Henri Lesewitz
· 03.08.2023
Die Frage, die sich zunächst stellt: Braucht ein Kinderfahrrad einen so aufwändig gefertigten Highend-Rahmen? Die teuren C62-Fasern werden normalerweise nur verwendet, wenn es ums maximale Optimieren geht. Die leichten, sehr festen Fasern mit einem extrahohen Carbon-Anteil von 62 Prozent (daher der Name) werden mit einem speziellen (mit Nano-Partikeln angereicherten) Harz zu Matten verklebt, die neben ihres geringen Gewichts besonders haltbar und schlagresistent sein sollen. In einem aufwändigen Prozess werden sie zu einem Monocoque-Schmuckstück verarbeitet. Um Falten zu vermeiden, werden die Matten mit Hilfe eines festen Kerns in optimaler Position gehalten, der dann nach dem Ausbacken im Autoklav (einer Art Hitzekammer) entfernt wird. So einen Aufwand erwartet man im Profi-Sport, aber nicht unbedingt für ein Kinder-Bike. Doch es macht Sinn. Zum einen, weil solch ein top Rahmen alle Tuning-Optionen für den rennbegeisterten Nachwuchs offen lässt. Auf Basis des Rahmens lässt sich bei Bedarf eine wirklich leichte Rennpfeile realisieren, etwa mit edleren Kurbeln. Andererseits garantiert der leichte Rahmen schon mal so oder so ein gutes Grundgewicht. Aufgrund des knallhart kalkulierten Preises kann Cube bei der Ausstattung nicht aus dem Vollen schöpfen, weswegen sich einige teils schwere Komponenten am Bike finden. Dank des geringen Rahmengewichts schlagen sie aber nicht so auf die Fahr-Performance durch.
Eine weitere spannende Frage: Welche Version des Elite-Kinderfahrrads ist die richtig für meinen Nachwuchs? Cube bietet das C:62 Rookie als Version mit 27,5 Laufrädern und als Twentyniner an. Der XS-Rahmen, der 13 Zoll entspricht, kommt mit den kleineren Laufrädern, die S-Version (15 Zoll), mit 29-Zoll-Wheels. Size Split nennt sich das Konzept. Es macht Sinn, weil jedes Kind so ein optimal passendes Bikes fahren kann. Doch es erfordert Fachkenntnis und/oder eine gute Beratung, damit man auch wirklich die richtige Größe bestellt. Unser Tester Tim ist 11 Jahre alt und 149 Zentimeter groß. Er könnte mit XS und S fahren. Da er aber mit dem Twentyniner schon ganz gut zurecht kommt, würden wir bei einem Kauf dieses Modell empfehlen. Auch wenn sich das kleine Modell vielleicht etwas agiler fahren würde.
Die Verarbeitung des Rahmens ist top. Alle Übergänge sind fließend, der Rahmen wirkt wie aus einem Guss. Abgesehen von der Größe und dem Actionrookies-Schriftzug am Hinterbau gibt es keinen Unterschied zu den hauseigenen Premium-Rahmen für die Erwachsenen. Der ziemlich große C:62-Sticker kündet davon, wie stolz die Cube-Ingenieure auf dieses kompromisslose Stück Rahmenbaukunst sind. Das angehängte S steht für die Rahmenhöhe.
Elegant ist auch der Bereich, an dem Sitzrohr, Oberrohr und Kettenstreben ineinander fließen. Der Klemmschlitz für die Stütze sitzt beim C:62 Rookie seitlich und nicht hinten, wie bei den meisten anderen Rahmen. Das schützt den Klemmbereich für Wasser- und Dreckbeschuss. Ein kleines, aber schönes Detail, das deutlich macht, wie sehr den Cube-Ingenieuren daran lag, das Maximum rauszuholen.
Bremszug und hintere Bremsleitung verlaufen im Rahmen. Das sieht schick aus und schützt den Rahmen vor dem Verkratzen durch scheuernde Kabel. Im Fahrbetrieb klappert nichts, was bei Innenverlegung nicht immer selbstverständlich ist. Auf der anderen Seite des Steuerrohrs sitzt ein weiterer Kabelschacht, der mit einem Stopfen verschlossen ist. Er ermöglicht das Nachrüsten einer versenkbaren Sattelstütze.
Vorbildlich: Das Unterrohr ist mit Schlagschutz-Folie abgeklebt. Auch das ist nicht bei jedem Bike Standard. Dabei ist so eine Folie obligatorisch, da gerade dieser Bereich im Dauerbeschuss von aufgewirbelten Steinchen steht. Das Unterrohr selbst ist von wuchtiger Dimension und kantiger Form. Das Sitzrohr wirkt fast schon filigran dagegen.
Der Rahmen lässt keine Wünsche offen. Er bietet das Nonplusultra für sportlich ambitionierte Kids. Der Blick auf die Ausstattung offenbart aber den Drahtseilakt, den die Produkt-Manager eingehen mussten, um unterhalb der magischen die 1800 Euro-Marke zu bleiben. So kompromisslos wie die Fertigung des Rahmens konnte das Komplettieren nicht vonstatten gehen. Dennoch gelang es Cube, mit Fingerspitzengefühl bei der Teileauswahl einen guten Kompromiss zu finden, der zwar keine Leichtbau-Rekorde hervorbringt, aber gute Funktion garantiert. Die NX-Schaltung von Sram zum Beispiel ist einfacher gearbeitet und schwerer als die hauseigenen Race-Varianten, funktioniert aber ähnlich gut. Die 12fach-Kassette (10-50) ermöglicht in jedem Fall souveränes Klettern.
Günstiger Bauart sind auch die Kurbeln. Kein Wunder, denn leichte Race-Kurbeln, die eines solchen Highend-Rahmens eigentlich würdig wären, würden alleine schon 400 Euro oder mehr kosten. Die Stylo aus dem Einsteiger-Sortiment von Sram’s Hausmarke Truvativ sind aus Alu geschmiedet und keine Leichtgewichte. Sie tun aber ihren Dienst und sind mit einer Länge von 170 Millimetern auf die Ergonomie von Kindern abgestimmt.
Der Rahmen verfügt auch über eine Montage-Möglichkeit für eine Kettenführung. Diese könnte Sinn machen, wenn man im Rennmodus ruppige Abfahren hinunter heizen will. Ein Abspringen der Kette ist mit dem Eagle-Antrieb aber auch ohne Führung ziemlich unwahrscheinlich.
Bremsen, deren Hebel für Kinderhänge schwer zu erreichen sind, können den Fahrspaß verderben und sind im Extremfall sogar eine Gesundheitsgefahr. Die perfekte Ergonomie ist ebenso wichtig wie die Bremspower. Die Magura-Bremsen bieten beides, exakt justierbare Hebel sowie gute Verzögerung. Die Stopper aus Kunststoff gehören zu den günstigsten Modellen von Magura, sind aber aufgrund des Materials schön leicht.
Ebenfalls wichtig für gutes Handlung sind die Griffe. Diese sollten nicht zu dick sein, nicht zu dünn, nicht zu weich und auch nicht zu hart. Die hauseigenen Cube-Griffe sind perfekt. Sie dämpfen gut, ohne schwammig zu wirken. Die Riffeloberfläche sorgt für guten Halt. Zudem sind die Griffe fest mit dem Lenker verschraubt. Prima.
Ein brauchbares Feedback über den Komfort des Sattels von Kindern zu bekommen, ist schwierig. Der Designer dieses Sattels könnte wahrscheinlich Stunden über die ergonomischen Besonderheiten plaudern. Über den Dammbereich, der durch den abgesenkten Mittelsteg entlastet wird. Über die Form der Sattelnase, die Dicke der Polsterung, und so weiter. Unserem 11-jährigen Tester waren derlei Details egal. So lässt sich zumindest diese Aussage treffen: Der Sattel ist solide gearbeitet und eher kurz. Eben typisch für ein Kinderfahrrad.
Der Vorbau von Newmen ist mit 40 Millimetern sehr kurz, was in Verbindung mit dem normal langen Oberrohr für eine zwar sportliche, aber komfortable Sitzposition sorgt. Bei steilen Anstiegen ist so genug Druck auf dem Vorderrad, damit sich das Bike nicht aufbäumt. Wird die Strecke technisch, hat man genug Kontrolle, um agil über den Kurs zu zirkeln. Der Flatbar ist 680 Millimeter breit und typisch für Cross Country.
Ein Teil, das ganz wesentlich über die Fahreigenschaften mitbestimmt, ist die Federgabel. Die Manitou Markhor TS Air enttäuscht nicht die hohen Erwartungen an eine Race-Gabel. Sie lässt sich perfekt abstimmen und spricht auch bei leichten Kids feinfühlig an. Die 100 Millimeter Federweg werden gut genutzt und die Dämpfung ist auch in ruppigen Passagen top.
Praktisch: Der Lockout für die Gabel. Der obere Hebel sperrt die Gabel, der eckige, weiße Hebel gibt den Federmodus der Gabel wieder frei. Ein Lenker-Lockout-Hebel ist in dieser Preisklasse nicht selbstverständlich. Gut, wenn er am Bike ist. Denn er macht das Fahren im Wiegetritt sowie auf Asphalt angenehmer.
Anders als bei Schaltung, Bremsen und Kurbeln verbaut Cube mit den Laufrädern echte Premium-Teile, die keine Zweifel an den Race-Ambitionen lassen. Was wohl auch daran liegt, dass Newmen-Parts zum hauseigenen Sortiment gehören und somit nicht teuer von einem anderen Anbieter eingekauft werden müssen. Die Evolution X.A. wiegen gute 1535 Gramm, sind top verarbeitet, haben hakenlose, 25 Millimeter breite Felgen (Innenweite) und stecken “Tubeless ready” im Bike.
Die Newmen-Naben mit gut gedichteten Lagern vereinen Leichtbau und Zuverlässigkeit. Die Vorderrad-Nabe hat das übliche Boost-Maß 110 Millimeter, die Hinterrad-Nabe ist 148 Millimeter breit. Vorne wie hinten haben die Laufräder je 28 Speichen.
Auch die Reifen passen bestens zum Bike. Cube spendiert dem Elite C:62 Rookie den Race-Klassiker von Schwalbe. Das Profil des Racing Ray, der auf dem Vorderrad sitzt, ist seitlich aggressiv gestaltet, für gutes Kurvenverhalten, am Mittelsteg aber auf gutes Abrollverhalten ausgelegt. Der Racing Ralph hinten ist auf maximale Beschleunigung ausgelegt. Beide Reifen finden sich in der 29x2,25er Version und mit der schnellen Addix-Mischung am Cube. Wer wirklich die Rennstrecke im Blick hat, sollte auf Tubeless umrüsten. Die Kosten sind überschaubar und es hat von allen Tuning-Maßnahmen, die an diesem Bike möglich sind, den größten Effekt.
Soweit zur Theorie. Doch wie fährt sich der Junior-Flitzer von Cube? Erster Eindruck von Tester Tim. Das Bike geht spritzig nach vorne. Obwohl das Rad mehr als 10 Kilo wiegt, lässt es sich mühelos auf Tempo bringen. Was an der ausgewogenen Geometrie mit dem auf Vortrieb ausgelegten Sitzwinkel liegt. Die Tritte werden effektiv in Vortrieb umgesetzt. Einmal in Schwung, rollen die großen Twentyniner-Laufräder souverän über Schotter und Wurzeln. Unser Tester, sonst eher an Bikepark-Besuchen interessiert, hat sichtlich Spaß beim Zirkeln über den Trail. Der Sattel ist tiefer als der Lenker. Dennoch kurbelt Tim sportlich über die Piste, meistert problemlos kurze Steilstiche und rast quietschvergnügt die Abfahrten herunter.
Die Komponenten erweisen sich im Praxischeck als durchweg funktionell. Die Schaltung sortiert präzise die Gänge, sobald der Befehl dazu über den Shifter gegeben wird. Der lässt sich ohne viel Kraftaufwand drücken. Selbst steilere Uphills sind mit dem 30:50-Berggang keine Hürde und im Sitzen kurbelnd möglich. Die Bremshebel liegen gut in den Fingern und vermitteln ein sicheres Gefühl, während die Verzögerung der Maguras in allen Situationen top ist.
Das Cube Elite C:62 Rookie ist ein bis ins kleinste Detail durchdachtes Kids-Bike, dass nicht nur jungen Cross Country-Racern Spaß macht. Es eignet sich für anspruchsvolle Touren ebenso wie für den Renneinsatz oder Fahrten zum Baggersee. Cube liefert für 1799 Euro ein rundes Konzept für den Nachwuchs, dass dank Tubeless ready-Laufrädern und Kabelschacht für Tele-Stütze aber noch Optionen für Fein-Tuning lässt. Die Manitou-Gabel reagiert feinfühlig auf Schläge und lässt sich bei Bedarf blockieren. Der Size Split in eine Version mit 27,5-Zoll Laufrädern und eine mit 29-Zoll-Laufrädern macht Sinn, erfordert für kaufinteressierte Eltern aber eine intensive Auseinandersetzung mit der Geometrie-Tabelle. Tipp: Am besten für den Nachwuchs eine Probefahrt vereinbaren, wenn man sich nicht sicher ist, welche Größe optimal ist.
Das Bike lässt sich echt gut beschleunigen und macht richtig Spaß. Die Federgabel ist schön weich und reagiert schon auf kleine Wurzeln. Ich finde den Hebel am Lenker aber auch super, mit dem man die Federung ausschalten kann. Wenn es nicht wippt, fährt es sich auf breiten Wegen, die geradeaus gehen, viel besser. – Tim L. (11), Testfahrer