Eins ist offensichtlich: Diese Karre zeigt klare Kante! Mit dem Moterra SL hat sich Cannondale ganz bewusst gegen ein klassisches Light-E-MTB mit reduzierter Motorpower entschieden. Stattdessen setzen die Amerikaner auf einen superleichten Vollcarbon-Rahmen mit spannenden Details wie flexenden Kettenstreben und auf Shimanos leichten EP801 Motor mit kompakter 600er Batterie. Das Bike wiegt damit nur so viel wie die Mittelklasse Light-E-MTBs aus unserem letztem Test. Bei höherer Reichweite und deutlich höherer Motorleistung.
Als eine Art Racing-Version des All-Mountain-Klassikers Moterra soll das Moterra SL eine besonders sportliche und engagierte Zielgruppe ansprechen. Das Moterra SL ist damit sowas wie der GT3 RS unter den Cannondale-Bikes: Taugt eher nicht zum Einkaufen und auch das Preisschild ist happig. Immerhin: Den eigentlichen Verkaufspreis von 9999 Euro für das Moterra SL 1 hat Cannondale gerade auf etwas attraktivere 8999 Euro angepasst.
Für das Moterra SL setzt Cannondale auf Shimanos Top-Motor EP801. Der wiegt nur 2,65 Kilogramm, liefert dabei aber eine Spitzenleistung und ein Drehmoment auf dem Niveau von Boschs CX. Bis zu 545 Watt und echte 79 Newtonmeter in der Spitze konnten wir im Labor messen. In Sachen Leistungsgewicht wird der Shimano daher nur noch von Extremos wie dem DJI Avinox geschlagen und ist somit ideal für den Einsatz in einem leichten Power-Bike wie dem Cannondale.
Neu: Shimano hat bei der Software deutlich nachgebessert. Dank des Race-Updates bietet der Motor jetzt einen Nachlauf und eine nochmal verbesserte Einstellbarkeit. Ein deutliches Plus in schwierigen Uphill-Trails. Alle Daten zum Motor zeigt das sportive EM800-Display an, Navigation oder Infotainment sucht man aber vergebens. Die Reichweite mit der 600er Batterie liegt auf einem guten Niveau. Rund 1350 Höhenmeter plus 200 Höhenmeter Notlauf schafft das Cannondale in unserem standardisierten Reichhöhentest. Klassische Light-Bikes übertrumpft es damit deutlich, bietet aber natürlich nicht die Ausdauer von Touren E-MTBs mit 750 Wattstunden und mehr.
Lang und flach: Der Reach ist zwar kompakt, ist die Geometrie des Bikes doch ziemlich aggressiv. Superflache 63 Grad Lenkwinkel in der steilen (!) Einstellung haben wir in unserem Testlabor gemessen, per Winkelsteuersatz geht’s optional sogar noch flacher. Mit langen Kettenstreben und langem Radstand stellt Cannondale Laufruhe und Uphill-Eigenschaften vor maximalen Spieltrieb.
Leichtbau in allen Ehren, doch wer auf dem Trail zu viele Kompromisse machen muss, hat auch keinen Spaß. Cannondale entscheidet sich daher auch beim leichtgewichtigen Moterra SL 1 für die etwas pannensicheren Exo+ Reifen von Maxxis und einen Dämpfer mit Ausgleichsbehälter. Wir finden: So robust muss die Ausstattung des Bikes mindestens sein. Ungewöhnlich: Die leichten XM 1700 Spline Laufräder, die statt der speziellen E-Bike Variante HX 1700 verbaut werden. Probleme gab es damit im Test aber nicht.
Ob sich die hohe Investition lohnt? Im Stand zumindest beeindruckt das neue Cannondale. Die Verarbeitung ist sehr gelungen, Details wie Zugführung, Ladeport und Oberrohr-Controller wirken wertig und durchdacht. Die leicht vorderradorientierte Sitzposition lässt das Bike modern wirken, der kurze Reach und hohe Lenker machen das Bike kompakt.
Gut so, denn in steilen Uphills verlangt das Cannondale eine sehr aktive Fahrweise. Der auch in der steilen Einstellung superflache Lenkwinkel macht das Handling kippelig. Trotz moderner Geometrie tritt man etwas von hinten. Bergauf auch in langsamen und technischen Abschnitten das Gleichgewicht zu halten, ist uns hier eher schwer gefallen. Dafür punktet das Cannondale mit exzellenter Traktion im Heck, auch mit dem kleinen Hinterrad. Mit der Option auf 29 Zoll kann man diesen Effekt sicher noch verstärken und bergauf mehr Ruhe ins Handling bringen. Ab Werk kommt das Bike aber immer als Mullet-Aufbau.
Das kleine Hinterrad und das niedrige Gewicht zahlen sich dafür in der Bergab-Performance aus. Das Moterra SL fährt sich sehr reaktiv und poppig. Wer im Cannondale mit Blick auf das attraktive Gewicht schlicht ein besonders verspieltes Powerbike sucht, ist aber nicht unbedingt an der richtigen Adresse. Mit langem Radstand und straffem Fahrwerk fährt sich das Moterra SL im Tourentempo wenig komfortabel.
Besser, man nimmt seinen Mut zusammen und gibt dem Bike die Sporen. Dann ergibt das extreme Konzept richtig Sinn! Feinfühlig tastet der Hinterbau den Untergrund ab und bringt auch in schnellen Steinfeldern viel Ruhe ins Bike. Das Fahrwerk bleibt immer auf der definierten Seite – Racern wird die direkte Rückmeldung gefallen. Die hohe Front und der flache Lenkwinkel geben gerade bei richtig hohem Tempo Sicherheit, das Handling empfanden wir als enorm präzise und direkt.
Im Absprung und in schnellen Wechselkurven passt die Mullet-Konfiguration gut zum aktiven Charakter des Bikes. Allerdings ist das Speed-hungrige Moterra SL auf Dauer recht anstrengend zu fahren. Daran kann auch die gute Cockpit-Ergonomie mit komfortablen Griffen und angenehmem Lenker nichts ändern. Wer mit viel Geschwindigkeit die richtige Linie trifft, kommt aus dem Schwärmen trotzdem kaum noch heraus. Schade: Der Shimano-Motor klappert bergab.
Das Cannondale Moterra SL ist ein superleichter Charakterkopf. Im Vollgas-Modus hatten wir auf den anspruchsvollen Teststrecken in Finale Ligure mächtig Spaß. Die teils zu extreme Geometrie und der überschaubare Komfort dürften gemäßigten Piloten aber nicht so schmecken. Wer weiß, dass er ohnehin gern mit viel Zug die schnelle Linie fährt, liegt dafür goldrichtig. - Jan Timmermann, BIKE-Testredakteur