Das “Damenrad” mit seinem tief gezogenen Rahmenrohr sollte einst unschicklich hoch geraffte Kleider oder Röcke vermeiden und Frauen ermöglichen, in den Sattel zu kommen, ohne ein Bein über ihn schwingen zu müssen. Die Entwicklung des oberrohrfreien Rahmens aus diesen Gründen war nachhaltig: Noch in den 1970er Jahren bot man sogar im Rennradbereich Frauenmodelle mit tiefem Oberrohr an. Schon früher aber wurde der Aufsteigekomfort bei häufigem Stop-and-Go geschätzt. Trotzdem hört der Händler heute noch oft von Männern: “Ich kauf mir doch kein Damenrad!” Die Industrie arbeitetet mit coolen Formen und Designs gegen die Zuschreibung als Frauenrad. Was sprach technisch dagegen, das Oberrohr tiefer zu ziehen? Früher die fehlende Steifigkeit des Rahmens. Vor allem beim bis in die 90er gebräuchlichen Stahlrahmen führte sie zu unerwünschten Schwingungen und sogar zu Lenkerflattern.
Das E-Bike hat vieles verändert und wie nebenher auch dieses Problem angegangen. Denn Akku- und Motorgewicht führten dazu, dass Rahmen stabiler gebaut werden mussten. Zuletzt hat auch die Integration des Akkus dazu beigetragen, dass viele Tiefeinsteiger trotz fehlenden Oberrohrs nun steifer fahren. Wir haben unsere fünf Räder durch einen Slalom-Parcours gejagt, sind Gefällstrecken hinuntergeprescht und mit 25 Kilogramm schweren Packtaschen um die Ecken gestochen. Ergebnis: Ohne Gepäck spürte man bei keinem unserer Testräder einen deutlichen Handling-Unterschied zum “Herrenrad”. Mit aber durchaus! Das Kettler und das Giant können das fehlende Oberrohr bei dieser brachialen Behandlung gefühlt am wenigsten verhehlen. Sicherheitsrelevant ist das aber nicht, denn spätestens mit beiden Händen am Lenker verebben aufgekommene Schwingungen.
Allerdings steuern auch einfache Federgabeln zum unruhigen Lauf bei. Sie nehmen Schwingungen eher auf als Starrgabeln. Für den City-Einsatz muss eine Federgabel übrigens nicht unbedingt erste Wahl sein, wenn man sich im unteren Preisbereich bewegt, da sie meist ein hohes Losbrechmoment haben, also eher schlecht ansprechen. Breite Reifen, mit etwas weniger Luftdruck gefahren, können hier sogar komfortabler sein, vor allem auf City-Kopfsteinpflaster. Federsattelstützen, wie am Giant und Kettler verbaut, helfen dabei, Fahrbahnstöße zu verringern.
Günstige Federgabeln treiben leider das Gewicht weiter nach oben. Dass dagegen hochwertige – und kostspieligere – Gabeln und Federelemente Komfortgewinn bringen, wie etwa am Moustache und am Victoria, ist dagegen unbestritten. Apropos Gewicht: Unsere Räder sind fast alle schwere Brocken mit rund 30 Kilogramm Gewicht. Heißt: Spätestens auf der Kellertreppe hört der Komfort mit unseren Tiefeinsteigern leider auf – eine ebenerdige Unterstellmöglichkeiten oder ein Aufzug sind daher Voraussetzung.
Dass Tiefeinsteiger nicht gleich “Oma-Rad” heißt, verdeutlichen die Sitzgeometrien unserer Bikes. Von sportlich am Victoria über gemäßigt auf dem Bergamont bis hin zum aufrechten Kettler, Moustache und Giant geht die Range. Grundsätzlich sitzt man auf allen Rädern gut, was auch am verstellbaren Vorbau der Modelle liegt. Die Sitzposition sollte sich am Einsatzbereich des Rads orientieren.
Das gilt auch für Sattel und Lenkerform. Da ist der weiche Sattel am Kettler durchaus für die City-Strecke passend, dürfte aber bei Touren zu breit ausfallen. Da braucht es einen Sattel, der sich mehr am Sitzknochenabstand des Radlers orientiert – der Händler hilft da gern weiter.
Im Bereich Motoren ist Bosch derzeit omnipräsent, lediglich am Giant unterstützt ein Yamaha-/Giant-Motor. Der Sync Core ist zwar etwas schwächer als die Varianten des Performance-Line-Antriebs aus Stuttgart, doch hat er sehr angenehme Allrounder-Fähigkeiten und passt gut zum Rad. Die Batterien bieten Kapazitäten von 500 bis 750 Wattstunden. Auch hier sollte gelten: Ans Gewicht denken! Wer für die City keine Superreichweiten braucht, kann mit kleineren Batterien rund 1,5 Kilogramm sparen.
Neben dem Komfortanspruch sollten unsere Testräder genügsam in Sachen Wartung sein. Daher waren Nabenschaltung und Riemenantrieb Test-Voraussetzungen. Zwei Bikes schalten sogar noch komfortabler ganz stufenlos mit der Enviolo-Nabe. Der Riemen hält oft ein Vielfaches der Kette – bis zu 30.000 Kilometer. Er muss praktisch nicht nachgestellt werden und ist deutlich schmutzunempfindlicher.
Gleiches kann man von Nabenschaltungen sagen. Sie sind außerdem angenehm zu bedienen und harmonieren besser mit den Motoren als Kettenschaltungen. Fünf Gänge reichen für die City, für Touren sind Sieben- oder Achtgangnaben sinnvoller. Der Riemen verlangt nach einem speziellen Rahmendesign: Der Hinterbau muss eine Öffnung haben, um den unteilbaren Antriebsstrang montieren zu können. Mittlerweile lösen das alle Hersteller souverän. Besonders gut gefallen hat uns das bei Kettler, wo die Achsaufnahme als komplettes Modul in eine “Lücke” des Hinterbaus eingeschoben ist.
Die Rahmen selbst sind heute verarbeitungstechnisch auf einen enorm hohen Niveau. Das Moustache ist ein Spezialfall, doch haben alle unsere Räder einen hochwertig und schön verarbeiteten Alu-Rahmen. Die Preise der Räder gehen von 3899 bis 4899 Euro plus einem Ausreißer mit 6299 Euro, den wir als besondere Innovation vorstellen wollten. Auch wenn wir einen Testsieger küren: Es ging uns auch darum darzustellen, wie leistungsfähig Tiefeinsteiger heute sein können.
*Die Reichweitenangabe bezieht sich auf mittleren Unterstützungsmodus oder “Auto”-Modus bei aktivem Fahrstil und Gelände mit geringen Steigungen. Es sind grundsätzlich Näherungswerte.
Unsere Tiefeinsteiger sind keine Lastenräder. Potenzielle Ausnahme: Das Bergamont E-Horizon. An den vier Ösen am Steuerkopf kann man einen stabilen Korb befestigen. Ansonsten ist der Gepäckträger die wichtigste Transport-Option. Für Allrounder optimal: ein belastbarer Träger mit zweiter Reling – für einen tiefen Schwerpunkt bei Gepäcktaschenmitnahme. Eine Federklappe wie am Kettler oder ein Gummi-Expander (Giant) erlaubt beispielsweise, schnell die ausgezogene Jacke unterzubringen. Ist das Ganze dann noch ein Systemträger wie am Giant oder Victoria, lassen sich Boxen, Körbe oder auch spezielles Zubehör der mit dem Systemhersteller verpartnerten Firmen ruckzuck montieren. Praktisch! Aber Achtung beim zulässigen Gesamtgewicht: Beim Bergamont mit 130 und dem Moustache mit 135 zugelassenen Kilogramm wird’s eng: Bei 25 Kilogramm auf dem Träger und 30 für das Fahrradgewicht sollte der Fahrer kein Schwergewicht sein.