Max Fuchs
· 02.09.2025
Seit Januar 2025 begleitet mich das Canyon Spectral CF 9 – ein 4999-Euro-All-Mountain mit 150/140 mm Federweg, 29-Zoll-Laufrädern und 14,9 Kilo Lebendgewicht. Den Fakten nach scheint es wie gemacht für lange Tage auf harten Trails. Größe M passt mir wie ein Lieblings-T-Shirt: nicht zu lang, nicht zu kurz – ready to rumble. Ob das Carbon-Chassis nur schick aussieht oder auch ordentlich einsteckt? Ob 140 Millimeter Federweg reichen? Und die Komponenten halten, wenn der Trail aus der Haut fährt? Ich habe das Bike im Dreck versenkt, auf Höhenmetern gequält und in Kurven geprügelt. So langsam fängt es an zu reden – und ich höre genau hin und berichte hier im Dauertest-Protokoll.
Die Geometrie des Canyon Spectral ist klar auf der progressiven Seite. Der Reach in Größe M (475 mm) ist extrem lang – vergleichbar mit dem, was andere Marken erst ab Größe L liefern. Im Sitzen fühlte sich das zunächst noch stimmig an. Doch je mehr ich damit im Gelände unterwegs war, desto öfter stellte ich mir dieselbe Frage: Warum fühlt sich das Bike im Stehen so unausgewogen an?
Meine Vermutung: Das Verhältnis von Reach zu Stack. Mit 630 Millimetern fällt der Stack nämlich nur moderat aus. Kombiniert mit dem langen Frontcenter ergibt sich eine spürbar frontlastige Fahrposition. Vor allem auf steilen Abfahrten hat mich das zunehmend gestört – der lange Reach zieht mich gefühlt nach vorne, dadurch ermüden die Arme schneller, und das Bike wird schwerer zu kontrollieren.
Für eine gleichmäßigere Gewichtsverteilung habe ich früh alle Spacer unter den Vorbau gepackt – in der Hoffnung, so aufrechter und zentraler im Bike zu stehen. Übrigens: Canyon-Pro und Allround-Talent Braydon Bringhurst scheint dasselbe Problem mit seinem Spectral zu haben. Wer genau hinsieht (siehe Bild oben), erkennt einen massiven Spacer-Turm unter seinem Vorbau. Anders als bei ihm ist mein Gabelschaft aber leider nicht lang genug, um mich in meine Wunschposition auf dem Bike zu bringen.
Also habe ich den originalen Canyon-Lenker mit 30 Millimetern Rise gegen einen Race Face Era mit 55 Millimetern getauscht. Und siehe da: Endlich stehe ich auch in steilen Abfahrten schön zentral im Bike – mehr hinter dem Lenker, statt darüber hängend. Das Rad fährt sich jetzt deutlich verspielter und lässt sich auch im steilen Gelände präzise manövrieren. Durch die aufrechtere Position spare ich Kraft – und habe spürbar mehr „Federweg“ in den Armen. Perfekt!
| Merkmal | Angabe |
| Im Test seit: | Januar 2025 |
| Kategorie: | All Mountain |
| Preis: | 4.999 Euro |
| Federweg: | 150 mm vorn / 140 mm hinten |
| Laufradgröße: | 29 Zoll |
| Gewicht: | 14,9 kg |
| Rahmengröße: | M |
| Kilometer aktuell: | 850 |
| Tiefenmeter aktuell: | 32500 |
Um ehrlich zu sein, bekam das CF 9 noch vor dem ersten Trail meine „Schrauberkünste“ zu spüren. Die hauseigenen Canyon-Griffe waren mir zu dünn, der Lenker zu breit, die Reifen nicht schlauchlos und der Sattel traf ebenfalls nicht meinen Geschmack. Aber halb so wild. Das sind alles Komponenten, die ich bislang bei jedem neuen Bike umgebaut beziehungsweise gekürzt habe. Wirklich gestört hat mich nur die viel zu lange Bremsleitung am Vorderrad. In dieser Preisklasse hätte ich mir gewünscht, dass ich mir nicht schon vor der ersten Ausfahrt die Hände ölig machen muss.
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Das Gesamtgewicht hat mich ebenfalls stutzig gemacht. Fast 15 Kilo und dann doch nur 140 Millimeter Federweg im Heck? Da ist ja mein Alu-Enduro fast noch leichter, dachte ich zuerst. Mittlerweile stört mich das aber nicht mehr. Denn Gewicht hin oder her, das Spectral klettert ausgezeichnet. Die Sitzposition überzeugt in allen Lebenslagen. Egal, ob technische Schlüsselstellen oder lange Schotteranstiege – mit dem Bike kraxelt man jede Rampe locker empor. Bergab begeistert mich das quirlige Handling. Das Fahrwerk fühlt sich außerdem deutlich potenter an, als es der nominelle Federweg vermuten lässt. Einziger Knackpunkt bis jetzt: Der steile Sitzwinkel positioniert mich sehr frontlastig im Bike. Das erleichtert die Kontrolle in technischen Uphills, in der Ebene lastet aber zu viel Druck auf den Händen. Da werde ich versuchen, mit einem höheren Lenker gegenzusteuern. Mit dem Flipchip und dem K.I.S.-System muss ich ebenfalls noch etwas herumspielen.
Als ich am Geisskopf meine Bikepark-Saison eröffnet habe, fühlte sich mein Hinterrad (DT Swiss XM1700) ungewohnt schwammig an. Zurück in der Heimat habe ich direkt den Bike-Shop meines Vertrauens aufgesucht und mit dem Tensiometer die Speichenspannung gemessen. Und siehe da: Auf der Bremsseite war die Spannung einiger Speichen gleich null. Auf der Antriebsseite lag die Spannung ebenfalls größtenteils unter dem Sollwert. Mittlerweile habe ich das Laufrad nachzentriert und bin gespannt, wie lange es diesmal hält.
Mittlerweile habe ich die Bremsanlage (Sram Code RSC) an meinem Canyon zweimal entlüftet und die Kolben mehrfach mobilisiert. Mit dem Ergebnis: Der Druckpunkt ist mir insgesamt immer noch zu weich und an der Hinterradbremse wandert er nach wie vor. Zudem stellen sich die Bremshebel verzögert zurück, wodurch der Gegendruck am Finger fehlt. Dieses sogenannte Slow-Lever-Syndrom kenne ich auch von anderen Sram-Bremsen. Aus Frust habe ich mich jetzt dazu entschieden, meine alte Trickstuff Direttissima zu montieren – die funktioniert seit vier Jahren tadellos.