Die Good News vorneweg: Das Canyon Spectral:On ist ein toller Allrounder mit 160/155 Millimetern Hub, hoher Fahrsicherheit und spaßigem Handling. In Topausstattung bleibt das Bike selbst mit dem gigantischen 900-Wh-Akku bei 23 Kilo. Sogar das Einstiegsmodell vermeidet schnödes Übergewicht und bleibt mit der Riesenbatterie unter 25 Kilo. Egal welches Modell der Serie man sich gönnt, das Bike ist so gelungen, dass man fast nichts falsch machen kann. Oder doch? Wenn man beim Kauf des Spectral:On – je nach Ausstattungslinie – bis zu 4500 Euro sparen kann, kommt man schon mal ins Grübeln. Der drastischste Unterschied beim Faktencheck: 1,7 Kilo spart das CFR, trotz potenterem Dämpfer. Dabei steckt der Gewichtsunterschied nicht nur in der Ausstattung. Beim CFR-Chassis kommen hochwertigere Fasern zum Einsatz, die den Rahmen 300 Gramm leichter machen.
Identisch ist der Antrieb: Beide Canyons werden vom Shimano EP801 angetrieben. Der liefert viel Spitzenleistung schon bei niedrigem Fahrerinput und klassische 85 Newtonmeter in der Spitze. Hier wie da kann der Kunde zwischen 720- oder 900-Wattstunden-Akkus ab Werk wählen. 400 Euro und 900 Gramm mehr kostet und wiegt die dicke Batterie. Sowohl bei Motorkraft als auch bei der Reichhöhe ist also Gleichstand. Die Reichweite des Spectral:On ist mit dem 900er-Akku übrigens gigantisch. In unseren standardisierten Reichhöhentests erkletterten die Canyons deutlich über 2200 Höhenmeter im Boost-Modus. Das ist absoluter Bestwert in der EMTB-Historie.
Welches Modell würden wir unserem besten Freund empfehlen, fragen wir uns oft als Tester. Beim Spectral:On ist das erst mal nicht so leicht zu beantworten. Also haben wir uns das günstige CF7 für 5399 Euro und das edle CFR für 9899 Euro, jeweils mit dicker 900er-Batterie, geschnappt und sind damit nach Südtirol gedüst, um diese Frage zu klären. Am Top-Modell Spectral:On CFR hat Canyon wirklich alles verbaut, was sich das Bikerherz wünschen kann. Carbon-Laufräder und eine einteilige Lenker-Vorbaueinheit aus Kohlefaser drücken das Gewicht. Top-Federelemente aus dem Hause Fox sind breit in allen Parametern einstellbar und liefern erfahrungsgemäß eine exzellente Funktion. Dazu die ebenfalls in Kashima-Gold glitzernde Fox-Transfer-Teleskopstütze. Und auch XT Di2-Schaltung und XTR-Bremse lassen keinen Zweifel offen: Hier hat man nur ganz oben ins Ausstattungsregal gegriffen. Mit 900er-Akku bleibt die Waage für das L-Modell bei 23,1, mit dem optionalen 720-Wh-Akku sogar bei nur 22,2 Kilo stehen. Richtig leicht für ein E-MTB mit dickem Akku! Allerdings sprengt die Anschaffung mit 9899 Euro auch einen kapitalen Krater ins Bankkonto.
Das CF7 wiegt mit gleichem Akku knapp zwei Kilo mehr. Das ist immer noch okay, auch wenn die schweren Sun-Ringle-Laufräder das Gewicht nach dem Modell-Update etwas nach oben treiben. Der Vorgänger mit Raceface-Laufrädern war leichter. RockShox liefert mit der Lyrik Base und dem Select R günstige Federelemente mit wenig Verstelloptionen. Der Dämpfer hat auch keinen Ausgleichsbehälter, was erfahrungsgemäß bei langen Abfahrten zu Hitzeproblemen führen kann. Die Lenkzentrale ist klassisch aus Alu und verschraubt. Deore-Schaltkomponenten sorgen für die Gangwechsel, die Sram DB8 für die Verzögerung.
Klar, am Einstiegsmodell CF7 sind die Komponenten etwas einfacher gehalten. Aber: Das Bike kostet auch satte 4500 Euro weniger als das CFR. Dafür kann man mit der Familie schon mal ein paar Wochen Urlaub in Thailand machen! Verrückt. Echte Schwaben haben sich jetzt schon entscheiden, wir noch nicht. Also rauf auf die Bikes und rein in den ersten Anstieg. Da der Sattel bei beiden Bikes der gleiche ist und sich die Vorbauposition aufs gleiche Niveau anpassen lässt, ist die Sitzposition quasi identisch. Eigentlich gewinnt hier das günstige Modell schon ein paar Komfortpunkte, denn es lässt sich deutlich leichter und variabler an die Wünsche des Besitzers anpassen. Die einteilige Lenker-Vorbaueinheit aus Carbon am teuren CFR muss passen – einstellbar ist nur die Höhe, nicht aber die Biegung des Lenkers nach vorne oder hinten. Ausprobieren geht beim Versender Canyon auch nicht. Wer unsicher ist, schont also beim günstigeren Modell Nerven und Geldbeutel.
Auf Schotteranstiegen geben sich die Bikes nichts. Die Blockierfunktion am teureren Fox-Dämpfer haben wir nicht genutzt, da das Heck stabil und ruhig steht. Dass der Lockout am günstigen Modell fehlt, ist somit kein Verlust. Die Reifen rollen gleich, der Motor macht den gleichen Sound und hat gleich viel Kraft. Wenn es sehr steil wird, steigen beide Vorderräder aufgrund des kurzen Hinterbaus recht früh. Unentschieden nach der Uphill-Wertung. Ansonsten sind Traktion und Fahrverhalten gut.
Bergrunter sieht die Welt schon etwas anders aus. Zumindest, wenn es steil und ruppig zur Sache geht. Auf flowigen Trails liegt das CF7 noch sicher und satt. Bei hohem Tempo spürt man aber schon die günstigen Federelemente. Die günstige Lyrik von RockShox reicht sehr schnelle Schläge dann unschön an den Fahrer durch und arbeitet in steilem Gelände mit mehr Federbewegung als nötig. Das bringt Unruhe in die Fahrt. Beim CFR mit Fox 36 Factory und definierter Druckstufe gibt es dagegen keinen Grund zur Klage: sicher, satt, definiert. Man braucht zwar etwas Fachwissen und Geduld, um das Bike abzustimmen, aber dann funktioniert das Fahrwerk top.
Erstaunlich: Das Heck des CF7 liegt ähnlich satt wie im teuren CFR. Im direkten Vergleich macht sich das geringe Laufradgewicht des teuren Bikes bemerkbar. Ein ganzes Kilo sparen die Carbon-Felgen von Reynolds an rotierender Masse – bei identischer Bereifung. Das ist eine ganze Menge, die sich in spritziger Beschleunigung und einem noch agileren Handling bemerkbar macht. Wenn man nicht gerade im Renntempo unterwegs ist, sondern in anspruchsvollem Gelände etwas das Gas rausnimmt, bietet aber auch das günstige Canyon gute und spaßige Fahreigenschaften, wie man sie zu diesem Preis und bei dieser Akku-Größe wohl kaum ein zweites Mal findet.
Beim Stichwort “Gas rausnehmen” liegt neben der Federgabel der elementarste Schwachpunkt des CF7. Die Sram DB8 geht auf flachen Touren in Ordnung, kämpft auf langen und steilen Abfahrten aber mit wenig Biss und Fading. Das führt zu hohen Handkräften und zeitweise Panik im Blick. Gut: Es mag auch am direkten Umstieg von Shimanos kräftigem XTR-Stopper gelegen haben, dass die Kurve dann doch unerwartet schnell auf mich zugerast kam. Doch wer die High-End-Bremspower einmal erlebt hat, wünscht sich ein Upgrade beim CF7. Das müssen nicht gleich die 1000 Euro sein, die Canyon für das nächstbessere Modell CF8 aufruft. Versierte Bastler, die vor dem Zugverlegen und der Entlüftung keine Angst haben, bekommen sehr gute Bremsen auch für wenige Hundert Euro online. Hat man das Bike damit getunt, kann man als Normalo ohne Rennambitionen aus unserer Sicht getrost zum günstigen Modell greifen. Die knapp zwei Kilo Mehrgewicht und das Kilo Plus an den Laufrädern sind im direkten Vergleich natürlich spürbar – doch im Trail-Alltag macht bereits das günstige Modell eine richtig gute Figur. Die elektronische XT Di2-Schaltung mit Freeshift am CFR ist ein nettes Gimmick, aber selbst für passionierte Biker kein notwendiges Extra.
Der Preisunterschied ist enorm, die Fahreigenschaften liegen dafür erstaunlich dicht beisammen. Erst bei Vollgas in hartem Gelände schwächelt das CF7 wegen Gabel und Bremsen. Wer gerne draufhält und nicht basteln mag, greift am besten zum CF8 und spart immer noch 3500 Euro! - Christian Schleker, Testautor für EMTB