Ein richtig leichtes Rad zu bauen ist ganz schön schwer. Rennradler bearbeiten das Problem schon lange, aber auch Fahrradbegeisterte mit Hang zu reduziertem Design kennen das Spannungsfeld: Leichte und stilvolle Räder leiden nicht selten unter nervigem Nutzwertmangel. Nur wenige Hersteller bringen Leichtbau, Fahrsicherheit und Praxistauglichkeit zufriedenstellend unter einen Hut. Insbesondere Pedelecs leiden unter ihren schweren, voluminösen und selten ästhetischen Antriebskomponenten. Doch seit sich mehr und mehr die Erkenntnis durchsetzt, dass im urbanen Raum das letzte Quäntchen Motorkraft und maximale Reichweite eine nur untergeordnete Rolle spielen, ist der Weg für neue Ansätze breiter geworden. Statt um schiere technische Perfektion darf das City-E-Bike nun auch um schlanke Schönheit ringen. Doch wie sicher und vor allem vielseitig sind die neuen Leichtbau-Pedelecs?
Um unter 20 Kilo zu kommen, mussten unsere fünf Testmodelle gegenüber üppig ausgestatteten Alltagsrädern mit mehreren Strategien abspecken. Die erste davon ist der Verzicht: Ihre Fahrer müssen oft auf Accessoires wie Federelemente, auf hoch belastbare Gepäckträger oder Parkständer verzichten können. Das schränkt die Einsatzmöglichkeiten ein, steigert aber den Fahrspaß. Leichtbau erfordert Kompromisse. Federgabeln und gefederte Sattelstützen sucht man an den Testrädern vergeblich. Sie würden die Räder deutlich schwerer machen. Leichtbau-Fans müssen deshalb auf Komfort verzichten. Die City-E-Bikes fahren sich merklich härter als solche mit Federelementen. Das Mokumono Delta C und das Coboc Kallio rollen immerhin auf voluminösen, 50 Millimeter breiten Reifen. Sie erhöhen den Fahrkomfort.
Außer dem behutsamen Weglassen von Bauteilen bietet es sich an, leichtes Material so einzusetzen, dass Rahmenverbund und Laufräder ausreichend stabil bleiben. Alle unsere Testräder haben Alu-Rahmen – leicht, aber ein paar Hundert Gramm schwerer, als es mit Carbon möglich wäre. Immerhin setzen alle bis auf einen Hersteller im Testfeld auf leichte Gabeln aus Carbon. Sie machen die Rahmen deutlich leichter, als es mit Metallgabeln möglich wäre. Sind die Rahmen-Sets steif genug? Die Labormessung ergibt ein grundsätzliches „Ja“, der Fahreindruck widerspricht nicht. Die City-E-Bikes sind fahrsicher, aber nicht ultimativ steif. Dem Leichtbau und dem Gestaltungswillen mussten bei den beiden leichtesten Testrädern (Ampler und Mokumono) sogar die Schaltungen weichen. Wer Schaltwerk und Ritzelpaket weglässt, spart auch das Gewicht von Schalthebeln und Zügen ein. Beide Singlespeeder ersetzen die Kette zudem durch einen leichten Gates-Carbonriemen. Auch die kleinen Antriebssysteme unserer Testräder sparen deutlich Gewicht.
Sie haben aber auch spürbar weniger Leistung als die üblichen Mittelmotoren normaler Pedelecs. Im städtischen Umfeld ist das verschmerzbar; die reduzierte Leistung fällt auch deshalb kaum auf, weil die Räder bis zu zehn Kilo leichter sind als übliche Pedelec-Allrounder. Für das Fahrerlebnis ist viel bedeutender, dass die leichten und unscheinbaren Hinterradnabenmotoren in den letzten Jahren technisch besser geworden sind. Weil die Sensorik der Antriebe heute deutlich harmonischer abgestimmt ist, fahren sich die Nabenmotoren nun viel kultivierter als früher. Im städtischen Umfeld dominieren kurze Wege und meist flaches Terrain. Deshalb kommen die kleineren Motoren auch mit kleineren und damit deutlich leichteren Akkus aus. Sorgen wegen des geringen Energieinhalts der Akkus müssen sich Fahrer leichter City-E-Bikes nicht machen.
Stilvolle Leichtbau-Pedelecs sind nicht weniger sicher als ihre schweren Pendants. Leistungsreduzierte Low-Assist-Motoren und kleine Akkus genügen im Stadtverkehr. Wegen ihrer reduzierten Ausrüstung sind die Pedelecs jedoch nicht uneingeschränkt alltagstauglich. ~ Uli Frieß, Testredakteur
Auch das hilft den Konstrukteuren trendiger Stylebikes, denn die Energiespender verschwinden unauffällig auch in filigran dimensionierten Rahmenrohren. Nachteil: Sie sind nicht einfach und ohne Werkzeug aus den Rahmen entnehmbar. Das führt zum vielleicht größten Nachteil der leichten Pedelec-Klasse: Weil die Stromspender bei Temperaturen unter fünf Grad deutlich an Ausdauer einbüßen und möglichst nicht bei Temperaturen unter zehn Grad geladen werden sollten, empfiehlt sich im Winter ein warmer Platz zum Abstellen und Laden der City-E-Bikes. Nur das Canyon Commuter:On kann auch den Winter unbedenklich draußen verbringen, denn sein Antriebssystem ist samt Akku mit einem Handgriff aus dem Rahmen entnehmbar und kann im Warmen geladen werden. Digitale Displays fehlen an fast allen Pedelecs. Sie würden die reduzierte Optik der Räder deutlich stören. Stattdessen steuern unscheinbare, in die Rahmenrohre eingelassene Schaltelemente die Antriebe.
Neben druckempfindlichen Tastern zum Ein- beziehungsweise Ausschalten der Motoren informieren LEDs über Akku-Ladestand und angewählte Unterstützungsstufe. Smartphone-Apps, mit denen sich unter anderem die Motorunterstützung den persönlichen Vorlieben anpassen lässt, gibt es für das Ampler, das Canyon, das Coboc und das Mokumono. Eine Sparmaßnahme ging uns im Alltagseinsatz allerdings zu weit: Einen klassischen Gepäckträger gibt es nur am Canyon. Coboc, Excelsior und Mokumono haben lediglich Trägerstreben zur Montage von leichten Packtaschen. Ampler hat auch darauf verzichtet. Dieses Rad und das Canyon haben zudem keinen Ständer.
Vielseitige Alltags-Pedelecs sind die Leichtgewichte nicht. Es fehlt ihnen an Fahrkomfort, Transportkapazität und Winterhärte. Sportlich orientierte Kurzstreckenfahrer mit einer warmen Abstellmöglichkeit im Winter werden mit den spritzigen Stadtflitzern hingegen viel Spaß haben.
Das extrem leichte Ampler Curt ist eine typische Spaßmaschine im Singlespeed-Stil. Der harte Sattel thront deutlich über dem geraden Lenker, man sitzt sportlich-gestreckt. Eine starre Carbongabel mit Steckachse versteift die Front, damit lenkt sich das Rad sehr direkt. Mit nur 32 Millimeter Breite tragen die Reifen zum agilen Fahrverhalten bei. Die lange Übersetzung verhindert dynamische Ampelstarts sowie sportlich-flotte Antritte. Weil der Nabenmotor etwas verzögert auf den Pedaldruck reagiert, fordern Starts an Steigungen zudem hohen Krafteinsatz. Das Motor-Bedieninstrument haben die Konstrukteure tief am Sitzrohr angebracht, während der Fahrt ist es kaum gefahrlos zu erreichen. Gut: Der Motor stoppt sofort, wenn man aufhört, zu treten. An Verarbeitung und Ausrüstung gibt es nichts zu bemängeln. Hydraulische Scheibenbremsen mit Zwei-Finger-Hebeln aus Shimanos Deore-Baukasten unterstreichen den sportlichen Charakter, die Beleuchtungsanlage mit dezentem Scheinwerfer und zwei Rücklicht-LEDs in der Sattelstütze sowie ein Gates-Riemen statt Kette passen sehr schön zur klaren Linie des Ampler.
Minimalistisches Design und aufgeräumte Optik prägen die aktuelle Pedelec-Palette von Canyon. Weder Kabel noch Züge stören die aufgeräumte Optik des Commuter:On 7. Besonders gelungen ist die Front mit starrer Carbongabel und Steckachse sowie dem integrierten Vorbau mit angeschweißtem Lenker. Die Rahmenfront ist sehr verwindungssteif, das Canyon steuert sich direkt und präzise. Dazu trägt auch die Vorderrad-orientierte Sitzposition bei, auf den Handgelenken lastet deshalb leider auch viel Gewicht. Der Fazua-Evation-Mittelmotor beschleunigt mit nachdrücklichem Schub, hält sich bei konstanter Geschwindigkeit aber auffällig zurück. Das kommt einem natürlichen, sportlichen Fahrverhalten entgegen und der Reichweite zugute. Wer das Canyon gerne antriebslos bewegen möchte, kann die Motoreinheit mit wenigen Handgriffen aus dem Unterrohr nehmen. Das Pedelec wird so zum normalen Fahrrad und gut drei Kilogramm leichter. Das Commuter:On ist schön verarbeitet und ansprechend ausgerüstet, die Gänge wechselt ein Highend-12fach-XT-Schaltwerk von Shimano.
MYBIKE-Testsieger 6/2021
Mit dem Kallio RGD ist Coboc ein außergewöhnliches Pedelec gelungen. Es verbindet tolles Design mit ansprechenden und sicheren Fahreigenschaften bei niedrigem Gewicht. Um die Zentralrohrrahmen von Tiefeinsteigern ausreichend steif zu bekommen, verarbeiten Konstrukteure normalerweise überdurchschnittlich viel Material. Das macht die Pedelecs schwer. Für einen Tiefeinsteiger ist das Coboc mit 18 Kilogramm erstaunlich leicht. Trotzdem rollt das Pedelec ohne jegliche Flattertendenz oder nervöse Reaktionen auf Lenkimpulse agil und wendig. Seine voluminöse Bereifung macht das Kallio nur geringfügig komfortabler als die Konkurrenz im Testfeld, auch ihm fehlen jegliche Federelemente. Dafür ist die Sitzposition aufrecht und bequem, Ergogriffe entlasten die Handgelenke. Der hauseigene Antrieb reagiert spontan und gut kontrollierbar auf den Pedaldruck, stoppt aber spürbar verzögert, wenn man aufhört, zu treten. Das ist etwas gewöhnungsbedürftig. Zur Motorbedienung gibt es eine schmale, druckempfindliche LED-Leiste auf dem Zentralrohr. Sie ist gut abzulesen und während der Fahrt sicher erreichbar.
Das Urban-E entstammt einer neuen Marke der Fahrradschmiede Hartje. Die Konstrukteure verzichteten auf wenige hochwertige Bauteile wie beispielsweise Carbongabel oder Steckachse; es fehlt jedoch nichts, was ein vernünftiges Pedelec braucht. Der Verbund aus Rahmen und Gabel mit differenzierten Rohrdurchmessern lieferte auf unserem Prüfstand den zweitbesten Steifigkeitswert nach dem Ampler. Das Urban-E fährt sich sicher, das Rad setzt Lenkimpulse spontan um und rollt präzise auf der gewählten Linie. Der Bafang-Nabenmotor spricht verzögerungsfrei auf den Pedaldruck an und schaltet nur wenig verzögert ab, nachdem man aufgehört hat, zu treten. Das kombinierte Motorinstrument am linken Lenkerende ist mit seinen vergleichsweise großflächigen Tastern gut zu bedienen und zeigt die wichtigsten Fahrdaten auf einem digitalen Display. Das Urban-E präsentiert sich optisch nicht ganz so schick und reduziert wie die Konkurrenten im Testfeld, punktet aber mit bewährter Technik, sicheren Fahreigenschaften, guter Verarbeitung und einem sehr interessanten Preis-Leistungs-Verhältnis.
MYBIKE-Tipp: Preis-Leistung 6/2021
Der Monocoque-Rahmen macht aus dem Mokumono einen echten Hingucker. Der Rahmenverbund mit Carbongabel ist befriedigend steif, das Delta C bleibt auch in schnell gefahrenen Wechselkurven spurtreu und gut zu kontrollieren. Der Thun-X-Cell-Antrieb spricht etwas spät an. Deshalb und wegen seiner langen Singlespeed-Übersetzung verlangt das Delta C relativ viel Beinkraft beim Anfahren an Steigungen. Dass der Antrieb mit reduzierter Leistung weiterläuft, solange sich die Pedale auch ohne Krafteinsatz drehen, ist ungewöhnlich, aber kein Nachteil. Bedient wird der Motor seitlich am Steuerrohr, dort gibt es ein Interface mit Tasten zum Ein- und Ausschalten und zur Wahl der Unterstützungsstufen. Kritik verdient die Achsbefestigung des Hinterrads im Ausfallende, die rechte Achsmutter lässt sich nur mit schräg angesetztem Gabelschlüssel lösen. Nach dem Wiedereinbau schleift das im senkrechten Ausfallende bis zum Anschlag nach oben geschobene Laufrad am Schutzblech. Gut gefallen hat uns die Ausrüstung mit Frontträger, Brooks-Cambium-Sattel, Supernova-Beleuchtung und Gates-Riemen statt Kette.
Testsieger Canyon leistet sich keine größeren Schwächen und punktet mit seinem innovativen Fazua-Antrieb und dem größten Einsatzspektrum. Das zweitplatzierte Ampler überzeugt durch sein außergewöhnlich niedriges Gewicht bei gleichzeitig hoher Fahrsicherheit. Beachtenswert ist das gute Preis-Leistungs-Verhältnis des Excelsior Urban-E.
Verglichen mit üblichen Schwergewichten, haben die leichten City-E-Bikes nur scheinbar ein Reichweitenproblem. Berücksichtigt man übliche innerstädtische Distanzen, kommen die Räder mit einer Akkuladung ausreichend weit. Die Gewichtsersparnis durch die kleineren Energiespender macht durchaus Sinn. Nachteilig ist, dass sich mit Ausnahme des Canyon die Akkus zum Laden nicht einfach aus den Rahmenrohren entnehmen lassen. Die Pedelecs sind deshalb in der kalten Jahreszeit für all diejenigen nur eingeschränkt nutzbar, die keinen warmen Abstellplatz haben.