Das Scott Scale Gravel wirkt für eingefleischte Cross-Country-Fans vertraut. Der schnittige Carbon-Rahmen ist derselbe, wie er auch für den Mountainbike-Einsatz verkauft wird. Allerdings steckt im Steuerrohr des Scales eine Starrgabel und der Namenszusatz “Gravel” will den neuen Einsatzbereich festlegen. Alles nur ein cleverer Marketing-Trick, um die Lager von Altbeständen zu befreien oder am Ende tatsächlich ein genialer Schachzug?
Im direkten Vergleich zu neun klassischen Gravelbikes mit Dropbar geht das Scott Scale Gravel 10 als Underdog ins Rennen. Mit einen Preis von 2799 Euro kostet es teilweise weniger als die Hälfte der Test-Konkurrenz. Zu diesem Kurs braucht sich auch das Gewicht von 10,9 Kilo nicht verstecken. An der Starrgabel kann Gepäck montiert werden. Das zulässige Gesamtgewicht beträgt 120 Kilo. Anders als bei vielen Gravelbikes können am Rahmen selbst nur zwei Flaschenhalter montiert werden.
Scott bietet das Scale Gravel in drei Ausstattungsvarianten und vier verschiedenen Rahmengrößen (S / M / L / XL) an. Zwischen 1399 und 4899 Euro müssen für das Carbon-Gravelbike auf MTB-Basis investiert werden. Sodass der Einstiegspreis im Vergleich mit konventionelle Gravelbikes absolut konkurrenzfähig ausfällt. Fürs Modelljahr 2026 hat Scott den Preis aller Modelle übrigens nochmals um 100 Euro gesenkt. Unser Testbike der Generation 2025 trägt die Modellbezeichnung Scott Scale Gravel 10, kostet 2799 Euro und zeichnet sich durch folgende Ausstattung aus:
Bei BIKE betreiben wir einen beispiellosen Aufwand, um Fahrräder zu testen. Als einziges Fachmagazin weltweit betreiben wir ein eigenes Testlabor. Die ermittelten Daten stützen die Eindrücke aus dem Praxistest. Auch bei den Geometriedaten verlassen wir uns nicht ausschließlich auf die Herstellerangaben, sondern setzen selbst das Lasermessgerät an.
Geht das Scott Scale Gravel Hardtail denn nun wirklich als Gravelbike durch? Was auf den ersten Blick exotisch erscheint, ist gar nicht so abwegig. Zumindest im Ultra-Cycling-Bereich der Gravel-Szene setzen immer mehr Fahrer aufs Mountainbike. Geometrie und Reifen versprechen weniger körperliche Belastung auf langen Fahrten, ohne zu große Kompromisse bei Gewicht und Sportlichkeit eingehen zu müssen.
So stellte Robin Gemperlein an Bord des Scott Scale Gravel kürzlich einen neuen Rekord auf der prestigeträchtigen Tour Divide auf und raste in weniger als zwölf Tagen auf groben Schotterpisten vom kanadischen Banff bis zum Grenzzaun zwischen den USA und Mexiko. Allerdings montierte der Schweizer eine MTB-Federgabel mit 110 Millimetern Puffer und aus aerodynamischen sowie ergonomischen Gründen einen Gravel-Lenker.
Auf dem Scott Scale wurden bereits Mountainbike-Worldcups gewonnen. Aus dem klassischen MTB-Renngeschehen sind Hardtails inzwischen jedoch flächendeckend durch Fullys abgelöst worden. Gelingt die Wiedergeburt auf Gravel? Zumindest in Sachen Handling kann dem Scott keines der konventionellen Gravelbikes das Wasser reichen. Während bei diesen das gedachte Lot von der Griffposition zum Boden durch einen weit nach vorne ausladenden Lenker vor der Vorderradachse liegt, greifen die Hände am Flatbar des Scotts dahinter. Die Folge: eine direkte Steuerung und deutlich weniger Überschlagsgefühle in der Abfahrt.
Dort wo Bikes mit Dropbar längst ihre Limits erreicht haben, macht das Hardtail noch richtig Spaß. Richtungswechsel leitet das Scale trotz langem Radstand mühelos ein und sobald das Gefälle nur etwas größer wird, spielt das Sicherheitsempfinden in einer eigenen Liga. Auch ein breiter Lenker, fette Reifen mit viel Grip, ein langer Reach und ein flacher Lenkwinkel zahlen auf diese Stärke ein. Leider reichen am preiswerten Modell 10 eine dicke Alu-Stütze und ein steifer Alu-Lenker viele Stöße weiter und der Komfort fällt trotz Breitreifen mäßig aus. So oder so: Selbst in der Ebene und bergauf fühlt sich die Handhabung des Bikes jederzeit souveräner an, als bei der Konkurrenz.
Im Vergleich zu den Mitstreitern kommt das Scott nur schwer aus dem Quark. Die breiten MTB-Schlappen sitzen auf den Laufrädern ganz außen und fallen bei der Trägheit besonders ins Gewicht. Hinzu kommt, dass ein besonders günstiger Laufradsatz verbaut wird. Über die Hälfte des Gesamtgewichts entfallen auf die Laufräder. Durch ein Upgrade auf einen premium Tubeless-Satz ließen sich rund 1,8 Kilo an rotierender Masse sparen. Das sind Welten! So aber setzt sich das Gravel-Hardtail nur langsam in Bewegung. Zu allem Übel besitzt der minderwertige Freilauf nur wenige Rasterungen, kann keinen direkten Antritt bieten und wies nach kurzem Testzeitraum bereits Spiel auf. Dem leichten, qualitätvollen Carbon-Chassis wird diese Sparmaßnahme nicht gerecht!
Selbst wenn das Rad mal rollt, wird es im Vergleich zu Bikes mit Rennlenkern stärker durch den Luftwiderstand ausgebremst. Rund. 75 Prozent davon entfallen auf den Fahrer, welcher sich am Flatbar nicht ganz so tief in den Wind ducken kann. Zum Glück hat Scott seine Hausaufgaben gemacht und montiert ab Werk sogenannte Innerbarends. Durch die Hörnchen an der Griffinnenseite lässt sich der Löwenanteil des Nachteils kompensieren.
Trotzdem kostet das Hardtail vor allem bei schnellen Fahrten jenseits der 25 Kilometer pro Stunde bedeutend mehr Körner. Insgesamt betrachtet besitzt das Scale Gravel ebenso viele Nach- wie Vorteile. Wie wichtig die einzelnen Argumente für Biker sind, entscheidet der individuelle Einsatzbereich. Aktuell ist Scott der einzige große Hersteller mit einem solchen Komplettbike. Wir sagen: Mehr davon!
Ich bin ein großer Fan von Starrgabel-Hardtails! Das Scott Scale Gravel ist sportlich, preisattraktiv und schreckt vor keiner Gravel-Piste zurück. Leider werden in dieser Ausstattungsvariante die schweren Laufräder und der maue Komfort dem Konzept nicht wirklich gerecht. Handling und Sicherheitsgefühl am Flatbar übertrumpfen so oder so jedes konventionelle Gravelbike. - Jan Timmermann, BIKE-Redakteur