Florentin Vesenbeckh
· 28.12.2024
Das Jam² hat eine lange Tradition. Als eines der ersten E-Bikes am Markt war es konsequent auf Trail-Spaß ausgelegt und die Ur-Version wartete mit einem innovativen, modularen Akku-Konzept auf. Focus arbeitete als eine der ersten Firmen überhaupt mit einem Range-Extender. Für das Modelljahr 2025 haben die Stuttgarter Entwickler das Bike auf den neuen Bosch-Motor gestellt und bauen ebenfalls auf Wahlfreiheit bei der Batterie.
Herzstück des neuen Jam² ist der neu Bosch Performance CX. Ja, die Kennzahlen des Neulings heben sich nicht drastisch von denen des Vorgängers ab. Leistung und Drehmoment sind identisch, das Gewicht geht leicht nach unten. Doch gerade bei den Softskills ist der neue Motor ein gehöriger Schritt nach vorne.
Erstens: Die Lautstärke. Schon bergauf ist der CX leiser geworden. Klar, man hört ihn immer noch, aber unter den Power-Motoren gibt es aktuell keinen leiseren Antrieb. Und: Das nervige Klappern in der Abfahrt ist komplett verschwunden. Das Focus ist insgesamt eines der leisesten E-MTBs, das wir bisher gefahren sind.
Auch bei der Softwareabstimmung hat sich der Neuling nochmal verbessert. Zugegeben: Erstmal fühlen sich der neue und alte CX ziemlich ähnlich an. Aber je länger wir den Nachfolger gefahren sind, oft auch im direkten Vergleich mit dem Vorgänger, wird immer deutlicher, dass er einfach nochmal eine ganze Ecke sensibler und geschmeidiger arbeitet. Gerade bei nassen und rutschigen Bedingungen ist die Traktion spürbar besser als mit den Motoren der Konkurrenz. Trotzdem schiebt der Bosch sportlich an und beschleunigt richtig dynamisch.
Und noch ein Punkt, der gerne mal vergessen wird: Der Tretwiderstand wurde reduziert. So lässt sich das Bike bei ausgeschaltetem Motor oder oberhalb der 25-km/h-Grenze entspannt treten. Das kann kein anderer Motor am Markt besser.
Bei den Akkus schöpft Focus das ganze Potenzial des neuen Bosch-Portfolios aus. Denn ins Unterrohr passen wahlweise der Powertube 600 oder 800 – ganz ohne Adapter. Lediglich das Cover ändert sich. Und der Kunde kann vor dem Kauf entscheiden, welche Kapazität ihm besser passt. Der Powertube 800 erzielt in unseren Reichweitentests regelmäßig Bestwerte und wird nur von Riesen-Batterien mit 900 Wattstunden noch überflügelt. Heavy-User haben einfach beide Batterien zu Hause liegen und wählen das ideale Paket für die anstehende Tour. Denn die Batterie kann super schnell und einfach entnommen werden. Mit dem kleinen Akku ist das Unterrohr übrigens etwas schlanker, weil das Cover direkt anliegt.
Um die Akku-Optionen komplett zu machen: Es gibt auch noch den Power More 250 von Bosch. Dieser Zusatz-Akku mit 250 Wattstunden (1,6 Kilo) passt an die Flaschenhalteraufnahme auf dem Unterrohr. Die eigens entwickelte Ladebuchse hat einen Deckel, der nach hinten weggeschoben wird. So ist die Klappe beim Fahren mit Range Extender nicht im Weg. Das ist mit der Standard-Lösung von Bosch, wie sie viele andere Hersteller verbauen, nicht so elegant gelöst.
Bei den Bedienelementen setzt Focus auf die Bosch-Kombi aus Kiox 300 am Vorbau und LED-Remote am Lenker. So stehen viele Informationen zur Verfügung, und auch eine Navigationsansicht hat das Display an Bord.
Und noch ein cooles Feature, bei dem die Produktmanager Innovationsgeist bewiesen haben: Wir haben lange nach dem Magneten für den Speedsensor gesucht. Vergeblich! Normalerweise sitzt der entweder an der Bremsscheibe, oder am Ventil. Die eine Lösung ist fummelig und benötigt einen separaten Sensor, die andere ist klobig und sieht nicht gerade elegant aus. Focus setzt auf ein Spezialteil von DT Swiss, das im Inneren des Reifens auf der Felge sitzt. Das Signal wird dann direkt im Motor abgenommen. Optisch auf jeden Fall schicker, als der dicke Magnet am Ventil. Und auch technisch hilft die Lösung weiter, weil im Pannenfall auch ein Schlauch mit kurzem Ventil herhalten kann.
Die Ausstattung des Modells 6.9 der oberen Mittelklasse geht weitestgehend in die Vollen. Zumindest die trailrelevanten Komponenten lassen keine Wünsche offen. Die Gabel Fox 36 Performance Elite setzt bereits auf die neue Top-Dämpfung Grip X2. Die TRP-Stopper sind bei starkem Biss und guter Standfestigkeit angenehm dosierbar. Und die XT-Schaltung von Shimano wechselt die 12 Gänge gewohnt souverän. Abstriche muss man bei den schwereren Alu-Laufrädern von DT Swiss machen.
Als kleines Ass hat Focus die neuen Schwalbe Albert-Reifen in petto, die richtig viel Traktion und Komfort bringen. Sportliche Piloten, die das Bike am oberen Ende des Einsatzspektrums bewegen wollen, also als Mini-Enduro, würden wir ein Update auf die schmalere Version in 2,5 Zoll mit Gravity-Karkasse empfehlen.
Die Sitzposition ist ausgewogen und mit der hohen Front komfortabel. Auf langen Touren ist man damit ebenso gut bedient wie in steilen Uphills. Bei technischen Klettereinlagen folgt das Bike unkompliziert den Lenkbefehlen denn die Kettenstreben fallen moderat lang aus. Die Traktion ist richtig stark.
Neben dem Motor und dem sensiblen Fahrwerk ist die Haftwirkung am Heck auch ein Verdienst der Reifen. Die neuen Schwalbe Albert setzen auf ein ganz besonderes Karkassendesign. Der Effekt: die Auflagefläche der Reifen wird größer. Das fühlt sich erstmal so an, als würde man mit zu wenig Luft im Reifen fahren. Gerade bei langsamer Geschwindigkeit, also zum Beispiel bergauf, bringt das spürbar mehr Traktion und damit auch Kontrolle und Komfort.
Dieses Gefühl begleitet das Jam² auch in die Abfahrt. Hier liegt das Bike richtig satt auf dem Trail. Zudem steht man gelassen hinter der hohen Front, das gibt gerade im Steilen viel Sicherheit und Vertrauen.
Die hohe Front ist wirklich auffällig. Denn neben dem hohen Stack-Wert baut auch die Lenkzentrale hoch. Etwas schade: Durch die integrierte Kabelführung hier im Vorbau, die für eine cleane Optik sorgt, ist es nicht so einfach, mal eben ein paar Spacer herauszunehmen, um das Cockpit für mehr Druck auf dem Vorderrad tiefer zu legen.
Das Fahrwerk arbeitet richtig souverän und bietet einen guten Kompromiss aus Sensibilität und sportlichem Gegenhalt. Letzterer gibt dem Bike ein aktives und lebendiges Fahrverhalten. So kann das Jam² sein hohes Gewicht ganz gut kaschieren. Auf dem Trail fühlt es sich nicht so an, als wäre man auf einem Bike mit über 25 Kilo unterwegs. Gerade auf flachen Trails und bei schnellen Richtungswechseln wird aber schon klar, dass man hier kein Leichtgewicht bedient. Dafür lässt sich das Bike richtig gut zum Sprung abziehen und auch Manuals gelingen recht entspannt. Fahrspaß wird hier auf jeden Fall groß geschrieben.
Am spaßigen Fahrverhalten hat auch die gemäßigte Geometrie ihren Anteil. Das Bike ist bewusst nicht auf maximale Laufruhe gepolt, sondern geht einen angenehmen Mittelweg. Ultimative Nehmerqualitäten in Enduro-Manier darf man dadurch nicht erwarten. Doch ansonsten macht das Jam² in nahezu jedem Gelände eine gute Figur. Der Kompromiss aus Komfort und Fahrspaß ist gut getroffen.
Das neue Focus Jam² verzichtet auf Chichi und kommt mit robustem Alu-Rahmen. Doch einige praktische Extras haben sich die Ingenieure einfallen lassen. Auf dem Trail macht das Bike trotz leichtem Übergewicht richtig Spaß. Das ausgewogene Handling gibt viel Sicherheit, so kann das Jam² im Gelände voll überzeugen. - Florentin Vesenbeckh, stv. Chefredakteur BIKE