Die Ansprüche an ein Kinder-Mountainbike sind groß. Ihre Geometrie und Fahrwerke müssen auch für kleine, leichte Fahrwerke funktionieren und ihre Ausstattung muss zu den Bedürfnissen junger Sportler passen. Gleichzeitig sollte das Gewicht möglichst niedrig bleiben, um Kinder nicht zu überfordern. Das allerdings bedeutet im Mountainbike-Business oft einen hohen Anschaffungspreis, welcher wiederum im Konflikt mit den Bedürfnissen vieler Eltern steht. Ein richtig gutes Jugend- oder Kinder-MTB zu konstruieren ist eine Kunst. Wir haben die Entwürfe von sechs Herstellern auf die Probe gestellt.
Natürlich haben wir auch bei den kleinen Mountainbikes nicht die Mühe gescheut sie auf den Prüfständen unseres eigenen Testlabors zu vermessen. Auch wenn inzwischen die meisten Hersteller halbwegs realistische Werte liefern, verlassen wir uns nicht auf die Angaben von Geometrie- oder Gewichtswerten, sondern messen lieber selbst. Da auf dem Trail das Laufradgewicht und die Laufradträgheit einen erheblichen Einfluss auf die Fahrqualität haben können, erhoben wir auch diese Werte mit genauer Messtechnik. Das beste Bike aus dem Labor ist aber nur so gut, wie seine Praxisleistung, deshalb nahmen wir die sechs Testbikes mit zum BIKE Jugendcamp in Sankt Englmar.
Dort erklärten sich zwölf Mountainbike-erfahrene Kinder im Alter zwischen zehn und zwölf Jahren bereit als BIKE-Testfahrer einzuspringen. Auf den Trails des bayerischen Waldes trotzten sie den widrigen Wetterbedingungen und probierten die neusten Bikes von Canyon, Cube, Giant, Propain, VPace und Woom unter Realbedingungen aus. Wie leicht oder schwer fällt mir der Uphill mit dem Kinder-Bike? Komme ich mit allen Komponenten klar? Bringt mir die Federung etwas? Wie verhält sich das Rad im Vergleich zu meinem eigenen Bike? Welches Fahrrad gefällt mir am besten? All diesen Fragen gingen die Nachwuchs-Tester interessiert nach und konnten schließlich spannendes Feedback zu den sechs Testkandidaten liefern.
Die Möglichkeit diese brandaktuellen Kinder-Bikes mit genau der passenden Zielgruppe zu testen brachte wahrhaft erhellende Erkenntnisse. Ich bin studierter Sozialpädagoge und Erziehungswissenschaftler und glaube fest an das Motto ‘Kindermund tut Wahrheit kund’! Das Feedback der jungen Mountainbiker ist ehrlich, ungeschönt und für unser Testfazit unbezahlbar. - Jan Timmermann, BIKE-Redakteur
Kaum ein Kritikpunkt ist beim Kinder-Mountainbike so wichtig, wie das Gewicht. Der Grund dafür ist einfach. Fahrbereit wiegen die Alu-Fullys von Giant und Propain um 14 Kilo. Ihre elfjährigen Testpiloten bringen rund 45 Kilo auf die Waage. Hochgerechnet entspräche diese Paarung einem 90 Kilo Fahrer mit einem 28 Kilo Mountainbike ohne Motor. Logisch: Soll die Ausstattung geländetauglich, robust und gleichzeitig leicht sein, wird’s schnell teuer. Unsere Testbikes kosten zwischen 1199 (Woom) und 2499 Euro (Canyon). Sie ließen sich mit wenigen Upgrades, wie einem Tubeless-Setup oder Tuning-Teilen leicht aufrüsten.
Die Realität unter Mountainbike-begeisterten Familien sieht so aus: Kaum ein Kind mit nachhaltigem Spaß am sportiven Radfahren fährt ein Bike von der Stange. Die privaten Räder unserer Testfahrer haben beim Gewicht fast alle eine Acht vor dem Komma. Allerdings betreiben sie auch alle Crosscountry-Biken als Rennsport. Da kann der Wert des Sportgerätes in Ausnahmefällen mal dem tausendfachen des Alters entsprechen. Eine geeignete Basis für gute, preiswerte Kinder-Mountainbikes bieten aber auch die sechs Testkandidaten.
Kinder sind keine kleinen Erwachsenen. Sie haben bei Ergonomie und Ausstattung andere Bedürfnisse. So müssen zum Beispiel Griffe, Sättel, Q-Faktor, Kurbellängen und Bremsgriffe zu den kleineren Körpermaßen passen. In diesen Punkten leisten sich unsere Testbikes kaum einen Patzer. Nur das günstige Woom spart mit zu schwachen Bremsen und einem unergonomischen Bremshebel.
Um Berge zu erklimmen brauchen Kinder leichte Gänge. Positivbeispiele kommen von Canyon, Propain und VPace, die Kids mit breitbandigen Kassetten die nötige Übersetzungsbandbreite zur Verfügung stellen. An steilen Rampen reichen die Gänge des Woom selbst für fitte Kinder nicht immer aus. Ebenfalls wichtig: Die Federelemente von Kinder-Mountainbikes müssen sich auf die niedrigen Körpergewichte ihrer Fahrer anpassen lassen. Besonders gut bewerkstelligt das Giant.
Prinzipiell sind Kinder für Vieles zu begeistern. Wollen Eltern nicht gleich mehrere Bikes kaufen und der Nachwuchs hat von Tour bis Trail seinen Spaß, braucht es ein vielseitiges Kinder-MTB, welches ein dezentes Gewicht mit einer Allround-Geometrie und -Ausstattung vereint. Besonders breit aufgestellt ist das VPace Hardtail. Deutlich spezialisierter geben sich die Mini-Enduros von Giant und Propain. Auch das Cube hat sich mit seinem leichten Carbonrahmen eine Nische ausgesucht und zielt ganz klar auf den Crosscountry-Sport. Dort versucht auch das Canyon-Fully zu punkten, trägt ab Werk jedoch etwas zu viele Pfunde auf den Kohlefaser-Rippen.
Wenn Kinder nachhaltig fürs Mountainbiken begeistert werden sollen, muss das Radfahren einfach Spaß machen. Wer sich unsicher fühlt oder schlechte Erfahrungen macht, bleibt womöglich nicht lange mit dabei. Intrinsische Motivation zum Biken hängt auch mit dem richtigen Material zusammen. Dropper Posts (in Giant, VPace und Propain) in niedrigen Rahmen zum Beispiel schaffen eine in technischem Gelände unverzichtbare Bewegungsfreiheit über dem Bike.
Fast alle Kids lieben schnelles Tempo. Laufruhe und Wendigkeit miteinander zu vereinen ist jedoch stets ein Kompromiss. Bewährt haben sich auch im Kinder-Bereich flache aber nicht extreme Lenkwinkel und kompakte Kettenstrebenlängen. Von besseren Überrollverhalten größerer Laufräder profitiert auch die Jugend. Vor allem Canyon und VPace integrieren die großen 29er bereits gut in kleine Rahmen.
Ein Kinder-Mountainbike muss nicht nur gut fahren, sondern auch optisch gefallen. Das carbon-schwarze Canyon und das auffällig lackierte Propain sammelten in Sache Aussehen am meisten Punkte bei unseren Nachwuchs-Testern. Ein ansprechendes Äußeres sollte nicht zu Lasten der Funktionalität gehen. So ist die integrierte Schraubklemmung der Sattelstütze am Carbon-Hardtail von Cube zwar schön anzusehen, kann Eltern aber Nerven kosten. Gleiches gilt für innenverlegte oder gar durch den Steuersatz laufende Züge, denn auch an einem Kinder-Mountainbike werden häufig Einzelteile ausgetauscht. Besonders wartungsfreundlich zeigen sich VPace und Woom.
Da wäre man doch selbst gerne nochmal Kind! Die aktuelle Riege an Mountainbikes für die Jugend liefert durchweg einen starken Auftritt. Die Hersteller kennen die Bedürfnisse des Nachwuchses inzwischen sehr genau und setzen auf wertige Konzepte. Echte Aussetzer, wie noch vor etwa zehn Jahren, gibt es kaum noch am Markt. Leider muss man aber auch sagen: Das perfekte Kinder-MTB von der Stange existiert im Preisrahmen unter 2500 Euro eigentlich nicht.
Das vielseitige VPace Hardtail kommt nahe ran und die vollgefederten Abfahrer von Propain und Giant sind für ihren speziellen Einsatzzweck absolut gelungen. Auch mit Cube und Canyon fahren junge Biker im XC-Bereich gut, müssen aber Ausstattungs-Kompromisse eingehen. Das deutlich günstigere Woom ist ein schönes, preiswertes Kinder-Fahrrad, fällt in Sachen Geländeeignung aber etwas ab. Familien, die bereits sind mehr Geld auszugeben, finden an allen Bikes Tuningmöglichkeiten.