Das Sportgerät muss zum Sportler passen - das gilt fürs Biken ganz besonders. Nicht ohne Grund haben Hersteller in der Regel fünf, sechs, sieben oder sogar noch mehr unterschiedliche Rahmengrößen im Angebot. Nur ein zur Körpergröße passendes MTB kann die optimale Ergonomie besitzen, um lange Touren ohne Schmerzen durchzustehen. Zusätzlich belasten schwere Fahrer ihr Material deutlich stärker, als leichte. Mountainbikes besitzen in der Regel ein maximal zulässiges Gesamtgewicht. Bei schweren E-MTBs längst in aller Munde, spielt das freigegebene Systemgewicht für große Fahrer auch an Bikes ohne Motor eine Rolle. Wir zeigen, worauf es ankommt und wo Biker mit Extremmaßen passende Sportgeräte finden.
Die Geometrietabelle vieler MTB-Hersteller endet bei Rahmengröße XL. Was für Fahrer um 190 Centimeter Körpergröße noch ausreichen mag, ist für Biker über zwei Meter zu klein. Zu einem echten Problem kann die Suche nach einem passenden Bike für noch größere Menschen werden. Zum Glück gibt es einige Marken, die sich dem angenommen haben und MTBs auch für richtig große Biker bauen. Dabei kommt es jedoch nicht nur auf die passenden Werte bei Sitzrohrlänge, Reach und Stack an, sondern auch auf das Verhältnis der einzelnen Maße zueinander. Warum sollten große Biker ein anderes Fahrerlebnis haben, als kleine?
Es reicht nicht einfach die Sattelstütze möglichst weit herauszuziehen. Ein MTB muss zur Körpergröße passen und ohnehin sollten Sattelstützen nicht über die angegebene Mindesteinstecktiefe hinaus verwendet werden, um Stütze und Rahmen vor unschönen Defekten zu verschonen. Auch ein ungekürzter Gabelschaft mit maximal vielen Spacern ist alleine keine Lösung. Neben der größenspezifischen Geometrie sollte zudem die Rahmensteifigkeit für ein optimales Fahrverhalten und eine nachhaltige Stabilität auf übergroße Bikes abgestimmt sein. Dabei geht es um simple Physik: Die Last auf das Material ist natürlich abhängig vom Fahrergewicht und je größer ein MTB-Rahmen, desto größer auch die Hebelkräfte. Auch für große und schwere Radfahrer gibt es keinen generellen Grund auf Carbonrahmen zu verzichten. Bei Sondergrößen sind Custom-Rahmenbauer mit den Werkstoffen Alu, Stahl oder Titan aber meist flexibler.
Inzwischen setzen zum Beispiel viele Hersteller auf eine Geometrie mit wachsenden Kettenstreben. Heißt: Je größer die Rahmengröße, desto länger die Kettenstreben. Das hilft groß gewachsenen Fahrern bei der richtigen Positionierung ihres Schwerpunktes und kann in Ergänzung zu langen Hauptrahmen für ein harmonischeres, ausgeglicheneres Fahrgefühl sorgen. Beispielsweise das neue Raaw Madonna V3 Enduro in Größe XXL eine verstellbare Kettenstrebenlänge bis zu 460 Millimetern. Raaw empfiehlt diese Extremgröße für Fahrer zwischen 198 und 208 Centimetern Körpergröße. Lange Kettenstreben erfordern jedoch auch mehr Input vom Piloten, wenn dieser sein Rad durch enge Kurven oder aufs Hinterrad bewegen will. Im besten Fall können große Biker vor Kaufentscheidung eine Probefahrt auf einem XXL-MTB organisieren.
Große Räder für große Fahrer: 29 Zoll Laufräder haben sich ohnehin in den meisten Bereichen der MTB-Welt etabliert. Für große Fahrer machen sie aber gleich doppelt Sinn. Neben den besseren Überrolleigenschaften im Vergleich zu 27,5 oder gar 26 Zoll Laufrädern, passen die großen Laufräder bei Bikern über 180 Centimetern deutlich besser zu den restlichen Proportionen des Systems aus Fahrrad und Piloten. So bieten 29 Zoll Laufräder großen Bikern meist ein angenehmeres Handling und ein stimmigeres Fahrgefühl.
Natürlich haben schwere Biker auch ganz andere Ansprüche an die Belastbarkeit eines MTB-Fahrwerks. Bei Fullys gibt das Übersetzungsverhältnis, also der Quotient aus Federweg und Dämpferhub, Auskunft über die auf einen Dämpfer wirkende Belastung. Bei einem niedrigen Übersetzungsverhältnis von 1:2,5 oder weniger ist der Hinterbau relativ härter und der Dämpfer braucht einen vergleichsweise niedrigeren Druck, als bei 1:3. Beispielsweise übersetzt der Hinterbau des Propain Tyee 55 Millimeter Dämpferhub in 160 Millimeter Federweg. Das entspricht einem Verhältnis von 1:2,9 und bedeutet, dass der Dämpfer mit viel Druck gefahren werden muss. Bei schweren Fahrern kann das in Konflikt mit dem zulässigen Maximaldruck im Dämpfer (zum Beispiel 230 PSI) stehen. Gerade bei Kompressionen wirken dann extrem hohe Drücke in der Luftkammer und können zum Beispiel die Lebensdauer von Dichtungen schnell beenden. Nicht zuletzt kommen herkömmliche Dämpferpumpen hier an ihre Grenzen und spezielle Hochdruckpumpen werden erforderlich.
Gerade Fahrer mit über 100 Kilo Körpergewicht sollten sich beim Fully-Kauf für ein Modell mit einem eher langen Dämpferhub im Verhältnis zum Federweg entscheiden. So stehen die Chancen höher, dass das Federbein zum einen lange durchhält und sich zum anderen auch auf das höhere Gewicht einstellen lässt. Auf die Hinterbaulager eines Fullys bringen schwere Fahrer logischerweise mehr Last, als leichte. Groß dimensionierte Kugellager sind unter hohen Krafteinflüssen besonders haltbar. Wer über 120 Kilo wiegt kann es schwer haben ohne Motorunterstützung den Einstieg zu alpinen Trails zu erreichen und wird sich eher auf Fahrten in einfacherem Gelände beschränken. Hier sind Hardtails mit breiten Reifen und passenden Anbauteilen eine gute Wahl.
Ein Hersteller, der sich seit vielen Jahren dem Bau von Bikes extra für hoch gewachsene Fahrer verschrieben hat, ist Maxx. Wie der Firmenname bereits verrät, haben sich die Oberbayern explizit auf große Fahrräder spezialisiert. Fahrer zwischen 189 und 207 Centimetern Körpergröße bekommen mit dem Racemaxx XXL ein passendes Hardtail mit 100 bis 120 Millimetern Federweg. Das beachtliche dabei: Maxx bietet große Räder “von der Stange”. Ohne teure Sonderanfertigung können die Riesen unter den Bikern hier fündig werden. In Rahmengröße 3XL sind die Dimensionen gewaltig:
Da große Fahrer natürlich nicht nur Hardtail fahren wollen, hat Maxx auch ein Enduro mit 170 Millimetern Federweg an der Front und 160 Millimetern am Heck im Portfolio. Dabei spezifiziert Maxx ab Werk einen Stahlfederdämpfer, welcher bei schweren Bikern oft länger hält, als Luftfederdämpfer. Das Maxx Fab.4 gibt es neben klassischen Rahmengrößen für Biker ab 165 Centimetern Körpergröße auch in einer XXL-Version für Enduristen bis 208 Centimeter. In der größten Ausführung wiegt das Enduro mit Stahlfederdämpfer massive 17,98 Kilo (BIKE-Messung). Die hohe Zahl lässt sich im Verhältnis zu einem 100-Kilo-Fahrer aber relativieren. Rein rechnerisch entspräche das bei einem Fahrergewicht von 80 Kilo einem absolut vertretbaren Bike-Gewicht von 14,38 Kilo. Am XXL-Fab.4 kombiniert Maxx einen ausladenden Reach mit einem hohen Stack-Wer und einer gemäßigten Kettenstrebenlänge:
Bekannt für lange Bikes ist auch der deutsche Rahmenbauer Nicolai. Das besondere dabei: Nicolai baut neben Seriengrößen auf Anfrage auch Maßrahmen für alle Modelle des Portfolios, vom Hardtail bis zum Superenduro. Nicolai-Kunden können sich entweder für einen Tailor-Made- oder einen Custom-Rahmen entscheiden. Erstere Option eignet sich zum Beispiel für Personen mit ungewöhnlichen Körpermaßen, wie etwa besonders langen Beinen oder einen außerordentlich hohen Oberkörper. Dann bietet Nicolai an, zum Beispiel das Sitz- oder das Oberrohr zu verlängern. Anders als viele anderen Hersteller setzt Nicolai zum Rahmenbau zudem ausschließlich auf 7020 T6 Aluminium. Dieses macht im Vergleich zu anderen Alu-Legierungen zwar höhere Werkzeugkosten erforderlich, besitzt aber eine im Vergleich bis zu 30 Prozent höhere Zugfestigkeit und eine bis zu 20 Prozent höhere Elastizitätsgrenze.
Wenn die Individualisierung der Geometrie soweit reicht, dass extra eine neue Rahmenzeichnung vom Ingenieur angelegt werden muss, setzt Nicolai auch das für einen Aufpreis von 730 Euro in einem Custom-Rahmen um. Auch ohne Anpassungen sind die größten Nicolai-Rahmen teilweise bereits für 2,10 Meter hohe Fahrer ausgelegt. In Größe XXXL und mit Stahlfederdämpfer wiegt das Allround-Enduro Saturn 16 17,09 Kilo (BIKE-Messung. Zum Vergleich: Dasselbe Bike in Größe S und mit Luftfederdämpfer kommt auf 15,7 Kilo. Wie groß das XXXL-Saturn 16 wirklich ist zeigen folgende Abmessungen:
Wer sich als groß gewachsener Mountainbiker ein Unikat gönnen will, der sich kann zum Beispiel an Huhn Cycles wenden. Auf der Bespoked Messe in Dresden präsentierte die Custom-Schmiede eine Sonderanfertigung für einen 206 Centimeter großen Kunden. “Jersey Giant”, wie das Stahlbike passenderweise heißt, wurde von vorne bis hinten auf die Bedürfnisse des Riesen-Bikers optimiert. Das besondere am rund 14000 Euro teuren Einzelstück: 36 Zoll große Laufräder aus Carbon, die ursprünglich für den Einsatz in Touren-Einrädern konzipiert wurden und eine dazu passende, extra lange Federgabel von Intend. Dazu kommen dutzende Sonderlösungen, die teilweise nur mit kreativem 3D-Druck möglich waren. Fahrfertig mit Bikepacking-Taschen wiegt das 36-Zoll-Bike für lange Strecken knapp 18 Kilo.
In den USA, dem Heimatland von DirtySixer, gibt es bekanntlich viele große und schwere Menschen. Ihre Bikes sind aber auch in Europa zu bekommen. Wie der Name bereits verrät setzen die Amerikaner ebenfalls auf große 36 Zoll Laufräder. In Ermangelung passender Federgabeln beschränkt sich das Angebot zwar auf Hardtails mit Starrgabel, mit extra stabilem Stahlrahmen und breiten Reifen sind aber auch Ausflüge ins Gelände möglich. Bis zu einer Körpergröße von unglaublichen 2,25 Meter passt die Rahmengröße 5XL.
Ähnlich beeindruckend ist die Gewichtsfreigabe von bis zu 181 Kilo. Um diese Masse zum Stehen zu bringen, setzt DirtySixer auf gleich zwei Scheibenbremsen an der Front. Da große Menschen auch große Hände und Füße haben, sind auch die Kontaktpunkte riesige Eigenentwicklungen. Auf den 110 mal 160 Millimeter großen Pedalen finden richtig große Füße Platz und die 43 mal 150 Millimeter fetten Griffe passen zu den größten Pranken. Kurbellängen bis zu 200 Millimeter eignen sich auch für extra lange Beine.
Doch große Biker müssen nicht zwingendermaßen bei kleinen Labels kaufen oder auf Sonderanfertigungen setzen. Auch echte Branchen-Riesen haben passende MTBs für große Menschen im Angebot. So bietet Trek das All Mountain Bike Fuel Ex ab Werk in beachtlichen acht verschiedenen Rahmengrößen an. So passt das Fully mit Carbon- oder Alu-Rahmen für eine maximal weite Bandbreite an Fahrergrößen von 145 bis 203 Centimetern. Dabei eignet sich das Fuel Ex auch für schwere Fahrer, denn Trek gibt es bis zu einem maximalen Systemgewicht von 136 Kilo frei. In Größe XXL stechen folgende Eckdaten aus der Geometrietabelle hervor:
Auch Santa Cruz bietet die meisten seiner Modelle in sechs verschiedenen Rahmengrößen an. Von XS bis XXL decken die Amerikaner einen Größenbereich von 142 bis immerhin 201 Centimeter ab. Ergänzt wird das Größenspektrum durch mitwachsende Kettenstreben und größenspezifische Laufradgrößen sowie Rahmensteifigkeiten. Für schwere Jungs und Mädels ist es zudem schön zu sehen, dass die Bikes bis 136 Kilo Fahrergewicht, sprich plus das Bike-Gewicht, freigegeben sind. In Größe XXL macht das Trailbike Tallboy seinem Namen alle Ehre. Trotzdem bleibt es an der Waage mit Carbonrahmen der C-Güteklasse und S-Ausstattungskit mit 13,96 Kilo (BIKE-Messung) erfreulich leicht. Kaum zu glauben, bei folgenden Geometriewerten: