Jan Timmermann
· 04.09.2025
Schon lange bevor der Bikepacking-Trend nach Europa schwappte und Gravelbikes die Radwege der deutschen Innenstädte eroberten, vertrauten gestandene Abenteuer auf das Salsa Cutthroat. Das Ami-Bike ist so etwas, wie der Urgroßvater der Langstrecken-Bikes mit Dropbar und Gelände-Eignung. Zur Entwicklung wurde die Traditionsmarke Salsa durch die Tour Divide Route inspiriert. Ein einzigartiger Bikepacking-Klassiker mit rund 4500 Kilometern und 50.000 Höhenmetern quer durchs Hinterland des amerikanischen Kontinents von Banff in den kanadische Rocky Mountains bis zur Grenze zwischen den USA und Mexiko. Bestzeiten-Rekorde werden auf diesem Track heute auf Mountainbike-Hardtails mit Federgabel und Rennlenker aufgestellt. Im Test wollten wir herausfinden, ob sich das Cutthroat seine Daseinsberechtigung erhalten hat und wie sich der erfahrene Spezialist gegen die bunte Riege der jungen Konkurrenten schlägt.
Das Salsa Cutthroat ist darauf ausgelegt seinen Piloten fernab der Zivilisation durch jedes Gelände zu tragen. Um Abenteurer auch auf herausfordernden Untergründen nicht hängen zu lassen, besitzt der Carbon-Rahmen eine beeindruckende Matsch- und Reifenfreiheit.
Der Hinterbau nimmt bis zu 2,4 Zoll breite Mountainbike-Reifen im großen 29-Zoll-Maß auf. In die überbreite Gabel passen gar 3,0 Zoll fette Reifen, um im Schnee und auf Sanddünen nicht einzusinken. Platz schafft das aus dem MTB-Bereich bekannte Boost-Maß an den Steckachsen. Sogar mit einer richtigen Mountainbike-Federgabel mit 100 Millimetern Federweg wäre der Rahmen kompatibel. Auch eine Dropper-Post passt theoretisch ins Chassis.
Um aus rauen Bedingungen schadenfrei hervorzugehen, ist der Rahmen mit dem mächtigsten Unterrohr-Protektor des Testfeldes geschützt. Salsa gibt das Cutthroat für die ASTM-Kategorie Drei frei. Damit sprechen sich die Amerikaner für eine wildere Eignung aus, als die meisten anderen Gravelbikes. Abgedeckt sind zum Beispiel Drops bis zu 61 Zentimetern Höhe. Einzig das verpresste Tretlager passt in unseren Augen nicht unbedingt zum robusten, servicefreundlichen Ansatz.
Wer sich wochenlang durch die Walachei schlägt, will bequem sitzen. Deshalb verpasst Salsa dem Cutthroat ein System namens “Class 5 VRS”. Das spezielle Design der Sitz- und Kettenstreben soll ermüdende Vibrationen reduzieren und trotzdem eine gute Steifigkeit aufweisen. So verzichtet man zum Beispiel auf einen Quersteg zwischen den Sitzstreben und lässt das Material auf voller Länge flexen.
Das Cutthroat bietet mit seinem enormen Freiraum zwischen den Rohren Platz für eine riesige Rahmentasche. Diese lässt sich bei Bedarf ebenso wie eine Tasche auf dem Oberrohr fest verschrauben. Salsa bietet auf der Homepage einen vorbildlichen Guide an, um die passenden Taschen zu finden. Vier Flaschen passen ohne Spezialzubehör an den Rahmen. Das System ist für bis zu 160 Kilo Gesamtgewicht ausgelegt. So viel Zuladung darf kein anderes Bike im Vergleich aufnehmen.
Salsa bietet das Cutthroat C in fünf Ausstattungsvarianten und in fünf verschiedenen Rahmengrößen (52 / 54 / 56 / 58 / 60) an. Zwischen 3499 und 5999 Euro müssen für ein Komplettbike von der Stange investiert werden. Das 7999 US-Dollar teure Topmodell ist dem amerikanischen Markt vorbehalten. Individualisten können sich dank des für 2499 Euro ebenfalls angebotenen Rahmensets ihr persönliches Traumbike aufbauen. Unser Testbike trägt die Modellbezeichnung Salsa Cutthroat C GRX 1x und zeichnet sich durch folgende Ausstattung aus:
Bei Delius Klasing betreiben wir einen beispiellosen Aufwand, um Fahrräder zu testen. Als einzige Fahrradredaktion weltweit betreiben wir ein eigenes Testlabor. Die ermittelten Daten stützen die Eindrücke aus dem Praxistest. Auch bei den Geometriedaten verlassen wir uns nicht ausschließlich auf die Herstellerangaben, sondern setzen selbst das Lasermessgerät an.
Das Salsa Cutthroat zeichnet sich durch eine einzigartige Geometrie-Kombi aus. Galt der Reach von 391 Millimetern in Größe 58 lange Zeit als progressiv-lang, wird er heute nur noch vom Radon Tigard unterboten. Dafür liegt der Stack-Wert hoch. Zusammen mit dem kurzen Vorbau bringt das den Fahrer in eine aufrechte, komfortable Sitzposition. Von einer sportlichen Streckbank á la Marin Headlands ist das Salsa weit entfernt.
Stattdessen ist die Geometrie klar auf lange Sitzzeiten bei ausschweifenden Touren ausgelegt. Zusätzlicher Komfort kommt von den breitesten Gravel-Reifen in der Vergleichsgruppe. Viele Vibrationen und kleine Schläge verschwinden einfach in den Gummis. Den Vorteil des Flex-Hinterbaus dagegen konnten wir auf unserem Laborprüfstand nicht ausmachen. Auch aufgrund der steifen Alu-Sattelstütze liegt der gemessene Sitzkomfort deutlich unter dem des ebenfalls mit einem Flex-Element ausgestatteten Pivot.
Auch vom überbreiten Cockpit kommt kein Komfort-Vorteil. Der mit Abstand breiteste Lenker im Testfeld ist steif konstruiert und bietet durch seinen großen Hebel keinen messbaren Vorteil bei der Ermüdungs-Reduktion. Dafür findet sich an der Front Platz für eine sehr große Lenkerrolle. Die klassische Zugverlegung ist so ausgeführt, dass ein entsprechender Harnisch problemlos montiert werden kann.
Das Lenkerband ist weit bis nach innen gewickelt, sodass sich am mächtigen Bügel Unmengen an Griffpositionen finden lassen. Das Cutthroat ist quasi “Adventure-ready out of the box”. In hochprozentigen Anstiegen und bei technischen Klettereien helfen die leichten Gänge der MTB-Kassette und des kleinen Kettenblatts. Apropos: Durch die längsten Kettenstreben im Test klettert das Salsa richtig gut. Selbst an steilen Rampen kann man entspannt im Sattel sitzen bleiben ohne dass das Vorderrad leicht wird.
Nicht wegdiskutieren lässt sich jedoch leider das höchste Gesamtgewicht der Peergroup. Knappe drei Kilo mehr hat der Bikepacking-Experte im Vergleich zu den leichtesten Bikes der Testgruppe auf den Carbon-Rippen. Vom MTB-Hardtail Scott Scale mal abgesehen, besitzt es zudem die trägste Laufradbeschleunigung. Das Gewicht der einfachen Laufräder ist sogar auf Augenhöhe mit dem einiger Enduro-Mountainbikes.
So viel steht fest: Das Cutthroat mag es lieber gemütlich als schnell. Agilität gehört per se nicht zu seinen Stärken. Allerdings kommen das kompakte Oberrohr und der kurze Vorbau dem Handling wiederum zu gute. Gemeinsam mit dem besonders flachen Lenkwinkel und den breiten Reifen lässt sich das Salsa in technisch anspruchsvollen Passagen deshalb gut in der Ideallinie platzieren.
So viel Fahrsicherheit bringt auf ausgesetzten Waldwegen und Singletrails sonst nur ein Mountainbike. Besonders in steilen und schnellen Downhills liegt das Bike wie ein Brett. Der extrem breite Lenker hilft bei Geradeauslauf mit der Kontrolle. In langsamen Kurven ist der große Hebel in Paarung mit dem langen Heck gewöhnungsbedürftig. Dann braucht das Salsa für den Richtungswechsel auffällig viel Nachdruck.
Die Strecke der Tour Divide ist so lang, dass sie jedes Jahr aufgrund von Naturereignissen wie Waldbränden und Erdrutschen angepasst werden muss. Und auch wir kamen auf dem Cutthroat während unseres Tests in einen heftigen Sturm. Nach Minuten stand das Regenwasser knöchelhoch. Das Salsa ließ sich davon nicht beirren und zog weiter seine Bahnen.
Zum Sorglos-Ansatz passt auch, dass die Schaltung via mechanischem Seilzug angesteuert wird. Allerdings hatte der dreidimensional bewegliche Brems-Schalthebel an unserem Testbike dermaßen viel Spiel, dass er in ruppigen Downhills keinen wirklich stabilen Griff bot. Insgesamt ist das Cutthroat C GRX 1x vernünftig aber nicht gerade edel ausgestattet.
Das Salsa Cutthroat ist das Expeditionsmobil unter den Gravelbikes: Perfekt für Abenteuer in abgelegenen Winkeln der Erde, deplatziert beim Ortsschild-Sprint und für den Weg zur Arbeit nicht die schnellste Wahl. Der Bikepacking-Klassiker ist eine Benchmark in Sachen Fahrstabilität auf langer Tour, für die kurzweilige Hatz gegen die Uhr aber zu schwer und zu träge. - Jan Timmermann, BIKE-Redakteur