Jan Timmermann
· 08.05.2024
Als BIKE-Testredakteur Jan Timmermann das Merida One Forty Mitte vergangenen Jahres entgegennahm, war es wie ein Wiedersehen zwischen zwei alten Freunden. Auch das erste eigene Fully unseres Testers war einst ein Merida-Fully mit Marzocchi Bomber Federgabel gewesen. Damals prangte der Schriftzug UMF (United Merida Freeriders) auf kantigen Alu-Rohren.
Im Jahr 2024 gibt sich das Merida One Forty mit Carbonrahmen deutlich professioneller und natürlich moderner. Ein eigensinniges Geometriekonzept vereint kurze Sitzrohre mit ausladenden Reach-Werten. Um Fahrern bei der Größenwahl möglichst viele Freiheiten zu lassen, ist eine spezielle, stufenlos verstellbare Telestütze mit bis zu 230 Millimetern Verstellbereich Teil des Geo-Ansatzes.
Dank progressiver Maße konnten wir das Bike bei 190 Zentimetern Körpergröße in Größe L testen und waren mit der Passform großenteils zufrieden - doch dazu an späterer Stelle mehr. Theoretisch wäre dank des Konzeptes aber auch Rahmengröße XL fahrbar gewesen.
Ausstattung (Serienbike)
In der Kategorie All Mountain trifft das Merida One Forty den Nagel auf den Kopf. Für leichtfüßige Trail-Action ist die Serienausstattung leider zu schwer. In heftigem Enduro-Gelände limitieren Ausstattungsdetails wie Dämpfer und Reifen. Eine klare Stärke des Merida-Fullys ist das ausgewogene Handling. Trotz langen Reach-Werts fällt die Sitzposition kompakt aus. Verantwortlich dafür ist in erster Linie der extrem steile Sitzwinkel.
Auf der Suche nach einem interessanten All Mountain der preislichen Mittelklasse fiel das Merida One Forty 6000 gleich ins Auge. Mit einem durchdachten Chassis, einer interessanten Geometrietabelle und einer funktionalen Ausstattungsliste war das Bike schnell als potentieller Langzeitgast identifiziert. Anfangs wurde das Merida vor allem auf den vielen natürlichen Trails des vorderen Bayerischen Waldes bewegt. Ausdauernde Anstiege gehörten ebenso zur Tagesordnung wie lange, steinige Abfahrten.
Immer wieder wurde das One Forty auch in den Bikepark Geißkopf entführt, wo es mit schnellen Brechsand-Pisten aber auch den fordernden Trails der Chilli-Enduro-Series vertraut gemacht wurde. Es folgte ein Testzeitraum, in dem das Bike wiederholt auf die vergleichsweise flachen Trails des bayerischen Jurasteigs und auf abwechslungsreiche Touren im vorderen Odenwald ausgeführt wurde. Auch einen mehrtägigen Besuch im Bikepark Leogang musste es aushalten. Die letzte Phase des Dauertests verbrachte das Merida One Forty auf den voralpinen Trails Oberbayerns.
Trotz diverser anderer Verpflichtungen und Tests kamen mit dem Merida One Forty in rund einem Dreivierteljahr 1950 Kilometer und 55.000 aus eigener Kraft zurückgelegte Höhenmeter zusammen. Zusätzlich addierten sich circa 12.000 Tiefenmeter nach Lift- und Shuttlefahrten. Gefahren wurde das Bike bei allen Witterungsbedingungen vom staubigen Sommer durch den kalten Winter bis ins nasse Frühjahr.
Dabei blieben dem Merida große Ladungen Schlamm ebenso wenig erspart wie gelegentliche Passagen von salzigem Schmelzwasser. Regelmäßige Feierabendrunden zwischen 500 und 1000 Höhenmetern gehörten zum Alltag des Testbikes, der ab und zu mit ausgedehnten Runden mit bis zu 2200 Höhenmetern gespickt war. Während des Zeitraums wurde die unverbindliche Preisempfehlung durch Merida von 5600 auf 5200 Euro reduziert.
In der Praxis verfehlt der progressive Geometrie-Ansatz seine Wirkung nicht. Mit einem langen Reach von knapp über 500 Millimetern und einem 64,8 Grad flachen Lenkwinkel agiert das Bike in schnellen und steilen Trailabfahrten sehr souverän. Dass sich die Sattelstütze im nur 445 Millimeter kurzen Sitzrohr um volle 230 Millimeter absenken lässt, erlaubt viel Bewegungsfreiheit über dem Oberrohr. In technisch schwierigen Trail-Passagen hilft das zusammen mit der ausgewogenen Kettenstrebenlänge von 436 Millimetern bei der Kontrolle.
Für 190 Zentimeter Körpergröße empfanden wir das Längenverhältnis zwischen Hinterbau und Hauptrahmen als gut getroffen. Willig geht das Merida aufs Hinterrad und lässt sich trotz langen Reachs spielerisch durch enge Kurven drücken. Tatsächlich animiert das One Forty regelmäßig zum Abziehen und hat das Zeug zur absoluten Spaßmaschine: Sprünge gehen leicht von der Hand, die kraftvollen Bremsen mit großen Scheiben laden zum Nose-Manual durch Spitzkehren-Trails ein und mit niedrigen Luftdrücken im Tubeless-Setup konnte schließlich auch die Reifenwahl überzeugen.
Das Merida One Forty 6000 verfügt über ein regelrechtes Sportfahrwerk. Gabel und Dämpfer geben ihren Hub nicht ganz so willig frei, wie bei anderen All-Mountain-Bikes. Insgesamt fällt der Fahrwerks-Charakter eher straff als gutmütig aus und kommt einem aktiven Fahrstil entgegen.
Sensibilität ist derweil keine ausgeprägte Stärke der einfachen Federelemente. Der deutlich vorhandene Gegenhalt im Fahrwerk gibt dafür jederzeit ein gutes Feedback vom Untergrund. Anders ausgedrückt: Das Merida will lieber mit viel Tempo in einen Anlieger krachen, als komfortabel über einen Wurzelteppich gleiten.
Der kleine Rockshox Deluxe Dämpfer ohne Ausgleichsbehälter ist mit sehr langen, ruppigen Abfahrten überfordert. In diesen Extremfällen, die zum Beispiel im Bikepark oder im alpinen Gelände öfters auftreten, als im Mittelgebirge, läuft er heiß und spricht zäh an. Ab Werk hemmt ein hohes Gesamt- und vor allem das Laufradgewicht den Spieltrieb.
Einmal auf Diät gesetzt, mutiert das Bike aber zu einem echten Spaß-Garant. Und wer sich ein hippes Jibb-Bike aufbauen will, kann das One Forty dank Flip-Chip problemlos auf einen Mullet-Laufradsatz stellen und so das reaktive Handling noch unterstützen.
Einziges potentielles Manko in der Geometrietabelle ist die Steuerrohrlänge. Während alle anderen Maße ab Werk gut passten, fällt diese mit 105 Millimetern knapp aus. Was für kleinere Fahrer noch passen mag, erforderte beim 1,90 Metern Körpergröße eine Korrektur der Cockpithöhe nach oben, um sowohl bergab als auch bei Touren nicht zu viel Last auf der Front zu haben.
Apropos: Mit 78,5 Grad fällt der Sitzwinkel extrem steil aus. In flachen Anstiegen und längeren Fahrten in der Ebene ist das in Kombination mit der tiefen Front zu viel des Guten. Dann kommt es schnell zum Druckgefühl auf den Händen. Abgesehen davon ist die Sitzposition für ein All Mountain aber stimmig und lässt auch große Runden durch steiles Gelände zu.
Das straffe und definitiv effiziente Fahrwerk des Merida One Forty 6000 lässt im offenen Modus nur wenig Tretenergie verpuffen. Ein Lockout hilft bei langen Rampen auf Asphalt. Im Auslieferungszustand verderben jedoch zu viele Pfunde den Spaß am sportlichen Einsatz des Carbon-Fullys. Wer gerne ausgedehnte Touren fahren möchte, tut gut daran, an der ein oder anderen Stelle Gewichtstuning vorzunehmen.
Die 520 Prozent Übersetzungsbandbreite des Shimano SLX-Antriebs sind auch in alpinem Gelände absolut ausreichend. Schön, dass Merida keine Blender-Strategie fährt, sondern - umgekehrt - ein SLX-Schaltwerk mit einem XT-Schalthebel kombiniert. So profitiert das One Forty vom wertigeren Schaltgefühl der höheren Klasse.
Insgesamt stellte sich das Merida-Fully als robuster Kollege mit der einzelnen punktuellen Schwachstellen heraus. Während des gesamten Testzeitraums gab es aber keine katastrophalen Defekte. Die lange Zeit im intensiven Einsatz sind aber natürlich nicht spurlos am taiwanesischen All Mountain vorbeigegangen.
Da wir kein einziges Mal die Verschleißteile wechselten, ist ein Austausch von Reifen, Bremsbelägen, Kette und Kassette zum Ende des Tests nun überfällig. Im BIKE-Prüflabor ermittelten wir an den Bremsen eine verbleibende Belagsdicke von 0,7 Millimetern vorne und 0,8 Millimetern hinten. Die Kette befindet sich zum Test-Ende an der Verschleißgrenze, hat sich gelängt und hängt auf dem kleinsten Ritzel inzwischen durch. Die Umlenkrollen des Shimano-SLX-Schaltwerks sind trocken gelaufen und haben Spiel, drehen sich aber noch willig.
Zwei nervige Eigenarten der ansonsten absolut empfehlenswerten Shimano-Scheibenbremsen blieben auch dem Merida One Forty 6000 nicht erspart. Zum einen machten sich die mit Kühlrippen bestückten Beläge durch ein Klappern bemerkbar, das nur durch das Aufbiegen der Feder reduziert werden konnte. Zum anderen setzte nach rund 1200 Kilometern ein wandernder Druckpunkt ein. Das Problem konnte auch durch mehrmaliges Entlüften nicht beseitigt werden und trat vor allem bei kühlen Temperaturen in steilem Gelände an der Hinterradbremse auf.
Merida liefert die Alu-Felgen des One Forty 6000 ohne Tubeless-Felgenband oder -Ventile, sondern mit Schläuchen aus. Das Ergebnis: Der erste Platten am Vorderrad nach nur 100 Kilometern, der zweite nach 300 Kilometern. Gewöhnliche Schläuche und der Maxxis Minion mit dünner Exo-Karkasse sind keine empfehlenswerte Kombi für anspruchsvolle All-Mountain-Biker.
Gewichtsersparnis und Pannenschutz eines Tubeless-Setups sollten dem Charakter des One Forty dafür massiv entgegen kommen. Wir tauschten gleich den kompletten Laufradsatz und entschieden uns für eine Luxus-Version aus Carbon mit großer Innenweite (Roval Traverse SL II).
Upgrade und Umbau brachten über 600 Gramm Gewichtseinsparung an rotierender Masse und damit einen regelrechten Performance-Boost. Die neuen Laufräder machten den Wechsel auf Bremsscheiben mit Sechs-Loch-Aufnahme notwendig. Dächle-HD-Scheiben von Trickstuff erhöhten die ohnehin gute Bremsleistung ein wenig und Titan-Schrauben halfen etwas beim Abspecken. Über die 1350 Kilometer und 38.000 Höhenmeter, auf denen die nachgerüsteten Scheiben montiert waren, reduzierte sich deren Dicke von 2,0 auf 1,8 Millimeter.
Um persönlichen Vorlieben gerecht zu werden, wechselten wir auf einen anderen Sattel (Selle Italia SLR) und ein Cockpit mit mehr Rise (Funn Equalizer Vorbau, Syntace Carbon Lenker und Odi Troy Lee Designs Griffe). Der Wechsel sparte zudem einige weitere Gramm Gewicht ein. Beim Experimentieren mit der Vorbauhöhe kam es zu einem Sturz, in dessen Folge der Lenker verdreht wurde. Der etwas größer bauende Vorbau hinterließ einen unschönen Kratzer im Oberrohr, der zum Glück keine strukturellen Auswirkungen auf den Carbonrahmen hatte. Unbeeindruckt von vielen Regenfahrten laufen die Steuersatzlager noch geschmeidig. Im Steuerrohr reiben allerdings die durchs Lager verlegten Züge und neigen beim Einlenken zum Klappern.
Zu einer unschönen Geräuschkulisse trug auch der in die hintere Steckachse integrierte Sechskantschlüssel bei. Bereits nach wenigen Fahrten klapperte dieser aufgrund seiner mangelhaften Passform laut und wurde entfernt. Trotz massig Dreckbeschuss dreht sich das Race-Face-Tretlager noch leichtgängig und spielfrei. Allerdings greift die Schraube des Axial-Einstellrings nicht mehr, sodass dieser nicht fixiert werden kann - ein bekanntes Problem bei diesem Bauteil aus Kunststoff.
Die ab Werk verbaute Fidlock-Flasche ist Geschmacksache. Mit der zwar praktischen aber mit der Zeit klapprigen Halterung konnten wir uns jedenfalls nicht so recht anfreunden. Bei beiden getesteten Fidlock-Flaschen war das Handling suboptimal. Das mitgelieferte Modell erforderte bei kühlen Temperaturen hohe Handkräfte, um Wasser aus dem Mundstück zu drücken, bei der nachbestellten Flasche war das Plastik wiederum zu weich, sodass bei einem versehentlichen Drücken Wasser seitlich aus dem Deckel entwich. Über einen Adapter besteht die Möglichkeit, auch konventionelle Flaschenhalter am Rahmen des Merida One Forty 6000 zu montieren.
Merida bestückt das One Forty 6000 mit einer gewaltigen Menge Zubehör. Unter dem Sattel sitzt ein Multitool, in der Achse ein Schlüssel, an einer Rahmenhalterung ein Ersatzschlauch, im Unterrohr-Staufach eine Werkzeugtasche mit Luftpumpe und Tubeless-Reparatur-Kit. Für Biker, die nichts davon zu Hause haben ist das bei der Anschaffung genial, denn sie erhalten gleich das volle Paket. Für alle anderen stellt sich die Frage, ob das Bike ohne all diese Kleinigkeiten nicht günstiger zu haben wäre oder die Ressourcen vielleicht besser in Ausstattungsdetails, wie einen hochwertigeren Laufradsatz, investiert werden sollten. So oder so: Das Konzept drückt mächtig aufs Gewicht. Satte 603 Gramm spart, wer sich von all den zusätzlichen Gadgets trennt.
Gemeinsam mit dem leichten Tubeless-Laufradsatz und den etwas hochwertigeren Anbauteilen ließ sich das Gewicht im Testverlauf um volle 1,2 Kilo reduzieren. Für alle, die Wert auf ein leichtfüßiges Handling legen, ist es schade, dass Merida keine minimalistisch-reduzierte Version des Bikes anbietet. Das leichte Topmodell One Forty 10K kostet mit 11.699 Euro mehr als doppelt so viel wie unser Testbike. Wer am Modell 6000 noch weiteres Tuning-Potential sucht, könnte an der Gabel ein leichteres und am Dämpfer ein schwereres aber potenteres Produkt verbauen.
Die lange Dropper-Post bereitete im Test keine größeren Probleme. Zwar entwickelte sie schon früh ein minimales seitliches Spiel, und die Beschichtung schliff sich vorne durch, ihre Funktion ist jedoch weiterhin tadellos. Insgesamt kommt die Variostütze mit allem Zubehör auf knapp ein Kilo Gewicht. Vorbereitet ist der Rahmen auch für ein integriertes und rund 300 Gramm leichteres System von Eightpins. Dieses Upgrade geht dann aber mächtig ins Geld.
Während sich die Lager des Hinterbaus noch sauber drehen, laufen jene in der Dämpferbrücke zwar spielfrei, aber rau. Darin könnte auch die Erklärung liegen, dass das System inzwischen bei starker Querbelastung zum Knarzen neigt, zum Beispiel in Kurven. Bei der Erstmontage des vorderen Dämpferbolzens scheint Schraubensicherungslack auf die Oberfläche gelangt zu sein, sodass der Bolzen nun in der Bohrung festgebacken ist.
Eines der wohl gravierendsten Probleme trat erst zum Ende des Dauertests auf, als der scheinbar unterdimensionierte Rockshox-Dämpfer begann, Zicken zu machen. Bei harten Einschlägen, wie etwa Landungen im Flat, sprang der Hebel der Druckstufenregelung aus seiner Position. In der Mitte zwischen offen und geschlossen besitzt das Federbein ein kurioses Spiel, ist hart und unsensibel. Trat das Phänomen zunächst nur selten auf, häufen sich die Zwischenfälle inzwischen. Zwar besitzt der Druckstufenhebel an sich sehr viel Spiel, ein rein mechanisches Problem ist aber auszuschließen. Hier hilft nur, den Dämpfer zum Service zu schicken. Die Marzocchi-Gabel arbeitet derweil weiter unauffällig und ist frei von Buchsenspiel.
Gemessen an Rahmenqualität und Ausstattung ist der reduzierte Kaufpreis des Merida One Forty 6000 im Vergleich zur Konkurrenz fair. Durch die formidable Geometrie und das detailreiche Chassis lohnt es sich an der einen oder anderen Stelle etwas Geld in Tuning zu investieren. Erste Baustelle sollte das hohe Laufradgewicht sein. Dann wird aus dem Merida ein spaßiger Spielkamerad und ausdauernder Tourer mit Sportfahrwerk. Nach der Radikaldiät gefiel mir das unkomplizierte Handling des Merida One Forty ausgezeichnet. Im Dauerbetrieb schlug sich das All Mountain der Taiwanesen mit kleineren technischen Problemen aber ohne Totalausfälle durchschnittlich. - BIKE-Testredakteur Jan Timmermann