Florentin Vesenbeckh
· 23.09.2025
Exklusiv, abfahrtsstark und empfindlich teuer: Schaut man auf die Neuerscheinungen im E-MTB-Bereich, könnte man meinen, jeder E-Biker will mit Mach 10 durchs Gelände fliegen – und hat obendrein das nötige Kleingeld, um mal eben fünfstellig in seinen neuen Spielgefährten zu investieren. Wir haben uns auf der gediegeneren Seite des E-MTB-Spektrums umgesehen. Nicht falsch verstehen: Auch mit den beiden Alu-Fullys Cannondale Moterra 3 und Canyon Neuron:On AL 9 kann man sich locker auch in schweres Gelände wagen. Das hat unser Praxistest bewiesen. Doch die Entwickler hatten explizit auch Alltagsfahrten und gemütliche Forstweg-Touren im Blick.
Zugegeben: Mit gut 5500 Euro sind diese Bikes noch immer keine echten Schnäppchen. Doch realistisch betrachtet befinden wir uns hier im unteren Bereich der geländegängigen und trailtauglichen E-Fullys. Und: beide Modelle sind die Top-Varianten ihrer Alu-Reihe. Mit identischem Rahmen und Motor geht es bei Cannondale bei 4999 Euro und bei Canyon schon bei 3799 Euro los.
Es klingt fast ein wenig langweilig: Wie das Gros der aktuellen E-MTBs rollen auch unsere beiden Duellanten mit dem Bosch Performance CX und großem 800er Akku aus dem Lager. Das ist nicht gerade innovativ – dafür aber bewährt. Der Motor überzeugt in schwierigen Anstiegen mit viel Leistung, einzigartiger Modulation und exzellenter Beschleunigung. Im gemütlichen Touren-Einsatz liefert das System eine extrem starke Reichweite und sinnvoll abgestimmte Unterstützungsmodi. Kein Wunder, dass so viele Hersteller auf die zu Recht beliebte Technik der Schwaben setzen. Auch die unkomplizierte Entnahme der Batterien wird der breiten Masse an E-Bikern gefallen.
Alu-Rahmen, großer schnell entnehmbarer Akku, günstigere Komponenten. Klar, dass diese Bikes an der Waage keine Rekorde brechen. Canyon hat die Pfunde dabei deutlich besser im Griff. Knapp 25 Kilo sind ein ordentlicher Wert. Beim Alu-Moterra sind es rund zwei Kilo mehr. Ein spürbarer Unterschied. Das gilt auch für die Ausstattung, wo Canyon seinen Vorteil als Direktversender gnadenlos ausspielt. Fahrwerk, Laufräder, Bremsen – eigentlich überall greifen die Koblenzer etwas höher ins Regal.
Besonders Srams elektronische Funkschaltung sticht heraus. Allerdings: Trotz günstigerem Setup haben uns die Shimano-Bremsen und die exzellente Conti-Reifenkombi am Moterra besser gefallen als die Gegenspieler am Canyon. Cannondale sammelt zudem mit einer lebenslangen Garantie auf den Rahmen und einer sehr üppigen Gewichtsfreigabe Punkte. Das schafft Vertrauen ins Bike.
Nimmt man auf den beiden Alu-Bikes Platz, fallen direkt deutliche Unterschiede auf. Eher lang und klassisch sitzt man auf dem Neuron, das sich im Sitzen fast eine Nummer größer anfühlt. Dagegen ist das Moterra fast schon progressiv gezeichnet. Der sehr steile Sitzwinkel platziert den Fahrer weit vorne. Mit moderatem Reach und kurzem Vorbau sitzt man etwas gedrungen. Auf langen Touren, gerade wenn Flachpassagen dabei sind, ist die etwas erhabenere Position auf dem Neuron angenehmer. Damit lastet weniger Druck auf den Händen. Die Lage kehrt sich um, wenn es steil bergauf geht. Dann zieht das Moterra unfassbar souverän über Schlüsselstellen. Das Vorderrad bleibt entspannt am Boden und so folgt das Bike zielstrebig und direkt den Lenkvorgaben. Auch die Traktion am Hinterrad ist hervorragend. Kleiner Dämpfer: Bei sehr langsamer Fahrt neigt die Lenkung etwas zum Abkippen und auch das hohe Gewicht macht sich bemerkbar.
Im direkten Vergleich muss man am Steuer des Neuron:On etwas aktiver zu Werke gehen, um die Spur zu halten. Dafür lenkt sich das Canyon neutraler. In Summe ist das Koblenzer Versender-Bike mit seinen langen Kettenstreben ebenfalls ein überdurchschnittlich guter Kletterer mit top Traktion und starkem Motor. Im extremen Uphill zieht das Cannondale aber davon.
Während wirklich fiese Uphill-Challenges im Alltag der meisten Biker wohl nur eine Nebenrolle spielen, stehen Abfahrten auf Trails deutlich häufiger im Touren-Plan. Auch hier geben sich Moterra und Neuron:On keine Blöße – doch mit unterschiedlichem Charakter. Das Alu-Neuron flubbert geschmeidig und unkompliziert über Hindernisse und lässt sich intuitiv steuern. Es ist zwar kein wieselflinkes Trailbike, bleibt in Anbetracht des hohen Gewichts aber angenehm handlich und lebhaft.
Wer auf schweren Strecken gerne Gas gibt, könnte das Neuron aber recht schnell ans Limit bringen. Seinen Federweg gibt das Bike betont großzügig frei. Und auch wenn der Hinterbau der günstigen Gabel überlegen ist, auf extreme Schläge oder große Sprünge ist er nicht ausgelegt.
Das Moterra hält diesbezüglich deutlich mehr Reserven bereit. Die Heckfederung arbeitet richtig souverän und verschluckt sich auch bei schnellen Wurzelfolgen oder herben Schlägen nicht. Die deutliche Endprogression hält auch für verpatzte Landungen oder für die falsch gewählte Linie im Steinfeld noch Luft bereit. Dazu passt die laufruhige Geometrie, die dem Fahrer viel Sicherheit vermittelt – selbst im Vollgasmodus. Leider limitiert die günstige Psylo-Silver-Federgabel die ansonsten exzellente Fahrstärke deutlich.
Zweiter Nachteil des Cannondale: Das hohe Gewicht und die Länge hemmen den Spieltrieb. Gerade auf engen Kursen oder bei langsamer Fahrt fühlt sich das Bike behäbig an. Aufs Hinterrad lässt es sich, ähnlich wie das Neuron:On, nur extrem schwer ziehen. Angst vor Geländeeinsatz muss man allerdings mit beiden Kandidaten keine haben. Angesichts der günstigen Preisklasse sind die Trail-Qualitäten top.
„Cannondale und Canyon liefern sich ein Duell auf Augenhöhe. Wer den Fokus auf schweres Gelände legt, hat mit dem Moterra deutlich mehr Reserven. Dafür vermittelt das Neuron:On mehr Komfort und ein entspannteres Handling. Gewicht und Ausstattung geben am Ende den Ausschlag für’s Neuron:On.“ - Florentin Vesenbeckh