Sportliche Pedelecs mit Dropbar, also einem klassischen Rennradbügel, sind aktuell die Kategorie mit den meisten komplett neuen Modellen am Markt, quasi der -letzte Sektor, den es zu elektrifizieren galt. Rennräder und besonders Gravelbikes mit Motorunterstützung sind, abgesehen von Spezialmodellen wie Cargobikes, gleichzeitig aber auch die exklusivste und preisintensivste Riege, kosten doch ihre Pendants ohne einen Antrieb schon gut 1.500 bis weit über 10.000 Euro. Die Preisrange bei den sportlichen Pedelecs startet standesgemäß etwa 50 Prozent höher als bei den Biobikes, das aktuelle Limit nach oben liegt sogar -etwas niedriger als beim Profirenner ohne Antrieb. Das liegt aber eher an einer irrationalen Preisexplosion in der Topklasse mit Gewichten unter sieben Kilo. Solche minimalistischen Leichtgewichte lassen sich nicht einfach mit einem Motor aufrüsten, hier mussten Rahmensets komplett neu entwickelt werden, um Antrieb und Akku zu integrieren und gleichzeitig das Gewicht gering und die Steifigkeit hoch zu halten.
Die breite Spreizung der Preise bei Sportpedelecs hat uns neugierig gemacht. Was erhält man für 7.500 Euro mehr? Ein Duell musste her. Herausforderer sollte ein möglichst günstiges Serienrad und echtes Gravelbike und kein mit Dropbar auf Sport gebürstetes Trekkingrad sein. Die 2.899 Euro des Van Rysel stellten zur Zeit des Tests das preiswerteste Rad nach diesen Kriterien dar, auf der Eurobike konnte man auch schon welche um 2.600 Euro sehen. Auf der Gegenseite suchten wir nicht zwangsläufig das Allerteuerste, sondern ein E-Gravel mit maximaler Ausstattung und allen technischen Finessen, aber ohne unnötigen Firlefanz.
Das Cervelo Rouvida war hier nicht nur eines der ersten Modelle, sondern ist auch mit das kompletteste seiner Art. Wichtig war uns neben einem niedrigen Gewicht vor allem eine gute Integration des Motors, gerade in Sachen Gewichtsverteilung, und ein für sportliches Graveln steifer Rahmen. Der ins Unterrohr integrierte Fazua mit vergleichsweise hohem Drehmoment versprach hier einen super Kompromiss aus Kraft und Gewicht. In der Testvariante mit SRAM Force kratzt das Rad die 10.000-Euro-Grenze gerade so. Die Version mit SRAM Red und mehr Carbonteilen läge noch mal 2.000 Euro höher, kann aber keine breiten Gravelreifen aufnehmen! Das Rouvida-Rahmenset ist nämlich nicht nur die Basis für ein E-Gravel-, sondern auch für zwei E-Roadbikes.
Grundsätzlich bieten beide Räder alles, was man bei einem „normalen“ Gravel auch nachfragen würde, mit dem integrierten Licht und Bordcomputer beim Van Rysel und der elektrisch versenkbaren Sattelstütze für schnell anpassbare Sitzhöhe in unterschiedlichstem Gelände beim Cervelo sogar eher mehr. Dass man am Rouvida zusätzlich elektrisch schaltet, ist im Alltag eher ein Gimmick, und erst bei sehr sportlicher Fahrweise in steilerem Gelände helfen die sehr kurzen Schaltzeiten und präzisen -vorgänge.
Der eine Gang mehr im Vergleich zur mechanischen Gravelgruppe des „E-GRVL AF HD X-35“ hat bei E-Bikes wenig positive Auswirkungen. Trotz ähnlichem STI-Wert, Quotient aus Höhe und Länge des Rahmens, sitzt man auf dem Rouvida tatsächlich wie auf einem überdurchschnittlich sportlichen Gravelbike, während Lenker, Vorbau und Steuerrohr des Van Rysel höher aufbauen, was eine alltagstauglichere Haltung ergibt. Dafür sind die Kontrolle des Vorderrads und die Lenkdynamik im Gelände oder bei schnellen Fahrten spürbar träger.
Der günstige Herausforderer will lieber treu geradeaus, der exklusive Platzhirsch hat mehr Druck auf dem Vorderreifen und lässt sich selbst auf losem Grund sehr sicher dirigieren. Seine Reifen liegen trotz eher schmaler Dimensionen satt auf, vermittelt dank anschmiegsamer Seitenwände viel Kontrolle. Das tun die des „Franzosen“ – Van Rysel ist eine Marke von Sportriese Decathlon – auch, allerdings eher durch das griffige Profil. Das kostet auf Asphalt etwas Leichtläufigkeit, die der Heckmotor aber leicht und locker ausgleicht.
Apropos: die Motoren. Die sind recht unterschiedlich, gerade in der Art der Nutzung, wobei beide auf ihre Art und Weise gefielen. Der leise und nicht ganz so durchzugsstarke Heckantrieb im günstigen Rad fühlt sich konstant an wie Mamas Hand am Rücken. Unauffällig helfen die 40 Newtonmeter Drehmoment mit, erzeugen dabei keine Vibrationen und nur minimale Geräusche, super für entspanntes Cruisen im Wald. Der Ausbau des Hinterrads ist dank Steckverbindung am Kabel erfreulich simpel. Wenn es wirklich steil wird – oder bei „Blitzstarts“ an der Ampel –, wirkt der Mahle-Antrieb in der Spitze etwas saftlos, zumindest verglichen mit einem Bosch SX oder dem Fazua 60 des Rouvida.
Den spürt man im Normalbetrieb überhaupt nicht, weil das leichte, aerodynamische Rad selbst so gut läuft, dass man locker die 25-km/h-Grenze für Pedelecs überschreitet. Erst an knackigen Passagen, z. B. durch tiefen Boden oder an Rampen, wenn der Speed sinkt, wird man wie am Gummiband gezogen unterstützt. Der Stabmotor schaltet natürlich nicht ab; wer langsamer fährt, genießt dauerhaft den Support des toll integrierten Systems. Nachteil: Durch den voluminösen Carbonrahmen ist das Rouvida extra leicht und steif, gleichzeitig aber auch ein Klangkörper. Man hört das Surren der Kraftübertragung am Tretlager deshalb etwas eher. Die maximale Power von 450 bei 60 Nm verschiebt die Grenzen des Fahrbaren für jeden Radfahrer. Damit werden Steigungen möglich, bei denen die Schwierigkeit weniger das Treten ist, sondern eher, das Vorderrad noch am Boden zu halten.
Aber legitimiert das den Preisunterschied? Abzüglich der elektrischen Sram-Schaltung und etwas sensiblerer Bremsen am Cervelo sowie der „Dropper Post“-Sattelstütze liegt er bei etwa 6.700 Euro; viel Geld für 50 Prozent mehr Power und 50 Prozent weniger Gewicht. Neben diesen beiden Keyfacts sind es die Details, die den Unterschied sowohl in Sachen Preis als auch Leistung machen. Die sensationellen Übergänge von Rahmen zu Gabel sowie tolle Integration von Antrieb und allen Leitungen ins Rad sind vielleicht nicht essenziell, aber wunderschön und dazu windschlüpfrig und, für Pragmatiker, leichter zu reinigen. Das Van Rysel, dessen leichte Markenbrüder jüngst bei der Tour de France überzeugten, vermittelt ein ähnlich steifes, sicheres Gefühl wie sein Konkurrent, auch auf Highspeed-Abfahrten, aber eben zu Lasten des Gewichts.
Beide lassen sich durch Knöpfe am Unterlenker in andere Fahrmodi schalten. Beim Rouvida sind die ins Lenkerband eingewickelt, bei Decathlon liegt die Schelle nicht ganz so elegant obenauf. Das Van Rysel nutzt wegen des Heckantriebs hinten mehr Speichen, dem kanadischen Cervelo hat man ohne technische Notwendigkeit unterschiedlich hohe, super leicht drehende Luxusfelgen verpasst. Es trägt zusätzlich einen ovalisierten Aerolenker, das Van Rysel einen klassisch runden. Bei Sattel und Lackfinish konnten wir keinen wirklichen Qualitätsunterschied ausmachen – ein Bravo nach Frankreich! In Sachen Passgenauigkeit geht der Punkt übrigens auch dorthin: Hier stehen sechs Rahmengrößen gegen vier, da hat sich der Sportartikelriese bei der Konstruktion wirklich Mühe gemacht.
Natürlich darf man die Fahrdynamik und technischen Daten nicht eins zu eins vergleichen, das macht man auch nicht bei Bentley Continental und Golf Diesel. Die Antwort, welches Rad wir wählen würden, hängt von einer praktischen und einer philosophischen Frage ab: Wo und wie setze ich das Rad ein, und wie sehr brenne ich für mein Hobby? In Zeiten von Leasing, bei dem die Anschaffung nicht ganz so schmerzhaft wiegt, kommt das exklusive Cervelo Rouvida ja sogar für den ein oder anderen realistisch infrage.
Wer in Zukunft mit einem sportlichen Pedelec zur Arbeit heizen möchte, sollte trotzdem eher das Van Rysel E-GRVL wählen. Die Motorpower reicht voll aus, das höhere Gewicht spielt keine dramatische Rolle, die Qualität der Komponenten verspricht viele flotte Kilometer, und Sitzposition sowie Lichtanlage sind sogar ein echtes Plus im Pendlerverkehr. Und auch wenn zum Beispiel die Gewinde für Gepäckträger sehr schräg eingesetzt sind, wird sich sicher ein Modell montieren lassen. Für entspannte Touren bietet sich das Rad also auch an. Wir haben im Test etwas über 80 km mit einer Akkuladung geschafft, sind allerdings auch immer hart an der 25 km/h Grenze geblieben, 110 km sind sicher möglich. Den Fazua-Antrieb des Cervelo konnten wir dagegen gar nicht leerfahren, das Rad lief uns ständig über die magische Grenze hinaus „weg“.
Nach weit über vier Stunden Gravelbiken gab der Testfahrer vor dem Akku auf. Das Rouvida macht dabei so viel Spaß, dass das Fazit für den sportlichen Einsatz als Gravelbike oder E-Rennrad nur lauten kann: Wer sich die 10.000 Euro irgendwie leisten kann, und sei es auf Jahre finanziert, sollte sich dieses Rad gönnen. Mal abgesehen von illegal modifizierten Antrieben und unverkäuflichen Prototypen ist das Cervelo Rouvida das schnellste Pedelec der MYBIKE-Geschichte und zählt recht sicher zu den Top 3 am Markt überhaupt. Während man sich auf dem Van Rysel stets auf einem sehr flotten Pedelec wähnt, fährt sich das Rouvida wie ein Oberklasserennrad, das einem ungeahnte Leistungsreserven beschert. Ob das letztendlich den fast vierfachen Preis rechtfertigt? Hier müssen wir final sagen: für Enthusiasten und Technikfreaks schon irgendwie...