Julian Schultz
· 28.04.2025
Sind Sie es satt, sich dem mitunter gefährlichen Straßenverkehr auszusetzen? Sehnen Sie sich nach Fahrten in der Abgeschiedenheit? Wollen Sie sich vielleicht einfach nicht (mehr) auf das eine oder andere festlegen? Oder suchen Sie womöglich ein Zweitrad?
Keine Sorge: Auch wenn die Fragen vielleicht nach Werbekampagne klingen, wollen wir Ihnen hier natürlich kein Gravelbike aufschwatzen. Doch wenn Sie das Thema anspricht, lohnt ein genauer Blick auf die 13 Bikes in unserem großen Vergleichstest: Zu Preisen zwischen 1499 und 1999 Euro sind die Räder relativ günstig und können eine Alternative – oder Ergänzung – zum Straßenrenner darstellen.
Manche sind deutlicher als andere auf den Einsatz im Gelände ausgerichtet, andere mehr auf Asphalttouren getrimmt, wieder andere empfehlen sich für die epische Bikepacking-Tour, um den Abenteuerdurst zu stillen. Welches Rad sich wofür am besten eignet, enthüllen die folgenden Seiten. Nur so viel vorweg: Sie werden eine ganze Menge grundsolider und treuer Begleiter für Abenteuer und Sport kennenlernen.
Angesichts des von uns vorgegebenen Preisrahmens bis 2000 Euro rollen fast ausnahmslos Räder mit Aluminiumrahmen ins Testlabor. Zwar ist die Anschaffung eines Carbonrahmens inzwischen wesentlich günstiger als noch vor einigen Jahren, nahezu jedes wettkampftaugliche Straßenrad basiert auf dem Verbundwerkstoff.
Allerdings ist die Weiterverarbeitung zu einem fertigen Rahmen weiterhin aufwendiger und kostenintensiver als die eines Chassis aus Alu. Dessen Rohre werden in der Regel unter Druck in Form gebracht, dem sogenannten Hydroforming, und miteinander verschweißt. Dank der physikalischen Eigenschaften des Leichtmetalls ist es einfacher und günstiger, fahrstabile, verwindungssteife Konstruktionen auf die Reifen zu stellen.
Soll der Alu-Rahmen aber auch noch möglichst leicht sein, steigt der Aufwand wieder, und der Preisvorteil gegenüber Carbon schrumpft. Folglich behandeln fast alle namhaften Marken den Alu-Rahmenbau inzwischen eher stiefmütterlich und investieren kaum noch in Innovationen. Die günstigen Gravelbikes machen da keine Ausnahme.
Voluminöse Alu-Rohre machen die Rahmen fast durchweg unerschütterlich steif und fahrstabil – aber eben recht schwer. Mit durchschnittlich fast elf Kilogramm Gesamtgewicht treten die Schotterflitzer jedenfalls nicht in der Fliegengewichts-Klasse an, im Gegenteil: Die Räder werden insgesamt immer schwerer – was auch an der Gravelbike-Evolution liegt: Immer breitere Reifen, breitere Felgen, breitere Lenker und riesige Ritzel wiegen eben auch mehr.
Dass der langlebige Werkstoff Aluminium nicht zwangsläufig hohes Gewicht zur Folge haben muss, zeigt sich andererseits am Radon. Dessen Rahmen ist vergleichsweise filigran und zählt mit rund 1800 Gramm zu den leichteren Alu-Gestellen auf dem Markt. Das neue Specialized Crux DSW ist nach unserer Kenntnis das aktuell leichteste Alu-Gravelbike (Rahmen-Set 1530 Gramm, Gesamtgewicht 9,6 Kilogramm), dafür aber teurer (2700 Euro).
Neben den Rahmen-Sets haben die größtenteils einfachen Laufräder entscheidenden Anteil an den pfundigen Bikes. Die Kombi aus schlichten Alu-Felgen, breiten Stollenreifen, großer Kassette und einfachen Bremsscheiben macht bei fast allen Testrädern knapp die Hälfte des Gesamtgewichts aus. Auch innerhalb der Preisklasse eröffnen sich Qualitätsunterschiede.
Hervorzuheben sind die Laufräder bei Giant und Rose, die kaum schwerer als günstige Carbonlaufräder ausfallen. Die schweren Modelle in den Bikes von Bulls, Carver oder Megamo servieren den Tuning-Tipp hingegen auf dem Silbertablett. Brauchbare Carbonlaufräder sind ab 800 Euro erhältlich und könnten bis zu 500 Gramm Gewicht einsparen.
Auch bei Lenker, Vorbau oder Sattelstütze setzt das Gros der Hersteller auf massive Konstruktionen. Diese sind zwar unkaputtbar und halten ein ganzes Fahrradleben lang, machen sich aber auf der Waage und vor allem im Sattel bemerkbar.
Streng genommen gelingt es nur dem Cube als einzigem Modell, das Speed-Gefühl eines Rennrads auf die Schotterpiste zu übernehmen. Aus einem einfachen Grund: Der deutsche Hersteller schafft es wieder einmal, sein Bike überdurchschnittlich gut auszustatten und trotzdem mit einem leichten Carbonrahmen in den Handel zu stellen; gegenüber dem schwersten Modell im Test von Carver ist es zwei Kilogramm leichter.
Dafür ist das Carver das mit Abstand günstigste Rad. Doch auch Carvers Top-Modell, das die Frankfurter im Testzeitraum nicht vorrätig hatten, lässt wegen des vergleichbaren Set-ups eine deutliche Lücke. Bis auf das Radon kommen auch die weiteren Konkurrenten nicht an das agile Fahrverhalten des Preiskrachers von Cube heran, der mit dem niedrigen Gewicht auch teurere Modelle in den Schatten stellt.
Beim Federkomfort, der als wichtigstes Gravelbike-Kriterium mit 30 Prozent in die TOUR-Note einfließt, wechseln Licht und Schatten. Auf dem Prüfstand können zwei Räder ergiebig punkten: Das Canyon profitiert von einer flexiblen Carbonsattelstütze, das Giant von einer speziellen Alu-Version mit aufwendiger Klemmung.
Auf der Schotterpiste zehren die Räder von ihren hochwertigen Reifen, womit die meisten Modelle den geringen Rahmenkomfort ganz gut kompensieren können. Viele Hersteller wählen dafür vergleichsweise breite Gummis mit 45 Millimetern. Alle Räder rollen auf tubeless-fähigen Pneus, das komfortbetonte Giant kommt bereits ab Werk mit Dichtmilch. Die Reifen lassen sich dadurch mit weniger Druck fahren und bügeln Unebenheiten spürbar glatt.
Mit teils üppigen Reifenfreiheiten können die Bikes noch geländegängiger abgestimmt werden. Spitzenreiter ist das Giant, das dank eines verstellbaren Radstands Platz für bis zu 53 Millimeter breite Schlappen lässt. Das Focus geht noch ein Stück weiter, erfordert aber den Wechsel auf Laufräder im kleineren 650B-Format. Wichtig: Mit der Wahl breiterer Pneus ändert sich das Fahrverhalten, die ohnehin schon laufruhigen Graveler reagieren noch etwas träger auf Lenkbefehle.
Bei den Rahmengeometrien zeigt sich eine Zweiteilung in die eher komfortable oder relativ sportliche Richtung, wobei die Betonung einer vergleichsweise gestreckten Sitzposition im Test überwiegt. Wissen muss man: Die Geometrie von Gravelbikes fällt im Vergleich zum Straßenrenner grundsätzlich etwas gemäßigter aus. Selbst wettkampftaugliche Schotterfräsen grenzen sich zum Teil deutlich von aggressiven Straßenboliden ab.
Auf den meisten – auch sportlichen – Gravelbikes in unserem Test sitzt man also wie auf einem Marathonrad, womit die Hersteller ein breites Publikum im Blick haben. Wer in der Preisklasse unter 2000 Euro hingegen einen Gravel-Racer mit tiefem Lenker sucht, wird – jedenfalls von der Stange – nichts finden.
Einigkeit herrscht beim Fahrverhalten. Durch lange Radstände, flache Lenkwinkel und viel Gabelnachlauf grenzen sich die Räder klar vom agilen Straßenrenner ab und liegen satt auf Feld- oder Waldweg. Weniger routinierte Radler dürften das einfache Handling zu schätzen wissen. Besonders spurtreu steuert das Merida durchs Gelände, dessen Radstand schon fast dem eines Mountainbikes entspricht.
Breite Lenker mit ausgestellten Enden fördern die Kontrolle über das Rad ebenfalls. Der sogenannte Flare, der den Ausstellwinkel des Unterlenkers beschreibt, fällt mit Ausnahme des Rose Backroad (24 Grad) bei den meisten Rädern jedoch moderat aus. Klassische Ahead-Vorbauten sowie frei zugängliche Bremsleitungen und Schaltzüge erleichtern Wartungs- und Montagearbeiten und erlauben die relativ unkomplizierte Anpassung der Sitzposition.
Dass man trotz des bewährten Systems nicht zwangsläufig auf eine moderne, aufgeräumte Optik verzichten muss, zeigt rund die Hälfte der Modelle. Bei Cube, Focus, Merida, Ridley, Rose und Scott werden die Kabel unter dem Vorbau ins Steuerrohr geführt, wodurch die Räder teureren Versionen mit integrierten Lenker-Vorbau-Einheiten ähnlich sehen.
Auch bei der Getriebewahl unterscheidet die günstigeren Räder auf den ersten Blick wenig von den Top-Modellen. Bis auf das Megamo ist an alle Räder Shimanos gravelspezifische GRX-Schaltgruppe geschraubt. Da sich hinter dem Kürzel allerdings ein Wust an Einzelteilen unterschiedlicher Qualität verbirgt, die wild kombiniert werden können, ergeben sich doch teils deutliche Unterschiede in der Performance.
Einigkeit herrscht in dem Punkt, dass die Gänge mechanisch gewechselt werden. Bei Schaltwerk und Kassette dominieren aktuelle Zwölffach-Versionen; immerhin fast ein Drittel der Testräder ist aber noch mit älteren Zehn- oder Elffach-Ritzelpaketen ausgestattet; die Kurbelgarnituren sind mit einem oder zwei Kettenblättern anzutreffen und entstammen durchweg der einfachsten, dafür aber auch etwas schwereren Produktlinie.
Die Antriebe mit Zweifach-Kettenblatt bieten ein größeres Übersetzungsspektrum mit kleineren Sprüngen zwischen den Gängen. Die Übersetzungen sind an allen Rädern auch für Einsteiger und weniger trainierte Gravelbiker tauglich und bieten Reserven für steile Anstiege. Vorteil der Ein-Kettenblatt-Technik ist die einfachere Bedienung, außerdem ist sie weniger fehleranfällig und wartungsärmer als Schaltungen mit zwei Kettenblättern und Umwerfer.
Die Gravelbikes im Test sind eine solide Basis für Abenteuer und Touren auf und abseits asphaltierter Wege; viele lassen sich zudem unkompliziert zu einem Reise- oder Pendlerrad aufrüsten und bewähren sich als robuste Allrounder.
Aber kein Vorteil ohne Nachteil: Riesige Mountainbike-Kassetten wie am Carver, Cube, Megamo und Radon kompensieren zwar das fehlende zweite Kettenblatt; die extreme Untersetzung im kleinsten Gang ist für typische Gravelbike-Touren aber zu krass. Hinzu kommen die teils sehr großen Sprünge von Gang zu Gang. Das führt zu großen Unterschieden in der Trittfrequenz beim Gangwechsel und kann beim gleichmäßigen Pedalieren stören.
Die Bremsen sind im besten Sinne solide; dass man mit den überwiegend einfachen Hebeleien die Bremsleistung etwas weniger genau dosieren kann als bei den Top-Modellen, merkt man nur im direkten Vergleich. Kritisieren darf man, dass an allen Rädern einfache Stahl-Bremsscheiben montiert sind, die bei Dauerbremsungen unter Volllast überhitzen und Leistung verlieren können. Einzig Merida und Rose ernten in dieser Disziplin dank riesiger 180-Millimeter-Scheiben am Vorderrad Top-Noten.
Die 13 Gravelbikes im Test sind eine solide Basis für Abenteuer und Touren auf und abseits asphaltierter Wege; viele lassen sich zudem unkompliziert zu einem Reise- oder Pendlerrad aufrüsten und bewähren sich im Alltag, auf der Feierabendrunde oder bei der Urlaubstour mit Gepäck als robuste Allrounder.
Wer angesichts des Rennlenkers auch auf sportliche Talente hofft, könnte indes etwas enttäuscht sein, denn Leichtfüßigkeit und Spritzigkeit sind keine Kerntugenden der vergleichsweise schweren Bikes – ausgenommen das Cube Nuroad, dessen Carbonrahmen sich am Ende doch als Trumpf im Wettstreit um den Testsieg erweist.