Florentin Vesenbeckh
· 20.10.2023
Die bayerische Marke M1 Sporttechnik hat eine ganze Palette an Fullys mit dem neuen Light-Antrieb von Bosch am Start. Die Varianten von 150 bis 170 Millimeter Federweg basieren alle auf demselben Rahmen. Unser Test-Bike, die Enduro-Variante, hat 170/160 Millimeter Hub und setzt auf Mullet-Laufräder, also ein großes 29er-Vorderrad gepaart mit 27,5er am Heck. Dazu kommt eine sehr robuste Ausstattung. Gewichtstechnisch fährt es damit keine Rekorde ein, denn die massiven Federelemente und Reifen drücken auf die Waage. 21,1 Kilo wiegt das Bike. Dafür soll das M1 EN.400.SX kompromisslos im härtesten Gelände bestehen. Der Antrieb mit dem für Light-Verhältnisse super starken Bosch SX Motor und dem schnell wechselbaren 400er-Akku macht das Bike nicht nur für Minimalisten interessant. Auch Power-begeisterte E-Biker könnten sich hier locken lassen.
Auffällige Carbon-Rahmen - dafür ist die bayerische Marke M1 bekannt. Natürlich macht der neueste Spross hier keine Ausnahme. Hauptrahmen, Hinterbau und Dämpferanlenkung sind aus Kohlefaser. Einzigartig wird das Chassis durch das Loch im Oberrohr, das den Dämpfer nahezu in den Rahmen integriert. Die Kinematik holt 160 Millimeter Federweg aus dem Fox-Factory-Federbein.
Der Bosch Performance Line SX ist der neueste Light-Motor am Markt - und sicher einer der Besondersten. Gut zwei Kilo bringt er auf die Waage, das ist ähnlich viel wie Fazua und Co. Und dabei soll er die gleiche maximale Leistung bringen, wie der große Bruder Performance CX. Auch wenn das nur die halbe Wahrheit ist, steht fest: Für Light-Verhältnisse ist der Mini-Bosch besonders kraftvoll. Seine dynamische Kraftentfaltung und der starke Punch bei hoher Trittfrequenz entlocken dem Light-Motor echte E-Bike-Gefühle und die Option auf Uphill-Flow. Dazu kommt der CompactTube 400, der super komfortabel und schnell aus dem Unterrohr entnommen werden kann. Auch die Befestigung des Covers mit magnetischem Fidlock-Verschluss kann überzeugen.
Für ein modernes Enduro fällt die Geometrie des EN.400.SX sehr gemäßigt aus. Der Radstand von 1260 Millimeter in Größe L ist nicht auf maximale Laufruhe getrimmt. Das liegt zum einen am moderaten Reach (460 mm, Größe L), zum anderen am ebenso wenig extremen Lenkwinkel (64,5 Grad). Damit landen schon die Eckdaten eher im Schnitt eines klassischen Allrounders der All-Mountain-Kategorie, als im Bereich eines E-Enduros, das auf Highspeed getrimmt ist. Auffällig: Das Sitzrohr fällt recht lang aus, was die Wahl der Rahmengröße bzw. den Platz für eine Teleskopstütze mit viel Hub einschränkt. Der flache Sitzwinkel ist ungewöhnlich für ein modernes Bike und platziert den Piloten im Uphill tendenziell weit hinten.
Im Gegensatz zur Geometrie geht M1 bei den Anbauteilen in die Vollen. Bei der Enduro-Variante seines SX-Bikes setzen die Bayern auf eine besonders robuste Ausstattung. Allem voran stechen die Reifen ins Auge: Schwalbes E-MTB-Brummer Eddy Current. Pannenschutz und Langlebigkeit stehen hier im Vordergrund - was den Lichtbaugedanken eines Light-E-Bikes etwas konterkariert. Zusammen mit den günstigen 1900er-Alu-Laufrädern von DT-Swiss ist die rotierende Masse sehr hoch. Dazu kommen super bissige Magura-MT7-Bremsen mit dicken Bremsscheiben, ein robustes Alu-Cockpit und eine abfahrtsorientierte Fox-Gabel mit dicken 38er-Standrohren. Damit wollen die Entwickler das Bike für härteste Einsätze und Bikepark-Ausflüge wappnen. Schade, dass M1 zur Fit4-Variante der edlen Fox 38 Factory greift, denn diese fällt im Vergleich zur Grip2-Dämpfung spürbar ab. M1 hebt jedoch die simplere Einstellbarkeit hervor. Für Glanz im Ausstattungspaket sorgt Shimanos XTR-Schaltung.
Mit einem E-Enduro auf Tour? Warum nicht! Das gilt besonders für das EN.400.SX von M1. Denn es ist kein Abfahrts-Extremo, der erst auf wilden Highspeed-Abfahrten aufblüht. Die Geometrie ist verhältnismäßig zahm, so bleibt das Lenkverhalten neutral und die Sitzposition auch in der Ebene angenehm. Sportlich angehaucht und leicht gestreckt nimmt man auf dem Bike Platz. Im Alltag und auf Tour bringt der besonders unkomplizierte Akku-Wechsel weitere Vorteile. Gerade bei Light-E-MTBs ist das eher eine Seltenheit. Das gilt auch für die Ständeraufnahme am Hinterbau des M1. Bei gemütlicher Fahrweise bleibt der Performance-SX-Motor von Bosch schön leise - auch das gefällt.
Im Vergleich mit anderen Light-Motoren, wie dem TQ HPR 50 oder dem Specialized SL 1.2, ist der “kleine” Bosch SX erstaunlich kraftvoll. Bei hoher Trittfrequenz schiebt er kurzfristig extrem stark an. So erklettert das Bike auch kernige Anstiege recht entspannt. Dabei sollte man aber auf dem Sattel etwas nach vorne rutschen, sonst sitzt man wegen des flachen Sitzwinkels zu hecklastig. Dann jedoch bleibt das Vorderrad gut in der Spur, das Handling gibt sich auch in steilen Abschnitten unkompliziert. Im Light-Vergleich gehört das M1-Light-Enduro somit zu den starken Kletterern. Allerdings muss man den SX-Motor bewusst auf Kadenz halten, denn bei niedriger Trittfrequenz bringt er nur mäßigen Schub.
Doch wie schlägt sich das EN.400.SX in seinem angedachten Habitat, nämlich auf extremen Abfahrten? Sein Charakter ist eher laufruhig als übermäßig quirlig. Die massiven Reifen geben der Fahrt zusätzlich Sicherheit. So schluckt das Bike auch garstiges Gelände. Richtiges Enduro-Feeling will im direkten Vergleich mit den drei anderen E-Enduros, die wir mit dem M1 über Trails und durch den Bikepark gescheucht haben, aber nicht aufkommen. Weder die gemäßigte Geometrie, noch das wenig schluckfreudige Heck animieren dazu, in fiesem Geläuf so richtig Gas zu geben. Deutlich wohler fühlt sich das Bike in gemäßigtem Terrain. Hier nagen allerdings die sehr schweren Laufräder an Spieltrieb und Spritzigkeit, der Light-Charakter geht dadurch etwas verloren. Unser Tuning-Tipp: Leichtere Reifen montieren! Insgesamt würde nach unserem Empfinden ein gewichtssparender Aufbau deutlich besser zum vielseitigen All-Mountain-Charakter und dem sportlich direkten Fahrwerk passen. Und den hat M1 ja auch im Programm, denn vom 400.SX gibt es noch vier weitere Ausstattungsvarianten.
Das M1 EN.400.SX zeigt starke Allround-Eigenschaften, eine eigenständige Optik, und der Akku ist schnell gewechselt. In Kombination mit dem starken Bosch SX-Motor wird das Bike für eine breite Zielgruppe interessant. In derbem Enduro-Einsatz kann es allerdings trotz robuster Ausstattung nicht voll überzeugen. Weder die Schluckfreude, noch der Spieltrieb erhält Bestnoten. Eine leichtere All-Mountain-Ausstattung, die M1 auch im Programm hat, würde dem Chassis besser zu Gesicht stehen und seine Stärken fördern. - Florentin Vesenbeckh, Testleiter EMTB Magazin
¹Ermittelt auf den Prüfständen im EMTB-Testlabor, Gewicht ohne Pedale. Akku-Gewicht ggf. inkl. verschraubtem Cover.
²Herstellerangabe
³Stufentest, gemessen mit 36 Zentimeter erhöhtem Hinterrad
⁴Das Urteil gibt den subjektiven Eindruck der Tester und die Ergebnisse der Reichhöhenmessung und der Labortests wieder. Das EMTB-Urteil ist preisunabhängig. EMTB-Urteile: super (ab 9,0), sehr gut (ab 8,0), gut (ab 7,0), befriedigend (ab 6,0), mit Schwächen (ab 5,0), darunter ungenügend.