Florentin Vesenbeckh
· 28.04.2024
Nur vier Hersteller haben für diese Saison ein E-Mountainbike mit Pinions MGU im Programm. Alleine das macht das neue Vuca Evo AM von Bulls zu einem begehrten Objekt. Außerdem war es eines der ersten E-MTBs mit der revolutionären Motor-Getriebeeinheit von Pinion, deren kombinierte Lösung aus E-Motor und Zwölf-Gang-Schaltgetriebe viele Vorteile verspricht.
Verschleißanfällige Ketten und Ritzel fallen hier weg, auch das exponierte Schaltwerk gibt es nicht mehr. Obendrein können zu jeder Zeit die Gänge gewechselt werden – auch im Stillstand. Und der Motor hält mit hoher Leistung und kräftigem Schub locker mit der Power-Konkurrenz von Bosch, Shimano und Brose mit. Was das Komplettpaket des Bulls Vuca Evo AM mit 150 Millimetern Federweg und 29er-Laufrädern kann, haben wir in diesem Test herausgefunden.
Einen grundlegenden Nachteil des Pinion-Systems merkt man auch dem Vuca an: Trotz Carbonrahmen und hochwertiger Ausstattung bleibt die Waage mit 720er-Akku erst bei 25,1 Kilo stehen. Auch wenn Schaltwerk und Ritzelpaket entfallen, bringt die Pinion-Kombi in Summe etwas Mehrgewicht mit sich. Das weiß auch Bulls – und hat das Vuca folgerichtig nicht auf extreme Trail-Performance ausgelegt. Im Fokus der Entwicklung standen ein Allround-Charakter, hilfreiche Alltags-Features und unkomplizierte Fahreigenschaften.
Ebenfalls typisch Pinion ist der nicht gerade günstige Einstiegspreis. Denn für die MGU müssen Hersteller aktuell spürbar mehr berappen, als für klassische Systeme. Unser top ausgestattetes Testbike kostet 8499 Euro. Mit deutlich günstigeren Komponenten sind für das Evo AM 1 noch immer 7499 Euro fällig. Bei beiden Bikes hat man übrigens die Option, ab Werk auf einen Akku mit riesigen 960 Wattstunden aufzurüsten. Dafür ist ein Aufpreis von 200 Euro fällig, das Rad wird 1,1 Kilo schwerer. Dennoch vielleicht eine Option für Langstrecken-Biker, denn im Vergleich zum reichweitenstarken Bosch 750er-System kommt der Pinion-Antrieb mit 720er-Batterie deutlich weniger weit.
Eine besondere Konstruktion ist die Heckfederung des Vuca. Eine einteilige Alu-Schwinge sitzt mit einem großen Hauptlager am Rahmen. Soweit ein klassischer Eingelenker. Doch die Anlenkung des tief liegenden Dämpfers läuft über vier Hebel. Daher der Name 4Link-Swingarm. Dass diese Konstruktion tatsächlich hervorragend funktioniert, haben wir in unserem Praxistest herausgefunden.
Pinions MGU ist eine Einheit aus E-Motor und Schaltgetriebe mit 12 Gängen. Die Power liegt locker auf Niveau von Bosch und Shimano. Die kombinierte Konstruktion bringt viele Vorteile. Das Vuca kommt mit 720er-Akku, der klassisch nach vorne herausgeklappt werden kann. Für 200 Euro Aufpreis gibt´s optional eine dicke Batterie mit 960 Wattstunden.
Das Bulls Vuca ist aktuell das einzige Pinion-Bike, das auf das reduzierte LED-Panel im Oberrohr (Fit Master Node LED), statt großem Display und die schlanke Remote Pure setzt. Details dazu gibt´s in unserer Bilderstrecke.
Die Geometrie des neuen Vuca ist eher klassisch und tourenorientiert gehalten. Der steile Lenkwinkel und kurze Radstand sollen dem Bike ein neutrales Handling und wendiges Fahrverhalten geben. Der Sitzwinkel ist auffällig flach, das Oberrohr lang. Dadurch fällt die Sitzposition gestreckt und hecklastig aus - insbesondere bei langem Stützenauszug.
Bulls setzt beim Vuca auf eine dicke Forke mit 38er-Standrohren. Im 150-Millimeter-Bereich ist das eher selten. Doch die Produktmanager wollten dem Bike damit eine Extraportion Robustheit verleihen. Leider kommt an der edlen Factory-Gabel mit Kashima-Beschichtung nur die Fit4-Dämpfung zum Einsatz, die im Gelände nicht so souverän arbeitet wie die Top-Variante Grip2. Die Reifen fallen mit 2,6 Zoll breit aus, die Karkasse (Maxxis Exo) eher dünn. Beide Faktoren sind für den harten Sporteinsatz im Gelände nicht ideal. Top ist die starke XT-Bremsanlage mit großen 220er-Scheiben an der Front.
Beim Aufsitzen fällt zu allererst die gestreckte Position auf. Das Oberrohr ist sehr lang, die Front eher tief. Dadurch nimmt man überraschend sportlich und lang gezogen auf dem Vuca Platz. Gerade in steilen Anstiegen tritt man dadurch von hinten in die Pedale. Unser Tipp: unbedingt den Sattel ganz nach vorne schieben, dann relativiert sich dieses Manko etwas. Ansonsten kann das Bike im Uphill überzeugen. Der Pinion-Motor schiebt im höchsten Modus super kräftig und zieht auch bei richtig hoher Trittfrequenz voll durch. Das ist ein großes Plus in schwierigen Anstiegen.
Auch das Fahrwerk macht einen starken Job. Das Heck spricht sehr sensibel an, generiert dadurch viel Traktion und hält den Fahrer dennoch aktiv im Hub. Außerdem behält das Vorderrad gut den Kontakt zum Boden, was auch den längeren Kettenstreben zu verdanken ist. Zwar sitzt man nicht gerade aktiv auf dem Bike und gerade bei längerem Sattelauszug etwas zu hecklastig. Doch in Summe erklettert das Vuca unkompliziert auch schwierigere Anstiege.
Auch bergab gibt die Heckfederung den Ton an. Sehr sensibel, mit dem nötigen Gegenhalt für sportliche Fahrweise und ordentlichen Reserven für grobe Schläge – das ist richtig stark. Wie groß der Anteil des leichten Hinterrades (geringe ungefederte Masse durch fehlendes Schaltwerk und Kassette) an dieser starken Performance ist, ist schwierig einzuschätzen. Fakt ist: Uns hat das Fahrwerk absolut überzeugt. Das hilft dem Bike sowohl in ruppigen Passagen, als auch in Anliegern und an Sprüngen.
Auf extremes Gelände ist die gemäßigte Geometrie mit kurzem Radstand und steilem Lenkwinkel nicht ausgelegt. Auch das hohe Gewicht lässt den Zeiger eher auf eine gemäßigte, denn allzu wilde Fahrweise fallen. Zu verstecken braucht sich das Vuca aber weder vor schwierigen Wurzelabfahrten, noch vor flowigen Trails. Apropos verstecken: Wer gerne unauffällig und leise über Trails rollt, wird mit dem Vuca seine Freude haben. Denn Motorklappern gibt es hier ebenso wenig wie Kettenschlagen.
Bergauf kann es allerdings lauter werden. In den Klettergängen eins bis vier tönt die MGU etwas unangenehm und lauter als Bosch und Shimano. In höheren Gängen wendet sich das Blatt. Hier war die MGU im Vuca richtig leise und deutlich unauffälliger als andere Power-Motoren. Kurzum: Als gediegener Trail- und Touren-Allrounder macht das neue Bulls eine richtig gute Figur. Die lange Sitzposition und auch die Eigenarten des Pinion-Motors machen eine Probefahrt vor dem Kauf allerdings besonders wichtig.
Mit Pinion-Antrieb und vielen durchdachten Alltags-Features ist das Vuca prädestiniert für vielseitigen Einsatz. Auch im Gelände gibt es eine gute Figur ab. Ein spritziger Trail-Spezialist ist das schwere Bike trotz top Fahrwerk und Ausstattung aber nicht. - Florentin Vesenbeckh, stellv. Chefredakteur EMTB Magazin