Adrian Kaether
· 07.03.2024
Die eierlegende Wollmilchsau hat bei Scott eine längere Geschichte. Auch das neueste E-MTB Scott Patron ST mit Boschs exklusivem CX Race Motor schlägt in dieselbe Kerbe. Denn während Konkurrenten ihre Bikes gerne auf eindeutige Kerntugenden wie Abfahrtsstärke oder Tourenqualität auslegten, versuchten die Schweizer immer, scheinbar Gegensätzliches in ihren Bikes zu vereinen. Modelle wie das Kult-All-Mountain Scott Genius stehen bis heute fast synonym für einen maximal breiten Einsatzbereich.
Dazu übernimmt das Patron traditionelle Scott-Features wie den Fahrwerks-Lockout am Lenker. Über dieses System kann die Heckfederung in drei Stufen verstellt werden: Starr, straffe 115 Millimeter oder fluffige 160 Millimeter Hub. Das soll dem Bike den Spagat zwischen Uphill und Downhill, lässiger Tour und feurigem Trail-Ritt zumindest etwas erleichtern. Apropos Trail: Eine lange Gabel mit 170 Millimetern Federweg zeichnet das ST-Modell aus und sollte das Patron damit auch für anspruchsvolle Enduro-Touren wappnen. Eher eine Frage der Optik: Neben dem Akku versteckt Scott auch den Dämpfer im Rahmen. Das gibt’s so bei keinem anderen Hersteller.
Ihr habt gewählt, welche Bikes wir testen sollen: Readers most wanted - die beliebtestem E-MTBs des Jahres! Unter diesem Motto haben wir aus den Vorschlägen unserer Leser die spannendsten E-Mountainbikes herausgesucht. Exotische Spezialisten, absolute Kassenschlager oder günstiges Discounter-Bike? Alle mussten sich dem objektiven EMTB Test in Labor und Praxis stellen. Jetzt also kommen: Die Ergebnisse Eurer Lieblinge von Alutech, Bulls, Cube, Haibike, Husqvarna, Olympia, Rockrider und Scott. Bereits erschienen sind folgende:
Im Patron ST steckt Boschs Top-Motor Performance CX Race. Der bietet die gleichen Leistungsdaten wie der klassische CX, ist aber etwas leichter und verfügt über einen speziellen Race-Modus mit stärkerem Unterstützungsgrad und besonders langem Nachlauf. Das hilft beim Klettern in technisch anspruchsvollem Gelände. Das Kiox-Display bietet viele Informationen auf einem übersichtlichen Bildschirm, bedient wird das System über eine klassische LED-Remote.
Der bewährte Akku mit 750 Wattstunden sichert dem Scott eine tolle Reichweite von knapp 1850 Höhenmetern in unserem Standard-Testszenario mit einem 90-Kilo-Fahrer an einem steilen Asphaltanstieg. Das ist etwas weniger als mit einem klassischen CX-Antrieb, denn der CX Race fährt im Vollgas-Modus eben außergewöhnlich schnell und braucht den Akku entsprechend zügiger auf. Nach wie vor eher ungewöhnlich für ein Bosch-Bike: Die Batterie wird beim Scott nach unten aus dem Rahmen gezogen. Die Integration und Entnahme hat Scott dabei richtig gut gelöst. Nichts hakt oder ruckelt, der Akku lässt sich geschmeidig einlegen und herausziehen. Die Kabel sind dabei gut aufgeräumt, außerdem hat Scott eine zusätzliche Sicherung entwickelt, die verhindert, das die Batterie ungewollt herausrauscht. Top!
Das Patron ist ein Bike mit breitem Einsatzbereich und breiter Zielgruppe, mit dem auch weniger versierte Biker auf ihre Kosten kommen. Der flache Lenkwinkel und der hohe Stack unterstützen die Fahrsicherheit bergab, der Reach fällt mit 458 Millimetern für ein modernes Bike eher konservativ aus. Relativ lange Kettenstreben von 455 Millimetern sorgen für Laufruhe und verhindern, dass die Front bergauf allzu früh steigt. Der flache Sitzwinkel bringt den Körperschwerpunkt nicht zu weit nach vorne, das entlastet die Handgelenke auf langen Touren mit wenig Steigung.
Mit seinem stolzen Preis von 11.000 Euro ist das eRide 900 Tuned nur das zweitteuerste Modell im Patron-Lineup. Das Topmodell 900 Ultimate schlägt mit noch einmal 2000 Euro mehr zu Buche. Die Ausstattung des Tuned-Modells ist natürlich entsprechend wertig, aber ganz in die Vollen geht Scott hier noch nicht. Nur die Fox 38 Factory Grip2 ist nicht zu toppen. Am Heck kommt systembedingt ein Dämpfer ohne Ausgleichsbehälter zum Einsatz, denn mehr Platz gibt´s bei der integrierten Lösung nicht. Die Alu-Laufräder von Syncros, Srams neue GX Transmission und Shimano XT-Bremsen hingegen sind obere Mittelklasse und funktional top, echte Euphorie kommt hier beim stolzen Preis des Bikes aber nicht auf.
Schon aus unserem letzten Test mit Scotts Einstiegs-Patron eRide 920 wissen wir: Gerade als unkomplizierter Tourer kann das Patron punkten. Zumindest beim Anrollen zum Trail entsteht mit dem ST-Modell ein ähnlicher Eindruck. Auf dem Scott thront man lässig hinter der hohen Front, der moderate Sitzwinkel entlastet die Handgelenke. Damit kann man sich auch Touren mit längeren Flachstücken gut vorstellen. Trotzdem klettert das Patron auch im steilen Gelände exzellent. Das Fahrwerk spricht sensibel an, ohne unangenehm einzusacken. Der Hinterreifen findet fast immer gute Traktion, die Front steigt kaum. Auch Anfänger können damit selbst anspruchsvolle Anstiege gut bewältigen. Der kräftige Race-Motor schiebt das Patron auch fiese Stufen locker hinauf. Einziger Nachteil: Durch die hohe Front und den flachen Sitzwinkel ist man bergauf mehr Passagier als Pilot.
Ein Trend, der sich beim Patron auch bergab fortsetzt. Hier geben die lange Gabel und die hohe Front zwar viel Sicherheit, der kurze Reach drängt den Fahrer aber in eine wenig aktive Fahrposition und schränkt die Bewegungsfreiheit etwas ein. Durch den hohen Schwerpunkt fühlt man sich nicht immer gut ins Bike integriert. Steile Trails sicher bewältigen - ja. Bremsen auf, auf der Downhillstrecke - eher nein. Den Vollgas-Drang manch anderer E-MTBs dieser Hubstärke bringt das Patron ST nicht mit. So macht es durchaus Sinn, das der Hersteller selbst das Patron ST, trotz 170er-Gabel, nicht als Enduro einstuft. Der für die Federwegsklasse schmale Lenker und die breiten 2,6-Zoll-Reifen lassen das Pendel ebenfalls eher in Richtung Komfort und Sicherheit, statt Highspeed ausschlagen.
Eine Besonderheit des Supertrail-Modells, neben der langen Gabel: Der Hinterbau ist progressiver und straffer ausgelegt, als der der anderen Patrons. Das führt in der Praxis zu einem sehr definierten Fahrgefühl mit guter Rückmeldung vom Untergrund. In Kombination mit den leichten Laufrädern unterstützt das definierte Heck so außerdem ein leichtfüßiges Fahrgefühl. Auf seichten Trails überrascht das Patron dadurch mit einem angenehmen Handling. Schwerfällig oder behäbig fühlt es sich zu keiner Zeit an.
Das Patron ist auch als ST-Modell ein typisches Scott im besten Sinne. Das Handling ist unkompliziert und anfängertauglich, das Bike bewährt sich auf langen Touren und macht auch in schwerem Gelände eine gute Figur. Und zwar bergauf wie bergab! Etwas erstaunlich: Trotz 170 Millimetern und Top-Gabel gibt es für die harte Gangart bergab bessere Bikes. Mehr fahrstarker Allrounder als echter Abfahrtsbolide. - Adrian Kaether, Redakteur EMTB Magazin.