbelangt, leistet sich keines der Bikes erhebliche Schwächen. Umso größer sind die Unterschiede in puncto Ausstattung. Die Vorstellungen, wie gut ein Bike um 5000 Euro ausgestattet sein muss, variieren je nach Hersteller sehr stark. Vitus schnürt ein sehr attraktives Ausstattungspaket, obendrein überzeugt das Escarpe auf dem Trail mit hervorragenden Fahreigenschaften.

Fazit von Peter Nilges, BIKE-Testchef

bike/peter-nilges-georggrieshaber_674c0dc808fc89a55a11754f83f016a0Foto: Georg Grieshaber
Auffällig unauffällig – das macht ein gelungenes All Mountain aus. In dieser Kategorie sind Extreme fehl am Platz. Ein All Mountain muss auf langen, anspruchsvollen Touren dem Piloten so viel Arbeit wie möglich abnehmen und Komfort bieten. Das Handling sollte intuitiv sein und keine fortgeschrittene Fahrtechnik erfordern. In diesem Test erfüllen Vitus, Scott und Trek diese Anforderungen am besten.

Das ist uns aufgefallen:

Clevere Details, Sahnehäubchen bei der Ausstattung oder kollektives Versagen – diese sechs Dinge sind uns während der Testphase ins Auge gestochen.

Canyon, Scott und Cube legen großen Wert auf Systemintegration und verlegen alle Leitungen vom Cockpit aus durch den Steuersatz direkt in den Rahmen. Das sieht zwar chic aus, kostet aber auch Punkte bei der Servicefreundlichkeit.
Foto: Max Fuchs

Testdaten und Bewertungen im Überblick:

Benotung: Das BIKE-Urteil setzt sich aus den subjektiven Eindrücken der Testfahrer und unseren Labormesswerten zusammen. Das Urteil ist preisunabhängig.  Notenspektrum: sehr gut (0,5–1,5), gut (1,6–2,5), befriedigend (2,6–3,5), ausreichend (3,6–4,5), mangelhaft (4,6–5,5).
Foto: BIKE Redaktion (Grafik)

Meistgelesen in der Rubrik Fahrräder