Timo Dillenberger
· 09.05.2024
Es fährt sich wie ein ganz normales Rad! Wenn diese gerne von Marketingmenschen gebrauchte Aussage für irgendeinen Typ Pedelec zutrifft, dann am ehesten für Renn- und Gravelbikes mit Motor. Das klingt paradox, schließlich sind das die leichtesten Player im E-Bike-Zirkus. Ihnen Motor und Akku aufzuladen, sollte doch gerade Handling, Agilität und nicht zuletzt Optik stören? Aber das haben auch die Hersteller erkannt und quetschen eben nicht alles technisch Mögliche in so ein Rad, sondern halten es mit der Tugend der Mäßigkeit.
Gerade weil die Fahrphysik eines solchen Sportlers empfindlicher ist als die eines schweren Downhillbikes oder SUVs und weil das zackige Handling eines leichten Renners den Großteil des Fahrspaßes bringt, macht man lieber Abstriche bei Maximalpower, Steuerungs-Schnickschnack und Akkukapazität. Unter unseren handverlesenen E-Gravelbikes aus einem anderen Test finden wir verhältnismäßig leichte Pedelecs, und es gibt die Modelle, die kaum schwerer sind als ein Mittelklasse-Biobike. Genau hier setzen wir an. Wir wollten nämlich wissen, wie groß oder klein denn nun der Unterschied zwischen Gravel und E-Gravel ist.
Damit das nicht zum Vergleich Kerze gegen Glühbirne wird, haben wir nach einem Paar gesucht, das bis auf den Antrieb möglichst identisch ist. Fündig geworden sind wir bei der Carbon-Edelschmiede Storck. Das Storck Grix.2 und e:Grix sind nicht baugleich, aber ihre Rahmengeometrie ist bis auf den Millimeter gleich, und auch der Q-Faktor, der horizontale Abstand der Füße beim Treten, ist identisch.
Das e:Grix verfügt nämlich über den X20-Heckmotor von Mahle mit 55 Nm Drehmoment. Der macht Modifikationen am Tretlager unnötig. Der größte Unterschied liegt in den eineinhalb Kilo Mehrgewicht, konzentriert an der Hinterradnabe. Noch ein gutes Pfund kommt im Unterrohr des Rahmens dazu. Die Aerodynamik der nur minimal dickeren Rohre am Pedelec ist zu vernachlässigen. Den kompletten Vergleich kann man also herunterbrechen auf die Frage: Wie sehr beeinflussen Mehrgewicht und Gewichtsverteilung die Fahreigenschaften negativ, und steht das im Verhältnis zum Gewinn an Dynamik durch den Motor? Und in welche Richtung schlägt das Pendel aus in Sachen Fahrspaß?
Der Faktor Mensch im Duell war ich. Meine technischen Eckdaten sind bekannt. “Rahmenhöhe”, Gewicht, Leistung im Dauerbetrieb, maximale Power, Herzfrequenzen bei Langstrecken und höchsten Anstrengungen: Als ambitionierter Radsportler kenne ich meine Werte, wobei ich bei solchen Testgeschichten immer auch andere Fahrertypen simuliere, also versuche, so zu fahren wie Leser mit mehr Power und fahrerischen Fähigkeiten aber auch wie absolute Einsteiger.
Die Testrunde, auf der das Duell stattfinden sollte, war deshalb auch weder übertrieben lang noch extrem fordernd – eine abwechslungsreiche Runde durchs Bergische Land mit viel Gravelanteil, recht wenig Straßen, ein paar knackigen Anstiegen und technischen Passagen, typische Sonntagmorgen-Runde. Die Reichweite im Diagramm unten ist keine gemessene, sondern eine realistisch geschätzte Größe, der Wert ist viel zu abhängig von äußeren Faktoren.
Die Duell-Runde war meine erste Fahrt auf dem e:Grix, andere Gravelbikes mit Motor hatte ich schon ausprobiert, aber gerade durch den Heckmotor war ich hier sehr überrascht von der Natürlichkeit des Fahrgefühls. Bis ins Bergische geht es flach raus, außer an Ampeln und Kreuzungen bin ich gar nicht im Pedelec-Modus gefahren. Beide Räder gehören zu den echten Sportlern, mal abgesehen vom Leichtbau ist die Sitzposition knackig. Man hat in jeder Griffhaltung eine deutlich vorgeneigte Haltung und so guten Druck am Pedal. Das, etwas Rückenwind und die smarten Reifen - die Tachonadel schnellte jedes Mal über die Grenze, auf der sich der Antrieb deaktivieren muss.
Den katapultähnlichen Start an Ampeln von Stadtpedelecs hab ich nicht vermisst. In kleinster Stufe geht das e:Grix schon echt gut voran. Beim Storck Grix.2 unterscheiden sich davon nur die ersten zwei, drei Tritte. Weil es noch leichter ist, ist die Beschleunigung ähnlich beeindruckend, einmal in Tritt verliert man pro Ampel gegen das E-Bike zwei Sekunden – und vielleicht noch eine beim nächsten Anhalten, vielleicht ist es auch Einbildung, aber man spürt minimal die Extrakilos im Heck. In den Kurven ist das weniger Thema. Hier kommt dem e:grix sein Heckmotor zugute, das Vorderteil ist ohne Extramasse und lenkt sich genauso flott in die Kurven. Wenn überhaupt, spürt man den Unterschied bei sehr schnellen Richtungswechseln.
Den großen Unterschied macht der Mahle-Motor erst an Steigungen und in tiefem Sand. Hier fällt einiges an Anstrengung weg, logisch. Was nicht passiert ist, dass man deutlich schneller fährt. Intuitiv nutze ich meine Energie eher für eine saubere Fahrlinie und trete eben nicht so hart es geht ins Pedal, beim Storck Grix.2 macht das zwar Spaß, sich voll auszupowern, mit Motor und maximaler Tretleistung würde das Tempo fast ein bisschen schnell.
Obwohl ich mich in einer Art “Rennsituation” befunden habe, ohne groß drüber nachzudenken, habe ich den Antrieb eher zur Entlastung eingesetzt als zum Zeitgewinn. Und: zum Komfortgewinn! Weil man über Stock und Stein grundsätzlich angenehmer sitzt, wenn man einen schwereren Gang tritt, waren die großen Ritzel des E-Bikes fast arbeitslos. Über die Wurzel in den Bergischen Wäldern möchte ich das als absoluten Bonus ausloben. Beim Grix.2 musste ich dafür öfter aus dem Sattel gehen.
Die Daten aus der Runde machen ein Fazit quasi überflüssig. Es fällt auf, dass ich trotz deutlich mehr Leistung und zusätzlicher Energie aus dem Akku kaum schneller war. Und das lag nicht daran, dass man mit dem e:Grix in Kurven oder Abfahrten Zeit verliert. Einen echten Zeitgewinn brächte der Antrieb nur, wenn man sich zwingt, ihn möglichst oft einzusetzen. Aber so zu fahren – sehr krampfhaft! Nutzt man den Motor intuitiv, sinkt einfach die Anstrengung um ein Level ab. Meine deutlich niedrigere Herzfrequenz spricht Bände. Und das lag nicht daran, dass ich mich mit dem e:Grix geschont hätte, der Maximalpuls ist ja ähnlich.
Die Fahrleistungen mit und ohne Motor sind so ähnlich wie die technischen Daten, das Pedelec bügelt nur da, wo es wirklich anstrengend wird, die Pulslinie ist etwas flacher. Das Bergische verfügt nicht über richtig lange Berge, da hätte das Pedelec wahrscheinlich mehr Zeit rausgeholt. Bleibt noch der Funfaktor. Welches Bike würde ich mir kaufen? Vor dem Duell hätte ich klar gesagt: das Storck Grix.2. Nachher sah das anders aus. Sein Vorsprung war knapp, beruhte eher auf meiner persönliche Neigung, mich zumindest noch gerne zu schinden. Ich kann mir aber absolut vorstellen, dass das mal anders sein wird oder bei vielen eher gesundheitsorientierten Bikern anders ist. Und dann ist der höhere Preis auch eine gute Investition.