Dicke Schwalbe-Radial-Reifen, lange 170er Gabel: Die Frage, ob das noch All Mountain ist, muss sich das neue Patron ST 910 gefallen lassen. Allerdings haben wir bei BIKE den Begriff All Mountain in Bezug auf E-MTBs ohnehin seit längerem etwas weiter gefasst. Konkret: Wir beziehen auch tourenorientierte Bikes mit mehr Federweg mit ein. Und so ein Rad ist das Scott definitiv, zumal der Hub am Heck bei 150 Millimetern bleibt.
Hinzu kommt: Scott positioniert das klassische Patron ohne ST-Kürzel mit zahmen Reifen eher für den Alltag und für moderate Touren. Erst die ST-Modelle wie unser Test-Bike sind mit grobem Profil auch für schweres Gelände gerüstet. Das sonstige Rezept des Bikes: Ein stabil wirkender Alu-Rahmen und Boschs neuer CX-Motor mit reichweitenstarkem 800er Akku. Systemintegration wird bei Scott nach wie vor groß geschrieben. Der voluminöse Dämpfer ist halb im Rahmen versteckt, auch der Vorbau optisch formschlüssig integriert. Die Waage bleibt so allerdings erst bei 26,56 Kilogramm stehen.
Im Scott werkelt der bewährte Performance Line CX von Bosch. Er bietet aktuell 600 Watt und 85 Newtonmeter - per Firmware soll man die Leistung sogar noch auf 750 Watt und 100 Nm steigern können. Die große Stärke des Bosch sind aber Reichweite und Fahrgefühl. Der Motor ist leise, klappert auch bergab nicht mehr und gibt sich auf dem Trail sehr sensibel. Mit dem großen Akku ist in unserem standardisierten Reichweitentest erst nach über 2000 Höhenmetern Schluss.
Gabel und Schaltgruppe sind eher einfach gehalten aber funktional gut. Schwalbes Radial-Reifen setzen einen klaren Akzent in Richtung Grip und Komfort.
Ein nicht zu üppiger Reach in Kombination mit einer hohen Front (Stack) gibt Sicherheit bergab. Der Radstand ist lang, das Tretlager tief. Das zahlt zusätzlich auf die Laufruhe ein. Mit 454 Millimetern liegen die Kettenstreben im mittleren Bereich. In unserem Test von vier All Mountains um 6000 Euro hat das Scott sogar das kürzeste Heck.
Gewicht und Preis mögen auf dem Papier wenig attraktiv wirken. Hinzu kommt eine eher einfache Ausstattung bei unserem Testbike. Die gute Nachricht: Wer auf dem Scott Platz nimmt, dürfte das schnell vergessen haben. Denn beim Bike der Schweizer passt in der Praxis vieles richtig gut.
Die Sitzposition bringt den Fahrer in eine aktive Haltung. Durch den hohen Lenker liegt aber trotzdem nicht zu viel Last auf den Handgelenken. Wie der Vorgänger klettert auch das neue Patron ausgesprochen gut. Der Hinterreifen findet selbst auf schwierigem Untergrund noch sehr viel Grip. So fällt das Patron bergauf auch mit moderater Geometrie kaum hinter die explizit kletterorientierte Konkurrenz zurück.
Der Wohlfühlcharakter setzt sich auch bergab fort. Die nicht zu kletterorientierte Geometrie kommt dem Scott hier erst recht zugute. Sicher integriert steht man hinter der hohen Front. Die Radial-Reifen glänzen mit enormer Traktion, das plüschige Fahrwerk schluckt selbst grobe Schläge souverän, bleibt aber trotzdem lebendig. Auch daran zeigt sich das gute Händchen, das die Konstrukteure offenbar bei der Abstimmung des Bikes hatten. Erstaunlich leicht lässt sich das schwere Patron an kleinen Absprüngen in die Luft ziehen. Auf engen Strecken fährt sich das Scott noch angenehm direkt.
Etwas Zug bergab ist dem Handling aber in jedem Fall zuträglich. Für langsame, flache Trails ist das große Patron dann doch eine Nummer zu schwer. Kleine Kritikpunkte: Die günstige Domain-Gabel rauscht uns bei harter Gangart zu unkontrolliert durch den Federweg, bergab klapperte unser Testbike hörbar aus dem Unterrohr. Die vermeintlich einfache Deore-Schaltung ließ jedoch kaum Wünsche offen, auch die Bremse verzögerte zuverlässig und mit gutem Druckpunkt.
Steiler Uphill, fieser Downhill oder lange Bergtour? Das fahrstarke Scott mit seinem guten Fahrwerk kann nichts so richtig schrecken. Komfort und Traktion sind überdurchschnittlich hoch. Das gilt zwar auch für das Gewicht, den Testsieg erringt das Scott aber trotzdem. - Adrian Kaether, Redakteur Test & Technik