Der Siegeszug von E-Mountainbikes bremst auch nicht für Kinder. In der schönen, neuen, elektrifizierten Welt des MTBs können Eltern selbst kleinen Kindern bereits ein E-Bike in die Garage stellen. Der Reiz ist derselbe, wie bei den E-Mountainbikes für Erwachsene: mehr Speed, mehr Strecke und Höhe in kürzerer Zeit. Dass das Kindern Spaß machen kann, steht außer Frage. Doch welche E-MTBs für Kids gibt es überhaupt und ist es tatsächlich ratsam den Nachwuchs so früh an E-Bikes heranzuführen? Wir haben nicht nur den Markt durchkämmt, sondern auch ausgiebig diskutiert.
Die meisten Menschen, die mit dem Mondraker Grommy 12 in Berührung kommen sind erstmal verblüfft: “Wie, so etwas gibt es wirklich?” Dann schlägt die Verwunderung entweder in Begeisterung oder Ablehnung um. Dass ein E-Laufrad für Kinder polarisiert steht außer Frage. Aber Mondraker hat sich alle Mühe gegeben bereits Kindern ab drei Jahren ein E-Bike-Erlebnis zu ermöglichen. Dabei betonen die Spanier die hohe Verarbeitungsqualität des E-Laufrades aus stabilem Aluminium. Das Grommy soll das gleiche Look and Feel der E-Bikes für Große haben. Der 250-Watt-Motor ist kompakt und leicht, sodass es die 12-Zoll-Version auf 7,5 Kilo Gewicht bringt. Eltern können drei Unterstützungsmodi voreinstellen. Zwischen 8,1 und 17,7 Kilometer pro Stunde sind drin. Die Füße können während der Fahrt auf einem Trittbrett abgestellt werden. Eine mechanische Scheibenbremse mit innenverlegtem Bremszug soll Kinder sicher zum Stehen bringen. Der austauschbare, wasserdichte Akku soll Saft für bis zu 60 Minuten Fahrt liefern. Ist der Motor ausgeschaltet, sollen Kids das Grommy genauso, wie ein herkömmliches Laufrad fahren können. Auch eine 16-Zoll-Variante steht zur Auswahl.
Woom war ein früher Befürworter von Kinder-E-Bikes und führt das Modell Up bereits seit einigen Jahren im Programm. Im Unterrohr des kleinen E-Mountainbikes sitzt ein Fazua Ride 50 Trail mit 250 Watt Dauer- und 350 Watt Spitzenleistung. Der Motor bietet bis zu 58 Newtonmeter Drehmoment und wird aus einem 250 Wattstunden Akku gespeist. In drei verstellbaren Stufen wird bis zu 25 Kilometer pro Stunde unterstützt. Schön, dass Woom nicht nur auf eine schicke Lackierung, sondern auch auf Tubeless-fähige Laufräder setzt. Auch eine Variostütze ließe sich nachrüsten. Die Luft-Federgabel von RST bietet 80 Millimeter Knautschzone.
Eines der wohl ausgeklügeltsten E-Mountainbikes für Kinder kommt derzeit von Rocky Mountain. Ob das wohl daran liegt, dass sich kanadische Kids ohne Motorunterstützung an den steilen Hängen der Rockies schwer tun? Jedenfalls erhalten junge Biker/innen am Powerplay bis zu 300 Watt und 40 Newtonmeter Unterstützungsleistung aus dem hauseigenen Dyname S4 Mini Motor, bei dem die Kette in einem Kasten umgelenkt wird. 240 Wattstunden Energiereserve bietet der Akku. Eine moderne Trailbike-Geometrie und 140 Millimeter Hub vorne, beziehungsweise 130 Millimeter hinten, nehmen auch anspruchsvollen Trails ihren Schrecken. Der Preis von mindestens 5000 Euro dürfte viele Eltern abschrecken. Immerhin kann das Reaper Powerplay von 24 auf 26 Zoll Laufräder umgerüstet werden und so eine Zeit lang mit dem Kind mitwachsen. Die Garantie hält vermutlich länger an, als das Bike dem Kind passt, nämlich fünf Jahre.
E-Mountainbikes für Kinder – kaum ein Thema wird in der MTB-Szene kontroverser diskutiert. Für mich gibt es in dieser Diskussion nur eine Wahrheit: Jeder Vater und jede Mutter muss für sich und sein Kind selbst entscheiden. Deshalb ist für mich auch klar: Wir werden in der BIKE immer wieder innovative E-MTB-Modelle für den Nachwuchs vorstellen. Das unseren Lesern vorzuenthalten, wäre eine Art Bevormundung, die uns nicht gut zu Gesicht stünde.
Eine pauschale Haltung scheint mir dem Thema ohnehin nicht angemessen. Allein die Tatsache, dass Kind nicht gleich Kind ist, erfordert eine Differenzierung. Nicht nur wegen des Alters, sondern auch, weil sich Kinder gleichen Alters in ihren körperlichen und emotionalen Voraussetzungen erheblich unterscheiden können. Ich habe ein passendes Beispiel aus der eigenen Familie: meinen Sohn. Der hat schon im zarten Alter von sechs Jahren seine Leidenschaft fürs Radfahren entdeckt. Und seine Abneigung gegen jede Art von Anstrengung im Sattel. Beim Fußball kann er rennen, bis ihm die Zunge am Rasen klebt. Aber Bergauffahren mit dem Rad empfand er als stumpfsinnig und langweilig, sportlicher Ehrgeiz war nicht zu entfachen. Für ihn kannte das Radfahren nur eine Richtung: bergab. So fuhren wir jahrelang von Bikepark zu Bikepark. Eine richtige Familientour, wie ich sie mir gewünscht hätte, kam nie zustande. Hätte es damals schon sportliche, leichte E-Mountainbikes für Kinder gegeben – ich weiß, was ich gemacht hätte.
Gegner von Kinder-E-Mountainbikes behaupten, Kinder würden dadurch verweichlicht und faul. Ich denke, genau das Gegenteil ist der Fall: Mit dem E-MTB lassen sich nicht zuletzt jene Kinder mobilisieren, die mit einem unmotorisierten Fahrrad nicht weiter als bis zum nächsten McDonalds fahren würden. Das E-MTB kann hier als Motivationsbooster wirken, der am Ende vielleicht eine Fahrradleidenschaft weckt, die über das E-MTB hinausgeht.
Fakt ist: Vor der Motorisierung des Mountainbikes war der Bergradsport als Familienvergnügen wenig geeignet. Längere Bergtouren waren ohne elektrische Unterstützung in vielen Familien nur möglich, wenn Vater oder Mutter über Superkräfte verfügten. Denn vielen Kindern fehlen bis zum Teenageralter die körperlichen Voraussetzungen, um größere Höhenunterschiede zu erkurbeln. Sollen die Kids mit auf Tour, müssen also die Eltern den Abschleppdienst übernehmen – ohne Motorunterstützung ein schweißtreibendes Unterfangen, dem nur die Fittesten gewachsen sind. Im Zeitalter der E-Mountainbikes hat sich das geändert. Doch wenn die Eltern schon auf dem E-MTB sitzen, können dann nicht auch die Kinder mit E-Unterstützung fahren? Oder sollten vielleicht die Eltern ohne und die Kinder mit „E“ fahren? Es gibt verschiedene Möglichkeiten, keine ist falsch oder verwerflich. Deshalb: Entscheiden Sie bitte selbst!
In der Sozialpädagogik spricht man vom Paradigma der langen, wohlbehüteten Kindheit, welches Kinder in eine Art Heiligenstand erhebt und Eltern gewaltig unter Druck setzt. Ist mein Kind noch wohlbehütet, wenn es am Berg schwitzt und leidet? Gerade in westlichen, hochindividualistischen Gesellschaften, wie der unseren, bekommen Kinder immer weniger die Chance körperliche Anstrengungsbereitschaft und Durchhaltevermögen zu lernen. Kurt Hahn ist als Begründer der Erlebnispädagogik nicht ganz unumstritten. Er verstand jedoch schon vor hundert Jahren Bequemlichkeit als die größte Gefahr für die Entwicklung der Jugend. Ich glaube, dass an seiner These in der digitalisierten und elektrifizierten Welt von heute mehr dran ist als jemals zuvor. Deshalb sehe ich es auch kritisch, wenn gesunde Kinder zu früh in Kontakt mit Unterstützungsmotoren kommen. Wenn unter dem Weihnachtsbaum ein Tablet liegt, wird das klassische Buch schnell uninteressant. Ich befürchte das gleiche Schicksal für rein muskelbetriebene Bikes.
Andere Frage, selbes Prinzip: Bin ich ein guter Vater, wenn mein Kind nicht das beste Material fährt? E-Bikes gelten zumindest in Europa als das neue Maß der Dinge - ein weiteres Paradigma, das unreflektiert auf die Welt der Kinder übertragen wird. In den Werbesprüchen der Hersteller fehlt mir oft die Verhältnismäßigkeit. Das Woom ist mit mindestens 15,7 Kilo noch relativ leicht. Bei einem 30 Kilo leichten Kind entspräche das im Vergleich mit einem 80 Kilo schweren Erwachsenen jedoch einem Bike-Gewicht von 42 Kilo. Und damit sollen sich Kinder eine saubere Fahrtechnik aneignen? Motor und Akku werden zur Notwendigkeit, die Freiheit des Radfahrens bleibt womöglich aus der Erlebniswelt des Nachwuchses außen vor und wird durch Abhängigkeit ersetzt.
Als Jugend-Trainer glaube ich, dass Kinder Mountainbiken am besten auf Bio-Bikes lernen. In meiner Erfahrung gelingen die technische Grundausbildung und die Sportsozialisation auf leichten Hardtails am besten. Davon profitieren Kinder ein Mountainbiker-Leben lang. Ans E-Bike sollten sie frühestens herangeführt werden, wenn sie im hohen Jugendalter ein entsprechendes physisches und koordinatives Level erreicht haben. Vorher sollten sich Eltern lieber die Frage stellen: Ist der E-Antrieb gut für mein Kind oder am Ende mein eigenes Bedürfnis. Einer der Hauptargumente für den Kauf eines Kinder-E-Bikes ist nämlich, dass Eltern und Kinder zusammen MTB-Touren fahren können. Den Nachwuchs zu motivieren und den eigenen Wunsch nach Radfahrvergnügen hinten anzustellen ist anstrengend. Vielleicht liegt das Phänomen Kinder-Mountainbikes mit E-Motor schlussendlich auch in der Bequemlichkeit der Eltern begründet. Liebe Mütter und Väter da draußen: seid bei diesem Thema bitte ehrlich zu euch selbst!