Julian Schultz
· 21.04.2025
Eigenständig, modern, hochwertig: Mit diesen drei Attributen vollzog Carver vor einem Jahr einen Neustart. Die langjährige Eigenmarke des Händlerverbunds Fahrrad-XXL koppelte sich zum 25. Firmenjubiläum vom Handelsriesen ab, tritt seitdem als Direktversender auf, ist aber weiterhin auch in den XXL-Radläden zu finden. Das Portfolio wird von motorisierten Mountainbikes und Trekkingrädern dominiert, seit vergangenem Winter stehen aber auch Gravelbikes im Onlineshop. Das Gravel 220 1by nimmt den Platz als Mittelklassemodell ein. Der Rahmen unseres Testrades ist einer der ersten, der aus Asien geliefert wurde.
Wie vergleichbare Konkurrenten aus der Preisklasse unter 2.000 Euro verfolgt auch das Carver den Ansatz als eierlegende Wollmilchsau. Im Gegensatz zu zwei vollausgestatteten Varianten gibt sich das 220 1by eher sportlich und soll „Langstrecken, technische Trails oder schnelle Schotterpassagen“ unter die Stollenreifen nehmen können, so der Frankfurter Hersteller. Nach unseren Tests im Labor und Gelände würden wir das Bike als ebenso alltags- wie reisetauglichen Begleiter einstufen.
Maßgeblich dafür ist das Gewicht: Mit 11,3 Kilogramm ist das Carver das schwerste Rad in unserem Vergleichstest, nicht zuletzt die einfachen Alu-Laufräder drücken auf die Waage und berauben das Gravel 220 1by seiner Leichtfüßigkeit. Der zu beschleunigende Ballast macht sich speziell aus engen Kurven heraus bemerkbar. Im Lenkverhalten orientiert sich die Neuheit an typischen Bikepacking-Rädern, die auf einen ruhigen Geradeauslauf getrimmt sind und sich auch in ruppigem Terrain vergleichsweise sicher fahren lassen. Bei der Rahmengeometrie bricht das Carver dagegen etwas aus und zeigt sich von seiner sportlichen Seite, da es Fahrerin oder Fahrer in eine vergleichsweise gestreckte Sitzposition bringt.
Durch den großen Abstand zwischen Ober- und Unterlenker, den sogenannten Drop, wird die durchaus rennmäßige Haltung zusätzlich betont. Beim Federkomfort zeigt das Gravel 220 1by Licht und Schatten. Planierte Feld- und Waldwege steckt das Rad ohne Probleme weg, abseits ausgefahrener Pfade kann es allerdings speziell am Lenker ruppig werden. Für mehr Komfort lassen sich die Reifen entweder mit Dichtmilch statt Schlauch fahren, oder man justiert mit breiteren Pneus nach. Zwar reizen die montierten, nominell 45 Millimeter breiten Gummis die maximale Reifenfreiheit bereits aus; da sie auf den einfachen Aluminiumfelgen jedoch deutlich schmaler ausfallen, bleibt noch Spielraum.
Insgesamt deuten die schnellen Noppenreifen darauf hin, dass sich das Carver nicht ausschließlich auf den Geländeeinsatz beschränken will, sondern auch als zuverlässiger Alltagsbegleiter auf Asphalt reüssieren möchte. Anschraubpunkte für feste Schutzbleche und Gepäckträger zeugen ebenfalls davon. Zudem ist die Carbongabel mit einem integrierten Kabelkanal für den Einsatz eines Nabendynamos gerüstet. Bereits ab Werk bietet Carver zwei vollwertige Commuter an, die aufgrund der Zusatzausstattung allerdings noch deutlich schwerer ausfallen.
Da das Top-Modell von Carver (für 1800 Euro) nicht lieferbar war, nimmt das Gravel 220 1by im Testfeld den Platz des günstigsten Bikes ein. Im Gegensatz zu den anderen Modellvarianten kommt es mit Einfach-Kurbel und bergtauglicher Mountainbike-Kassette, die Sprünge zwischen den Gängen sind jedoch entsprechend groß.
Gewicht (25 Prozent der Gesamtnote): Für die Bewertung zählt das gewogene Komplettradgewicht in der einheitlichen Testradgröße 56–57 Zentimeter. Wir weisen zur Orientierung auch die Laufradgewichte aus. Die Notenskala ist so gelegt, dass die Note 1,0 technisch erreichbar ist: Für Gewichte unter 7,5 Kilogramm vergeben wir die Bestnote.
Komfort Heck (20 Prozent): Ein Maß für die Nachgiebigkeit bei Fahrbahnstößen, gemessen im TOUR-Labor. Es wird ein Federweg bei Belastung der Sattelstütze gemessen. Der Messwert korreliert sehr gut mit den Fahreindrücken und dem Komfortempfinden. Gute Noten bedeuten auch eine ordentliche Fahrdynamik, die sich auf schlechten Straßen und im Gelände positiv auf die Geschwindigkeit auswirkt.
Komfort Front (10 Prozent): Analog zum Heck wird die Verformung des Lenkers unter Last ermittelt. Eine gute Note bedeutet viel Federkomfort, was die Hände auf langen Touren entlastet. Starke Sprinter, die viel Steifigkeit wünschen, sollten aber eher auf einen steifen Lenker achten.
Frontsteifigkeit (10 Prozent): Wichtige Größe für die Lenkpräzision und das Vertrauen ins Rad bei hohem Tempo, ermittelt im TOUR-Labor. Es wird eine Gesamtsteifigkeit am fahrfertig montierten Rahmen-Set ermittelt, also inklusive Gabel. Die Steifigkeitswerte werden gedeckelt. Ziel sind nicht unendlich steife, sondern ausreichend fahrstabile Rahmen.
Tretlagersteifigkeit (10 Prozent): Verrät, wie stark der Rahmen bei harten Tritten, zum Beispiel im Sprint, nachgibt. Diese Messung findet ebenfalls im TOUR-Labor statt, mit einer realitätsnahen Aufspannung, bei der sich der Rahmen wie im Fahrbetrieb verformen kann.
Schaltung (5 Prozent): Die Schalteigenschaften werden im Fahrtest ermittelt. Bewertet wird nicht der Preis oder die Qualitätsanmutung einzelner Komponenten, sondern ausschließlich die Funktion des gesamten Getriebes. Dabei spielen das Gangspektrum, aber beispielsweise auch die Zugverlegung, die Qualität der Züge und die montierte Kette eine Rolle.
Bremsen (5 Prozent): Ähnlich wie beim Schalten zählt auch hier der Test auf der Straße, es fließen zusätzlich die Erfahrungen aus unseren unzähligen Tests von Bremsen mit in die Bewertung ein. Dabei wird nicht das Bauteil selbst, sondern die Funktion als Zusammenspiel von Bremskörper, Belägen und Scheiben bewertet: Wie gut lassen sich die Bremsen modulieren? Wie standhaft sind die Bremsen, wie reagieren sie bei Hitze oder Nässe, wie lang sind die Bremswege?
Reifen (5 Prozent): Bewertet werden Rollwiderstand und Grip – soweit bekannt aus einem unserer unabhängigen Reifentests oder anhand des Fahreindrucks. Die Reifenbreite hat auf die Bewertung keinen Einfluss, denn das ist eher eine Frage persönlicher Präferenzen.
Lack (5 Prozent): Der TOUR-Lacktest simuliert Steinschlag und erlaubt eine Aussage über die Haltbarkeit der schützenden Deckschicht. Ein Meißel simuliert Steinschlag oder Kettenschlagen. Beginnend bei zehn Zentimetern Höhe, wird um je zehn Zentimeter gesteigert, bis der Lack nachgibt oder die maximale Fallhöhe von 50 Zentimetern erreicht ist.
Wartung/Einstellung (5 Prozent): Bewertet wird, wie einfach sich ein Rad warten und einstellen lässt. Notenabzüge gibt es beispielsweise für benötigte Spezialwerkzeuge, besonders aufwendige Detaillösungen, herstellergebundene Komponenten oder Wartungsarbeiten, die sich nur in Fachwerkstätten durchführen lassen. Die Gesamtnote wird arithmetisch aus den prozentual unterschiedlich gewichteten (Prozentangaben in Klammern) Einzelnoten gebildet. Sie bringt vor allem die sportlichen Qualitäten des Rades zum Ausdruck.