Florentin Vesenbeckh
· 09.03.2024
Der Sport- und Outdoor-Discounter Decathlon ist bekannt für ordentliche Produkte zum unschlagbar günstigen Preis. Ob Fußball, Camping oder Bergsport - das Sortiment der Franzosen ist riesig. Doch was passiert, wenn sich ein Discounter an einem so komplexen Produkt wie einem E-Mountainbike versucht? Das Rockrider E-Expl 520S ist Teil einer nagelneuen Serie fortschrittlicher E-MTBs, die optisch so gar nicht nach Ramsch und Baumarkt aussehen. Wir testen, ob man bei dem Angebot für unter 3000 Euro echte Geländetauglichkeit und Trail-Spaß erwarten kann.
Das E-MTB-Fully von Rockrider ist dabei ein besonderer Kandidat in unserem große Test der “Readers Most wanted”. Neben sündhaft teuren Edel-Geschossen für fünfstellige Eurobeträge habt ihr Euch auch dieses auffallend günstige E-Fully im harten EMTB-Test gewünscht. Verständlicherweise. Denn das günstige Einsteiger-Fully ist nicht nur aus journalistischer Sicht ein spannender Kandidat, sondern es lauert handfestes Schnäppchenpotenzial darin. Schauen wir also, wie sich das Bike von Decathlon im Vergleich mit dem Marktdurchschnitt schlägt.
Ihr habt gewählt, welche Bikes wir testen sollen: Readers most wanted - die beliebtestem E-MTBs des Jahres! Unter diesem Motto haben wir aus den Vorschlägen unserer Leser die spannendsten E-Mountainbikes herausgesucht. Exotische Spezialisten, absolute Kassenschlager oder günstiges Discounter-Bike? Alle mussten sich dem objektiven EMTB Test in Labor und Praxis stellen. Jetzt also kommen: Die Ergebnisse Eurer Lieblinge von Alutech, Bulls, Cube, Haibike, Husqvarna, Olympia, Rockrider und Scott. Bereits erschienen sind folgende:
Für Schub sorgt im Rockrider-Fully ein Brose Drive T Alu. Das ist die günstigere Variante des Berliner E-Bike-Motors, die im E-Expl 520S maximal 70 Newtonmeter liefert. Den Strom bekommt das Aggregat aus einem Akku mit 500 Wattstunden, der bequem zur Seite aus dem Unterrohr genommen werden kann. Dafür braucht es keinen Schlüssel, sondern lediglich einen Inbus.
Einen gelungenen Mix aus leichter Bedienbarkeit, schlanker Optik und Informationsgehalt bieten die Bedienelemente. Ein schlanker Drücker am Griff wird mit einem größeren Display hinter dem Lenker kombiniert. Hier gibt es eine Fülle an Informationen, darunter sogar die Fahrer- und Motorleistung. Der Screen ist mit einem Bluetooth-Modul ausgestattet, so kann das System mit der Decathlon-App verbunden werden. So sind Systemupdates möglich, die Unterstützungsstufen können aber nicht individualisiert werden.
Auffällig: Der Motor schiebt angenehm leise. Das Antriebsgeräusch liegt ganz deutlich unter dem Niveau von Bosch und Shimano. Auch in der Abfahrt hat Brose hier die Nase vorn, denn der Drive T klappert nicht wie die marktführende Konkurrenz.
Auf der anderen Seite hat der “kleine” Brose ein spürbares Defizit bei der Maximalleistung. Der Schub ist weniger kräftig als bei einem Bosch Performance CX oder einem Shimano EP8 bzw. EP801. Die gängigen Light-Antriebe überflügelt der Brose Drive T Alu mit seinen 70 Newtonmetern allerdings klar.
Das Chassis des E-Expl ist moderat gezeichnet. Ein eher steiler Lenkwinkel, ein moderat langer Reach - daraus resultiert ein gemäßigter Radstand von 1255 Millimetern, der einen ausgewogenen Kompromiss aus Agilität und Laufruhe verspricht. Die Kettenstreben fallen mit 460 Millimetern lang aus. Hier steht Laufruhe und sicheres Handling vor übermäßigem Spieltrieb. Super modern ist das sehr kurze Sitzrohr, nicht ganz auf der Höhe der Zeit wirkt lediglich der flache Sitzwinkel von 74,5 Grad.
X-Fusion McQueen, Microshift Advent, Tektro HD - die Ausstattungsliste des Rockrider E-Expl liest sich im Einheitsbrei der üblichen E-MTB-Kandidaten wie ein Wörterbuch in einem seltenen Dialekt aus dem fernen Himalaya. Rockshox oder Fox? Schwalbe oder Maxxis? Shimano oder Sram? All diese Marken sucht man vergebens. Aber genau das scheint ein Teil des Geheimnisses des konkurrenzlosen Preises zu sein.
Das Gute dabei: Produkte, die die Funktion des E-MTBs einschränken, finden sich kaum. Im Gegenteil: Einige Parts entpuppen sich in unserem Test als handfeste Überraschungen, die der namhaften Konkurrenz in Sachen Preis-Leistung voraus sind. Einzig die schwachen Tektro-Bremsen sind ein klares Manko für den Einsatz im Gelände. Super dagegen: Im Gegensatz zu vielen anderen günstigen E-MTBs ist das E-Expl 520S schon ab Werk mit einer Teleskopsattelstütze ausgestattet. Das erhöht Komfort und Fahrsicherheit in Gelände und Alltag.
Im Sattel des Rockrider E-Expl 520S fallen sofort zwei Dinge auf: Die Sitzposition ist sportlich angehaucht und platziert uns mittig auf dem Bike. Auf modernen Enduros sitzt man deutlich weiter vorne, Rockrider setzt eher auf eine klassische Tourenposition. Das Zweite: Der Motor schiebt angenehm leise. Beides bringt ein komfortables und angenehmes Fahrgefühl mit.
Biegt man von der Straße ins Gelände ab, verstärkt sich der Komfort-Charakter nochmal. Denn die Federung saugt Unebenheiten gierig auf. Gemeinsam mit den sehr weichen und damit griffigen Reifen bietet das Bike unheimlich viel Traktion. Schwierige Anstiege nimmt es dadurch locker. Dank der langen Kettenstreben braucht man sich auch um ein steigendes Vorderrad kaum Gedanken machen.
Der Motorschub reicht im Test auch für steile Anstiege - bleibt aber klar spürbar hinter der Power eines Bosch Performance CX oder des Brose Drive T zurück. Ebenfalls auffällig, wenn es richtig steil ist: Die Sitzposition könnte für technische Uphills noch zentraler sein, um die Kontrolle über das Bike zu verbessern. Doch in Summe sind die Klettereigenschaften dieses E-Bikes gelungen.
Die unkomplizierten Eigenschaften, die das Bike selbst auf schwierigen Anstiegen zeigt, setzen sich auch in der Abfahrt fort. Die Federung gibt den Hub bereitwillig frei, so bleibt die Fahrt auch bei ruppigem Untergrund komfortabel. Gemeinsam mit den sehr griffigen Reifen ist auch die Traktion hervorragend, so hat man stets volle Kontrolle über das Bike. In Summe hat man eher das Gefühl, mit mehr Federweg unterwegs zu sein, als mit schmalen 140 Millimetern.
Erst wenn man richtig sportlich in Rumpelpassagen schießt, gehen dem Fahrwerk die Reserven aus. Sportliche Trail-Biker würden sich etwas mehr Gegenhalt und Progression wünschen - doch das ist Jammern auf hohem Niveau, insbesondere, wenn man den Preis betrachtet. Die X-Fusion-Federgabel, kann sehr gut mit den günstigen Modellen bekannterer Marken wie Rockshox oder SR Suntour mithalten, wie sie in vielen E-MTB bis 5000 Euro stecken.
Einen richtigen Spaßdämpfer gibt´s leider dennoch: Die kleinen Zweikolbenbremsen Tektro HD-M 276 bieten nicht genügend Biss und beschneiden Fahrsicherheit und Fahrspaß deutlich. Geht es gar steiler oder länger bergab, nervt die zu schwache Bremswirkung, strengt mehr an und trübt den ansonsten sehr gelungenen Downhill-Auftritt deutlich.
Durch den eher steilen Lenkwinkel macht das Bike auch auf zahmen Trails noch Spaß, Schwerlaster-Feeling kommt zum Glück nicht auf. Wirklich spritzig fährt sich das E-Expl mit seinem hohen Gesamt- und Laufradgewicht zwar nicht. Und Spielereien, wie das Bike zum Manual aufs Hinterrad ziehen, fallen schwerer als mit ausgewiesenen Trail-Flitzern. In Summe kann das E-MTB von Rockrider im Gelände aber gut mit einigen E-Mountainbikes mithalten, die zwischen 4000 und 5000 Euro kosten. Das ist eine enorme Leistung!
Hat man es mit dem Rockrider weniger auf steile Trails und garstiges Gelände abgesehen, sondern auf gemächliche Touren im Flachen, wird der komfortable und unkomplizierte Charakter des Bikes ebenfalls überzeugen. Die super klebrigen Stollenreifen, die im Gelände punkten, könnten auf langen Asphaltausfahrten aber deutlich an der Reichweite knabbern. Denn der Rollwiderstand ist deutlich höher als bei der Mischbereifung, die an klassischen Einsteiger-E-MTBs zumeist verbaut wird.
Auch der 500er-Akku des E-Expl beschneidet die Reichweite, die unter dem Niveau des aktuellen Marktdurchschnitts bleibt, wo Batterien mit 600 bis 900 Wattstunden üblich sind. Wer stromsparend unterwegs ist, sollte aber auch mit diesem System längere Touren meistern können.
Das Gewicht von über 25,5 Kilo ist in Anbetracht der kleinen Batterie jedoch alles andere als berauschend. Das macht sich auch im Alltag beim Handling bemerkbar. Hier wird klar: Leichtbau ist zu diesem Preis einfach nicht drin. Und Rockrider hat den Fokus offensichtlich lieber auf Robustheit und Geländetauglichkeit gelegt. Die lebenslange Garantie auf Rahmen und Anbauteile hinterlässt hier ebenso ein gutes Gefühl.
Das Fazit zu diesem Bike ist ganz klar eine Frage der Perspektive! Mich persönlich hat das Rockrider E-Expl 520S absolut positiv überrascht. Denn selbst günstige E-Fullys für über 1000 Euro mehr konnten im Gelände zuletzt eher mäßig überzeugen. Das E-Expl hingegen schon. Zumindest, wenn man bei den viel zu schwachen Bremsen ein Auge zudrückt. Decathlon hat hier eine echte Fahrmaschine mit Trail-Potenzial auf die Beine gestellt. Fahrsicher, leise und elegant - ein Volltreffer in der Preis-Leistungsliga! - Florentin Vesenbeckh, stellv. Chefredakteur EMTB Magazin