Denkt man hierzulande an die Schweiz, kommen einem unweigerlich erstklassige Schokoladen, feinste Käsesorten oder hochpräzise Uhren in den Sinn. Die Eidgenossenschaft hat aber noch mehr zu bieten. Genauer gesagt die Bicycle Manufacturing Company, kurz BMC: Aus dem kleinen Städtchen Grenchen rollten in jüngerer Vergangenheit immer wieder Rennräder mit innovativen Ideen auf den Markt. Das aktuellste Beispiel ist das neue Urs, das 2019 debütierte und die Tradition als abenteuerlustiges Gravelbike konsequent fortschreibt. Auch das Kaius, ein ausgewiesener Experte für schnelle Schotterfahrten, nimmt seit seiner Vorstellung 2022 eine Vorreiterrolle ein. Warum? Das zeigt unser Doppeltest der jeweiligen Top-Modelle.
Performance trifft auf Exploration: Die hauseigene Einordnung der beiden Gravelbikes bringt es auf den Punkt, schließlich verläuft zwischen den Kandidaten eine dicke Trennlinie. Das Kaius 01 LTD versteht sich auf der einen Seite als astreine Rennmaschine, die auch auf Asphalt eine schnelle Gangart erlaubt und so manchem Straßenrad davonfährt. Auf der anderen Seite schlägt das Urs 01 One ein etwas gemütlicheres Tempo an und lädt Fahrerin oder Fahrer letztlich zu einem Offroad-Abenteuer in unwegsamem Gelände ein.
Wie bei unserem ersten Test des BMC Kaius 01 One zaubert auch die fast baugleiche LTD-Version unseren Testfahrern ein breites Grinsen ins Gesicht. Sportlich-ambitionierte Rennradler werden sich auf dem Race-Gravelbike auf Anhieb wohlfühlen. Durch das geringe Gewicht von lediglich 7,7 Kilogramm und erstklassigen Steifigkeiten lässt sich das Kaius spielerisch auf Tempo bringen. Der verlängerte Radstand und viel Gabelnachlauf stabilisieren das in Signalrot lackierte BMC spürbar. Für ein Gravelbike sitzt man zudem ziemlich sportlich-aggressiv im Sattel und greift einen etwas schmäleren Lenker. Mit einer Breite von 400 Millimetern fällt dieser allerdings etwas gemäßigter als beim Kaius 01 One aus.
Das BMC Urs 01 One ist der krasse Gegenentwurf dazu. Die markante Sloping-Geometrie, riesige Bremsscheiben, unzählige Montagepunkte und nicht zuletzt zwei Federelemente verorten das Unrestricted, kurz Urs, klar als Spezialist für Abenteuer. Bemerkenswert ist das Gewicht: Mit 8,9 Kilogramm fällt die Schweizer Interpretation eines Bikepacking-Modells ziemlich leicht aus, vergleichbare Spezialisten sind meist schwerer und kommen an die Zehn-Kilo-Grenze heran.
Highlight ist der enorme Komfort: Dank eines gefederten Vorbaus ist das Urs eines von wenigen Rädern mit gebogenem Lenker, das an der Front Unebenheiten besser absorbiert als am Heck. Bei einer Prüflast von 40 Kilogramm ergibt sich ein Federweg von rund 15 Millimetern. Das System ist vergleichbar mit der Future-Shock-Technologie, die Specialized unter anderem beim Marathonrad Roubaix oder beim Gravelbike Diverge STR verbaut. Der Vorbau, eine Koproduktion von BMC und Komponentenspezialist Redshift, funktioniert wie ein Wippe. Durch zwei integrierte Elastomere lässt sich die Federwirkung an das Fahrergewicht anpassen, insgesamt gibt es fünf Härtegrade. Am Heck kommt ebenfalls ein verformbarer Kunststoff, am Knotenpunkt von Sitzstreben und Sitzrohr platziert, zum Einsatz.
Ganz frei von Kritik ist die sogenannte Micro-Travel-Technologie (MTT) allerdings nicht. Zwar ist das Urs kein Sprintexperte, im Wiegetritt gibt das Federcockpit allerdings nach, wodurch sich die PS weniger zielgerichtet auf die Schotterpiste bringen lassen. Eine Lockout-Funktion gibt es nicht, mit den unterschiedlich harten Elastomereinsätzen lässt sich aber nachjustieren. Besser abgestimmt ist das Hinterbau. Laut BMC liegt das an einer speziellen Gummimischung, die auch in der Automobilindustrie zum Einsatz kommt. Abgerundet wird der Komfortcharakter durch den Aufbau mit Tubeless-Reifen, die sich auf der breiten Carbonfelgen von Zipp auf 45 Millimeter ausdehnen. Mit maximal möglichen 47-Millimeter-Gummis wandelt das Urs endgültig auf den Spuren eines Hardtail-Mountainbikes.
Die Kombination von kleinem Kettenblatt und riesiger MTB-Kassette ist ein weiteres Indiz dafür, dass sich das Urs auch mit voller Zuladung über nahezu jede Steigung drücken lässt. Platz für Gepäck ist dank unzähliger Montagepunkte reichlich vorhanden. Im Vergleich zum Vorgänger bietet ein Staufach im Unterrohr Platz für ein Pannen-Set. Durch einen in die Gabel integrierten Kabelkanal für einen Nabendynamo ist das BMC zudem für Nachtfahrten vorbereitet.
Wesentlich reduzierter dagegen das Kaius. Passend zum Race-Charakter wird auf schwere Federsysteme verzichtet, wodurch der “Rote Blitz” auf Unebenheiten naturgemäß direkter reagiert. Speziell an der Lenker-Vorbau-Einheit kann es auf Holperpisten ordentlich ruckeln. Für mehr Komfort lassen sich jedoch bis zu 44 Millimeter breite Reifen nachrüsten. Spartanisch ist auch das Rahmen-Set, einzig am Oberrohr lässt sich eine kleine Tasche anschrauben.
Nach unseren Tests in Labor und Praxis bleibt als Quintessenz, dass beide Gravelbikes zum aktuell besten Material zählen und Traumnoten einheimsen. Die 1,6 für das BMC Kaius vergaben wir nach aktuellem Messverfahren noch nie, das BMC Urs folgt mit zwei Zehntel Abstand direkt dahinter. Einen Haken gibt’s: die hohen Preise beider Modelle. Mit jeweils 11.999 Euro gehören Kaius und Urs zu den teuersten Geländerädern. Preiswerte Basismodelle sind ebenfalls Mangelware. Das günstigste Kaius aus dem aktuellen Modelljahr wird mit 5999 Euro auf der Website der Schweizer gelistet, das Urs beginnt bei 3799 Euro. Interessantes Detail: Die Schweizer haben mit dem Kaius 01 One auch eine Variante mit der neuen Sram Red XPLR gelistet - zum gleichen Preis wie die LTD-Version.