Um dem Avinox-Motor eine Plattform zu bieten, hat DJI kurzerhand eine eigene Bike-Marke aus dem Boden gestampft: Amflow! Und kaum ein Bike wird aktuell so sehr gehypt wie das PL Carbon der DJI-Marke.
Vielleicht nicht ganz zu unrecht, wie der Blick auf die Daten zeigt. Mit echten 19,75 kg auf der BIKE-Waage ist das Amflow mit dem kleineren 600er Akku leichter als viele minimalistische Light-E-MTBs. 20,63 Kilogramm (BIKE-Messung) mit dem ebenfalls verfügbaren 800er Akku sind genauso ein Traumwert. Dabei geht der Preis, gemessen an der Top-Ausstattung, absolut in Ordnung. Das an sich ist schon bemerkenswert. Dazu ist der verbaute DJI Avinox (hier im Test) der mit Abstand stärkste Motor am Markt. Nennenswerte Schwächen? Fehlanzeige.
Über drei Monate lang haben wir das teurere der zwei verfügbaren Amflow-Modelle intensiv mit fünf verschiedenen Testern und auf vielen verschiedenen Strecken sowie im Labor getestet. Von Eberbach bis Finale Ligure, von rauen Trails bis zu langen Touren musste sich das Überflieger-Bike in jedem denkbaren Szenario und mit beiden verfügbaren Akkugrößen beweisen. Ob uns das Bike schlussendlich überzeugen konnte? Hier kommt der ausführliche Test.
120 Newtonmeter Drehmoment, 1000 Watt Leistung bei nur 2,6 Kilogramm. Als uns vor der Eurobike 2024 die ersten Werte zum neuen DJI Avinox erreichten, trauten wir unseren Ohren kaum. Mittlerweile ist klar, der Avinox ist kein Papiertiger und drückt die enormen Werte auch in der Praxis auf die Rolle. Und noch viel beeindruckender: Der DJI-Motor ist dabei super direkt, sehr sensibel und außerdem ziemlich sehr leise.
Kein ungehobelter Rabauke also, sondern ein echter Game-Changer. Dazu kommt: Tolles Display, gute App und gute Reichweite. Die Top-Werte der neuen Bosch-Akkus verpasst DJI zwar knapp, kann dafür aber mit optionalem Schnellladen punkten.
Achtung: Die Werte unten stammen aus unserem standardisierten Reichweitentest. Die Geschwindigkeit des DJI haben wir auf das Niveau klassischer 85-Nm-Motoren gedrosselt. Gibt der Avinox Vollgas, sind die Akkus etwas schneller leer.
Das Chassis setzt auf 29er Laufräder, optional kann auch ein 27,5er Laufrad am Heck verbaut werden. 160/150 Millimeter Federweg sollen das Bike als abfahrtsstarken Allrounder positionieren. Auffällig ist das Sizing. Die vier Größen fallen eher kompakt aus.
Wer für mehr Laufruhe zur nächsten Größe greifen will, muss die recht langen Sitzrohre beachten. Trotz kompaktem Reach und Radstand fällt die Sitzposition sportlich gestreckt aus. Dafür sorgen die tiefe Front und der (zu) flache Sitzwinkel. Auch das sollte man bei der Größenwahl beachten.
Beim Topmodell Amflow PL Carbon Pro achtet DJI natürlich auch bei der Ausstattung aufs Gewicht, verbaut aber kaum leichte Schummelparts. Der Fox-Factory-Dämpfer kommt mit Ausgleichsbehälter, der Exo+-Reifen hinten passt gut zum Einsatzbereich. Highlights sind die XO-Transmission-Schaltung von Sram und die zahlreichen hauseigenen Carbon-Parts (Laufräder, Lenker). In der Front steckt die Fox 36 Factory mit der Enduro-Dämpfung GripX2. Mehr geht nicht. Gemessen daran fällt der Preis mit 10.000 Euro sogar noch recht fair aus.
Unser Praxistest zeigt: Das Amflow PL Carbon ist ein richtig guter erster Wurf und schafft einen nie dagewesenen Kompromiss aus hoher Motorleistung und leichtfüßigem Fahrgefühl. Doch bei allem Lob: Es gibt auch Verbesserungspotenzial. Die Sitzposition fällt mit dem tiefen Lenker sportlich aus, der Sitzwinkel des Bikes ist recht flach. So sitzt man auf dem Amflow leicht gestreckt. Angenehm, um auf längeren Flachstücken Tempo zu machen.
In anspruchsvollen Uphills ist die hecklastige Sitzposition aber nicht ideal. Im Anstieg steht die Hinterbaufederung hoch im Hub. Das begünstigt die Kontrolle bergauf, kostet aber etwas Traktion und Komfort. Gut also, dass der enorm kraftvolle und doch sehr gut dosierbare Motor diese Schwäche in der B-Note locker ausgleicht. Denn klar ist: Allein schon wegen des Motors fährt das Amflow bergauf in einer ganz eigenen Liga.
Der sportliche Charakter des Amflow setzt sich auch in den Bergab-Eigenschaften fort. So fährt sich das Bike auf flacheren Trails sehr spritzig und präzise und begeistert mit leichtfüßiger Fahrweise. Hier kommt fast schon Light-E-MTB Feeling auf. Ultimativ handlich wirkt das Bike zwar nicht. Doch klassische E-All-Mountains lässt das PL Carbon Pro wegen seines spritzigen Handlings deutlich hinter sich. Das geringe Gewicht von Bike und Laufrädern ist deutlich spürbar. Bei jeder Kante, bei jedem schnellen Kurvenwechsel, in jeder Beschleunigung.
Die Kehrseite der Medaille: Wenn das Gelände ruppiger wird, neigt das Amflow zum Verspringen. Hier ist eine versierte Hand gefragt, um in Felspassagen oder auf Wurzelteppichen die Linie zu halten. Die tiefe Front vermittelt zudem wenig Sicherheit, das Sitzrohr fällt gemessen am kurzen Reach relativ lang aus. Gerade in steilen Passagen fühlt man sich so stärker nach vorne gedrückt, als eigentlich angenehm wäre. Mit tiefer Front und eher langem Heck lässt sich das Amflow auch nur widerwillig aufs Hinterrad ziehen - ein notwendiges Übel um im Uphill die Front wenigstens halbwegs im Zaum zu halten.
Erwartungsgemäß funktioniert die hochwertige Fox 36 Factory Gabel mit X2-Dämpfung exzellent und passt gut zum sportlichen Charakter. Im Vergleich zur Top-Gabel fällt die Heckfederung aber etwas ab. Speziell bei der Sensibilität vergaben die Tester nur mittelmäßige Noten.
Immerhin: Durch die straffe Fahrwerks-Abstimmung lässt sich das Bike leicht in die Luft ziehen und hält auch für hohe Geschwindigkeiten noch gute Reserven bereit, ist in rauem Gelände aber anstrengend zu fahren.
Bergab klappert der DJI-Motor nicht, dafür rasseln die Züge des Amflow deutlich im Rahmen. Schaumstoff-Hüllen würden Abhilfe schaffen. Der schwarze Klavierlack sieht in Kombination mit den goldenen Decals zwar edel aus, zeigt aber nach einigen matschig-winterlichen Ausfahrten schon deutliche Kratzspuren.
Das Amflow PL Carbon* will Light-Bike und Power-Bolide in einem sein. Und der Spagat gelingt erstaunlich gut! Es kommt zwar nicht an die Nehmerqualitäten der besten All Mountains und auch nicht an die Leichtfüßigkeit eines Light-Spezialisten heran. Doch alles dazwischen macht der Allrounder richtig stark. Herausragend ist das nie da gewesene Verhältnis aus Gewicht und Reichweite. Die Motor-Power bei gleichzeitig so sensibler Abstimmung ist phänomenal, das straffe Fahrwerk und die Geometrie sind eher nur Durschnitt. Trotzdem: Next Level! - Florentin Vesenbeckh, stv. Chefredakteur bei BIKE