Die Allgäuer waren lange Zeit für die unermüdliche Weiterentwicklung ihres Aluklassikers 301 bekannt. Das erste muskelbetriebene Bike von Liteville mit Kohlenstoffrahmen könnte exklusiver kaum sein. Zur Markteinführung ist die Stückzahl des in Portugal gefertigten, 2319 Gramm leichten Chassis auf eine homöopathische Dosis von 200 Stück limitiert. Dazu kommt ein High-End-Aufbau mit firmeneigenen Syntace-Komponenten aus Carbon und der teuersten Funkschaltgruppe aus dem Sram-Sortiment. Für knapp unter 12.000 Euro sind zudem Alleinstellungsmerkmale wie die vollintegrierte Eightpins-Variostütze und das Lenkstabilisatorsystem K.I.S. an Bord. Auch an ein Unterrohrstaufach haben die für ihren Perfektionismus bekannten Liteville-Entwickler gedacht. Beim Erst-kontakt schlägt dieser auch direkt durch: Das teuerste Bike des Tests ist vorbildlich verarbeitet. Jedes einzelne Detail vermittelt höchste Qualität.
Eigentlich wurde das 301CL als Trailbike konzipiert. 150 Millimeter Federweg aus einer Fox 36, ein Dämpfer mit Ausgleichsbehälter und gripstarke Reifen sprechen aber klar die Sprache eines All Mountains. Auf der anderen Seite fällt das Gewicht mit unter 13 Kilo sehr gering aus. Gemeinsam mit dem antriebsneutralen Heck streicht das Liteville in der Bergaufwertung so Bestnoten ein. Verlustarm und traktionsstark klettert das Bike merklich besser als die meisten Konkurrenten derselben Federwegsklasse. Das K.I.S.-System verhindert bei niedrigen Geschwindigkeiten ein Abkippen des Vorderrades trotz des flachen Lenkwinkels. Das hat aber auch Schattenseiten: Mikrokorrekturen der Linie treffen durch den Zentrierungsdrang der Lenkung auf einen ungewohnten Widerstand. Selbst in der schwächsten Einstellung erfordert das in technisch schmalen Uphills mehr Fingerspitzengefühl. Ebenfalls auffällig: Die Sitzposition fällt durch den steilen Sitzwinkel in Kombination mit dem moderaten Reach gedrungen aus. Besser, man schiebt den Sattel ganz nach hinten. Dann aber hat das 301CL das Potenzial zum idealen Untersatz für ausgedehnte Trailtouren.
Bereits im ersten Steinfeld zeigt das Liteville eine weitere Stärke: Die Fahrwerksqualität liegt auf sehr hohem Niveau. Sensibel und kontrolliert gibt der Hinterbau seinen Hub frei. An der Front arbeitet die Gabel gefällig, ist aufgrund des größeren Federwegs aber der souveränere Part beim Fahrwerk. In Highspeedpassagen liegt das leichte und vor allem am Hinterbau steife 301CL nicht ganz so satt, wie die teilweise drei Kilo schwereren Mitbewerber, und verzeiht weniger Fahrfehler. Dafür setzt es, unterstützt vom Gegenhalt des Fahrwerks, Impulse sehr leichtfüßig und direkt um. Die moderne Geometrie schafft einen guten Kompromiss aus Laufruhe und Wendigkeit, der im vielseitigen All-Mountain-Einsatz gut aufgeht. Hinter der hohen Front steht der Fahrer sicher und gut integriert im Bike. Das tief gezogene Oberrohr und die Teleskopsattelstütze mit 220 Millimetern Verstellbereich erhöhen in Grenzsituationen das Sicherheitsgefühl.
Unter unseren Testern polarisierte die gewöhnungsbedürftige Lenkerkröpfung ebenso wie das K.I.S.-System. So richtig will das Feature nicht zum ansonsten sehr reaktiven Handling passen. Im Manual führt der Stabilisator beispielsweise zu einer verzögerten Reaktion auf die Ausgleichsbewegungen des Fahrers. Und auch im Downhill stößt man bei dezenten Lenkimpulsen ohne Schräglage auf einen ungewohnten Widerstand. Ein Mehrwert ist dafür in schnellen, lang gezogenen Kurven zu spüren. Dort hält das Liteville seine Linie, als würde es auf Schienen fahren. Gleiches gilt für ruppige Vollgaspassagen, wo K.I.S. den Fahrer perfekt unterstützt. Ein No-Go in der ansonsten makellosen Ausstattungsliste sind die schwachen Sram-Level-Bremsen. Während die Stopper an einem XC-Bike noch funktionieren, sind sie am 301CL trotz vier Kolben heillos überfordert.
Alle Leitungen und Kabel der Steuerzentrale verlaufen durch Öffnungen im Chassis direkt in den Rahmen. Dort verlaufen die Leitungen durch einlaminierte Führungen. Im Hinterbau liegen sie frei. Lob gibt's auch für das verschraubte Tretlager und den eingelegten Steuersatz. Das erleichtert den Ein- und Ausbau und damit auch die Wartungsarbeiten.
Egal ob optisch, technisch oder durch die limitierte Stückzahl – das Liteville 301CL bietet Individualisten großen Seltenheitswert. Reduziert man das All Mountain allerdings rein auf seine Trailperformance, gibt es Bikes, die für weniger Geld ebenso überzeugen.