Seit das neue, langhubige Liv Intrigue LT Advanced Pro 1 diesen Sommer in die Shops rollte, wird rege diskutiert: Ist das jetzt schon ein Enduro oder nicht? Die Antwort ist: nein. Jedenfalls nicht, wenn man die Maßstäbe von Unisex-Bikes ansetzt. Zur klassischen Enduro-Kategorie fehlt es dem Intrigue LT etwas an Federweg, an flacherem Lenkwinkel, an griffigeren Reifen, an größeren Bremsscheiben, und einer massiveren Gabel.
Was man bei der Diskussion aber völlig vergisst: Die Marke Liv passt sowieso nicht in gängige Schubladen – es ist der einzige Bike-Hersteller weltweit, der für Frauen nicht einfach einen Unisex-Rahmen schrumpft und das Ganze mit kleineren Griffen bestückt, sondern speziell auf weibliche Bedürfnisse abgestimmte Rahmen konstruiert. Die Philosophie von Liv basiert auf einer groß angelegten Studie, die das Mutterhaus Giant einst zum Thema 'Weibliche Ergonomie im Radsport' in Auftrag gegeben hat. Demnach sind Frauen bei gleicher Größe im Schnitt leichter als Männer, sie haben weniger Muskelmasse – also auch weniger Kraft – und: Frauen haben ihren eigenen Schwerpunkt in der unteren Körperhälfte. Mit ein Grund, warum sie beim Bergabfahren dazu neigen, ihren Schwerpunkt weit nach hinten zu verlegen.
Betrachtet man das Liv Intrigue LT unter diesen Voraussetzungen, kann man das Bike als Mann vielleicht besser verstehen, als Frau aber vor allem spüren – und schon macht alles Sinn: Der sehr steile Sitzwinkel schiebt die Fahrerin schon beim Draufsetzen in eine zentrale, sich sehr sicher anfühlende Position. Der Reach wurde im Vergleich zum normalen Intrigue-Trailbike um ein paar Millimeter verlängert und der Lenkwinkel um ein Grad abgeflacht. Das sorgt bei höherem Tempo für Laufruhe. Da der Lenkwinkel mit 64,8 Grad aber nicht extrem flach ausfällt, bleibt das Liv Bike auch ohne großen Krafteinsatz auf verwinkelten Pfaden leicht beherrschbar. Etwas kürzere Kettenstreben könnten das Intrigue LT sogar noch wendiger machen, doch im nächsten steilen Anstieg ist man wieder froh, weil durch sie das Vorderrad ohne große Gewichtsverlagerung bequem am Boden bleibt. Ein Plus an Wendigkeit gibt es bei den Rahmengrößen XS und S: Sie werden mit Mullet-Aufbau, also 27,5 Zoll-Laufrad hinten und 29 Zoll vorne geliefert. Die Rahmengrößen M und L kommen ab Werk mit 29 Zoll-Laufrädern, können aber dank Flipchip auf Mullet umgerüstet werden.
Brandneu ist auch der Maestro 3 Hinterbau. Mittels besagtem Flipchip lässt sich auch die Geometrie bei den M- und L-Rahmen nicht nur in zwei, sondern sogar in drei Stufen feinjustieren. Wir sind das Bike in Größe M in der Low-Einstellung gefahren. Die High-Variante würde das Tretlager um 10 mm anheben und für einen steileren Sitzwinkel (0,8 Grad), einen steileren Lenkwinkel (0,9 Grad) und für drei Millimeter kürzere Kettenstreben sorgen – eine agilere Einstellung, die vor allem auf verwinkelten und technischen Pfaden Sinn macht. Lob gibt es auch für das Fox-Fahrwerk. Es lässt sich dank vielseitiger Zug- und Druckstufen-Dämpfung auch einfach auf Leichtgewichte einstellen und bügelt mit dem richtigen Setup jede querliegende Wurzel weg.
Begeistert hat uns die Ausstattung des Carbon-Modells des Liv Intrigue Advanced: Da kann Liv auf die inzwischen große Palette des hauseigenen Giant-Lagers zurückgreifen. Gespart wurde hier nicht an Funktion, sondern nur am Gewicht. Denn setzt man wie Liv eben voraus, dass Frauen weniger aggressiv fahren, leichter sind als Männer und weniger Kraft haben, dann kann man bei Laufrad, Sattelstütze, Sattel und Lenker guten Gewissens zu leichteren Komponenten greifen. So ist es auch stimmig, die Fox Float Performance Elite-Gabel mit 160 Millimetern Federweg und den leichteren 36er-Standrohren zu verbauen, statt der sonst Enduro-üblichen 38er-Version von Fox. Auch die 180er-Bremsscheibe hinten spart Gewicht und dürfte leichteren Frauen völlig ausreichen. Hinten ein Reifen, der leichter rollt: das spart Körner bergauf. Vorne ein Reifenprofil, das zupackt: sorgt für Sicherheit. Gepaart mit dem sehr leichten Carbon-Rahmen (2630 Gramm) schafft es die Carbon-Version knapp unter 14 Kilo zu bleiben (ohne Pedale). Auch die hauseigenen Carbon-Laufräder zahlen auf die gute Gewichtsbilanz ein.
Gesamtpunktzahl bergauf: 64,75 von 90
Gesamtpunktzahl bergab: 110 von 130
Sonstiges: 24,75 von 30
14 Kilo klangen für mich erstmal viel, aber das Liv Intrigue rollt richtig gut voran und lässt sich auch auf welligen Trails leicht auf Tempo halten. Hat man einmal an Fahrt aufgenommen, punktet es Liv-typisch mit einem direkten Lenkverhalten und viel Laufruhe. Bergauf gewöhnt man sich schnell eine neue Gangart an: also Granny-Gear rein und Laktat-Spitzen vermeiden! Für mich wandelt das Intrigue LT damit zwischen den Kategorien Allmountain und Enduro. - Gitta Beimfohr, BIKE Redaktion