„Ich kann die Platte nicht mehr hören!“, raunzt mein Bruder, wenn ich mal wieder über die Vorteile des Scor doziere, über die Verfehlungen des Enduro-Trends sprechen will und schlussfolgere, dass mein Scor mit seinem extrem breiten Einsatzbereich doch das beste Enduro sei im klassischen Sinn, dass ich damit wirklich alles machen könne, von Epic Riding über Trailsurfing bis Bikepark-Shredding, Deep-Dropping, Monster-Gapping und Finn-Iles-Scrubbing … und dass es kaum ein Bike gebe, das schöner designt sei, und dass …
HALT’S MAUL! So beendet mein Bruder dann meist das Gespräch. Wir Brüder dürfen so miteinander reden. Meist labere ich trotzdem weiter, denn ich will ja auch erzählen, wie ich damit den Blitzdrop über den fiesen Felsabbruch gemeistert habe, während die Buddies den Chickenway nahmen. Und ich will über die geile Farbe sprechen. Die Farbe! Wer bitte schön pinselt sein Bike in einem so ausgefallenen Lack an, und dann auch noch in Matt? „Schweinchenrosa“, sagt mein Freund Christian. „Wie die Keksschnitte Manner aus Österreich“, sagt meine Kollegin Lydia. „Lachsbrötchen“, sage ich selbst zu meinem Scor. Liebevoll meine ich es, denn ich find die Farbe höchst lässig, genau wie das Handling, die Geo, die Tatsache, dass das 29-Zoll-Bike so leise über den Trail gleitet wie das Stealth-Atom-U‑Boot Arktur durch US-Gewässer. Ich liebe das breite Cockpit mit dem Stummelvorbau und natürlich das für den Federweg richtig satte Rockshox-Ultimate-Fahrwerk.
Ich übertreibe nicht: Würde ich morgen meinen Job verlieren und mir ein Bike selbst kaufen müssen (musste ich bisher noch nie), ich würde das Scor haben wollen. Vermutlich kann ich’s mir nicht leisten, denn wie alles, was aus der Schweiz kommt, ist es zu teuer für mich Lowlife.
Anfangs war ich skeptisch, ob mir der Federweg (150/140 mm) ausreichen würde. Aber ich hätte mich nur einmal erinnern müssen: Früher hatten Enduros viel kürzere Federwege, sogar ausgewiesene Freerider besaßen weniger Hub. Doch ich stellte schnell fest: Das Scor fluppert komfortabel durchs Gelände. Das Rockshox-Ultimate-Fahrwerk spricht sensibel an, bügelt viel weg, polstert selbst flache Landungen und stumpfe Drops, sogar auf Rumpel-Strecken erzeugt es erstaunlich viel Komfort für den angegebenen Federweg . Das habe ich unterstützt indem ich zähe Goodyear-Reifen (Newton Trail) aufzog mit mehr Dämpfung, aber immer noch gutem Abrollverhalten. Das Scor ist agil, spritzig und bringt mit seiner gelungenen Geometrie viel Druck aufs Vorderrad. Lenkpräzise steuert es durch verwinkeltes Alpin-Terrain. Super: der breite Einsatzbereich. Er reicht von Trail über alpine Rides bis Park. Ausfälle? In der ersten Saison keine bis auf die Bremsbeläge, die irgendwann runter waren und die Kette, die nach Öl lechzte (sie bekam welches und sie bekam es regelmäßig!). Nach einer Bike-Saison gab das Bike keine Geräusche von sich, und das, obwohl ich das schicke Bike neben dem Sport-Einsatz auch als job-Pendel- Rad missbraucht habe. Erst als der Winter rum war und viele Schmodder-Kilometer gemeistert, knarzte das Scor ein wenig, als ob es mich ermahnen wollte: “He Freundchen, die neue Saison steht ins Haus, Zeit für etwas Liebe und Zuwendung! “
Übrigens: Der Carbonrahmen ist über dem Tretlager recht kompakt. Dadurch wurde ich am Gipfel als vermeintlicher E-Biker schräg angeschaut. Die Leute, die Leute … haben keine Ahnung! Dabei könnte der Rahmen des Scor eleganter kaum sein – Kohlefaser in seiner schönsten Form.
Sofort augenfällig: Das Score 4060 ST ist ein schickes Bike mit wohlgeformten Carbongeröhr und einer aufgeräumten Optik. Die Farbe Yum Gum polarisiert allerdings. Die einen sagen: hipp, die anderen sagen: eine Farbe wie Pickelabdeckcreme. Alternative gibt es keine, denn das Scor gibt’s im Highend-Modell (6899 €) nur Yum Gum. Nur das Modell drunter (4999 €) ist in Stahlblau (Blue Steel) lackiert. Auch auffallend: die VTT Kinematik mit tiefen Schwerpunkt. Der Dämpfer liegt eingeschachtelt überm Tretlager. Die Carbon-Konstruktion wirkt daher recht massiv und man muss sich hin und wieder auf dem Trail verteidigen: Nein, das ist kein E-Bike! Dabei trügt der Schein: “massiv” ist am Fahrverhalten des Scor gar nichts! Durch die kurzen Kettenstreben (433 mm) reicht ein kurzes Schnalzen mit den Handgelenken und das Score bäumt sich auf in den Manual. Es wirkt luftig leicht. Beim Bunnyhop muss man sogar aufpassen, sich mit dem Lenker nicht die Zähne auszuschlagen, so schnell hüpft das Scor in die Höhe. Top: das breite Cockpit. Es erzeugt viel Kontrolle und Lenkpräzision. Positioniert ist das Score als Trailbike, doch man spürt deutlich die Enduro-DNA. Denn das Heck lässt sich mit 140 oder 160 Millimetern einhängen. Beim Enduro-Modell LT steckt der Hersteller dann lediglich eine fettere Gabeln (RS Zeb 170 mm ) ins Steuerrohr. Das flacht den Lenkwinkel dann auf 63,8° ab. Das Bike ist sehr leise, das gefällt uns. Der Hinterbau arbeitet satt und harmoniert mit den Lyrik-Gabel. So sitzt der Fahrer gut ausbalanciert auf dem Bike und nimmt selbstbewusst die „Hardline“ ins Tal und wagt gerne den Drop, wo man mit anderen Trailbikes außer herrum kurvt. In Medium besitzt das Scor einen üppigen Reach (461 mm), der sich aber gar nicht so üppig anfühlt. Wir sagen: Kleiner dürfte das Bike für einen 1,80-m-Fahrer nicht sein. Auf Trailrides beschleunigt das Scor spritzig. Der Vortrieb wird nur durch die klebrige Bereifung etwas eingebremst. Beruhigt man den Dämpfer mit der zuschaltbaren Druckstufe ruckelt das Rad eigenartig wie ein Schaukelpferdchen, daher ließen wir den Hebel lieber offen. Wir hätten uns eine größere Übersetzung gewünscht für Flachpassagen, denn entfacht man richtig Dampf auf dem Kessel rotieren die Schenkel hoch und runter wie Kolibri-Flügel. Pfiffig: die Details. ZB der einstellbare Lenkwinkel oder der Stauraum im Unterrohr. Hier ist der Deckel gleichzeitig auch ein Schlagschutz. Wer will kann Wasserflachen am Unterrohr und unterm Oberrohr montieren.
Geiles Ding. Schön spritzig, leicht, wendig und doch potent, um sich allen Herausforderungen auf dem Trail zu stellen. Diese Attribute sorgten dafür, dass uns irgendwann sogar die Farbe gefiel.
Dimi Lehner Dachte lange über Federweg: Mehr ist mehr! Dann belehrten ihn die Riding-Buddies, Laurin und Chris Schleker, dass Trailbikes THE SHIT seien (also super!) und man den fehlenden Federweg mit Skills wettmachen solle. Tester: 1,80 m, 75 kg