Die meisten Light E-MTBs zielen auf kompromisslosen Trail-Einsatz und glänzen nicht unbedingt mit hohem Alltagsnutzen. Anders das Merida. Unter dem Sattel und in der Hinterradachse transportiert das eOne-Sixty SL gleich zwei Tools. Vor dem Dämpfer kann ein Ersatzschlauch, am Hinterbau eine Verlängerung des ab Werk verbauten Schutzblechs montiert werden.
Als einziges Bike in unserem Light-Vergleichstest nimmt es eine extragroße Ein-Liter-Trinkflasche auf. Am Lenker informiert das kleine Bosch-Display über die wichtigsten Fahrdaten. Ein Flipchip ermöglicht den Wechsel auf ein kleines 27,5-Zoll-Hinterrad und ein Lenkanschlagsbegrenzer beugt Beschädigungen des Oberrohrs vor.
Der makellos verarbeitete Rahmen strotzt nur so vor Details! Besonders kleine und große Größen und eine lebenslange Garantie auf den Rahmen gibt’s noch on top. Wer sich jetzt verliebt hat: Statt in Rot verkauft Merida das SL 6000 in Deutschland nur mit sandfarbenem Lack.
Im Merida steckt Boschs Light Motor SX, der gerade durch ein Firmware-Update auf 60 Nm in der Spitze aufgebohrt wurde. Merida kombiniert den SX mit dem üblichen 400er Akku, der fest verbaut im Rahmen steckt. Für mehr Reichweite kann man auf den Range-Extender Powermore mit 250 zusätzlichen Wattstunden zurückgreifen. Die wichtigsten Infos zeigt die Kombination aus Purion 400 Display und System Controller an.
Eine Besonderheit bei Meridas Konstruktion: Der Motor wird wie bei Canyons Neuron:Onfly durch ein vollständig umschließendes Cover optisch komplett in den Rahmen integriert. Der Bosch SX Motor kann Wärme so schlechter nach außen ableiten und überhitzt so bei langen Anstiegen im Vollgas noch etwas schneller, als ohnehin schon. Kein Problem im Touren-Modus, in langen steilen Alpen-Anstiegen im Turbo-Modus spürt man es aber.
Pünktlich für unseren Test hat Merida den Preis angepasst. Eigentlich kostete das SL 6000 400 Euro mehr. Die Ausstattung ist trotzdem gleich geblieben: Hochwertiger Vollcarbon-Rahmen, durchgängig funktionale Deore-Parts und ein besonders griffiger Vorderreifen funktionieren auf dem Trail top. Das Marzocchi-Fahrwerk bietet eine gelungene Alternative zu den Platzhirschen Fox und Rockshox. Gerade die Gabel ist sehr sensibel im Ansprechverhalten, der Dämpfer bietet einen Ausgleichsbehälter und eine einstellbare Druckstufe. In dieser Preisklasse keineswegs selbstverständlich.
Von klassischen Geometrien à la S bis XL hat sich Merida schon seit längerem verabschiedet. Stattdessen soll man sich das Bike nach der passenden Länge aussuchen. Durch besonders kurze Sitzrohre und lange Tele-Stützen gibt’s hier viel Flexibilität für persönliche Vorlieben. Die Kettenstreben bleiben über alle Rahmengrößen gleich, die Front fällt eher tief aus. Beim Topmodell montiert Merida deswegen einen Lenker mit viel Rise. Der hätte unserem Testbike auch nicht geschadet.
Noch eine Spezialität versteckt sich im Merida-Chassis: Anstelle eines zusätzlichen Gelenks arbeitet das Fahrwerk über flexendes Carbon am Hinterbau. Auf dem Trail funktioniert der sogenannte „Flex-Pivot“ anständig, wurde von unseren Testern jedoch nicht als ausgewiesen komfortabel wahrgenommen. Zwar bieten die langen, schluckfreudigen Federelemente hohe Reserven. Der Hinterbau lässt im Vergleich zu den Testkonkurrenten Mondraker Sly und Propain Sresh SL aber das letzte Quäntchen Sensibilität vermissen.
Gleichzeitig liefert er nicht ganz den definierten Support eines Canyon Spectral:On fly oder Propain Sresh SL. Die Laufruhe in der Abfahrt sticht da schon mehr heraus. Der Fahrer wird ausgewogen Integriert, die Geo schafft viel Sicherheit und das Bike lässt sich bei jedem Tempo unkompliziert steuern. Robust und griffig liegen die Maxxis-Reifen auf der Piste. Mit ihren großen Scheiben verzögern auch die günstigen Shimano-Bremsen ordentlich. Das bekannte Getriebeklappern des Bosch-Antriebs geht aber schon in der Garage an die Nerven. Bei spritzigen Manövern und in steilem Gelände hemmen das flache Cockpit und das hohe Laufradgewicht. Schnelle und direkte Linien mit hohem Tempo sind eher die Stärke des Merida, als verspieltes Trail-Gewusel.
Vor allem bei hohen Kadenzen treibt der Bosch das Merida vehement gen Gipfel. Dazu passt die frontlastige Sitzposition. Das kurze Steuerrohr schiebt das Fahrergewicht zusätzlich Richtung Steuerzentrale. Das Vorderrad bleibt beim Klettern stets am Boden, wodurch sich das Bike mühelos unter Kontrolle halten lässt. Selbst in steilen Schlüsselpassagen muss sich der Pilot des eOne-Sixty SL nicht verbiegen. Motor und Geometrie nehmen ihm im Uphill viel Arbeit ab. Bei geringen Trittfrequenzen wünschten wir uns mehr Leistung vom SX-Motor, ein Firmware Update auf 60 Nm hat aber gerade Besserung versprochen. Im Standardtrimm muss man jedenfalls die Trittfrequenz immer bewusst hoch halten. In technischen Sektionen ist das nicht immer praktikabel.
Merida schnürt ein stimmiges, vielseitiges Light-Paket inklusive praktischer Details. Bergauf fährt das sportiv abgestimmte Bike mit dem kraftvollen Motor an die Spitze. Auf dem Trail können Hinterbau und Spielfreude nicht restlos überzeugen. Vom Charakter her mehr Racer mit Touren-Kompetenz als leichtfüßiger Trail-Akrobat. Wer mag, kann dem Spieltrieb mit kleinem Hinterrad und höherer Front etwas nachhelfen. - Adrian Kaether, Redakteur Test & Technik