Rad-Exoten6 Citybikes mit unterschiedlichem Charakter im Test

Timo Dillenberger

 · 25.10.2024

Es ist orange, es ist superflink, und es ist brandneu! Mit seinem ersten 20-Zöller hat Faltradplatzhirsch Brompton neue Ufer betreten.
Foto: Helge Tscharn
Nicht auffallen um jeden Preis, sondern zweckgebundene Andersartigkeit war das Motto bei der Auswahl der Citybikes zu diesem mal ganz anderen Test. Drei Paare von Exoten für das moderne Stadtleben sind wir testgefahren, darunter mögliche Ikonen urbaner Mobilität.

Das Produkt Fahrrad treibt viele wunderbar bunte Blüten – trotzdem sieht man auf den Straßen und in den Fahrradständern zum überwiegenden Teil sich sehr ähnelnde Modelle. Ob in der Farbgebung, der Bauart des Rahmens, in Sachen Radgeometrie oder Ausstattung, hat sich da ein Bild manifestiert. Dabei sind exotische Designs und originelle Teilekombinationen manchmal nicht nur Ausdruck von Individualität, sondern haben auf ihrem Spezialgebiet ganz klare Vorteile gegenüber Standardbikes. Dass sogar Falträder ganz legitime und vollwertige Stadträder sein können, darüber war sich selbst das Redaktionsteam nicht einig oder sicher – vor dem Test.


Das sind die Citybikes aus dem Test


Durchmischtes Testfeld der Citybikes

Die zwei Vertreter in diesem Feld gehören zur neuesten Generation der Gattung, das Brompton “G Line” musste für die Testfahrten sogar abseits belebter Gefilde bewegt werden, da zu der Zeit noch ein Embargo für Veröffentlichungen bestand. Durch die jetzt 20 Zoll großen Räder entstand ein Vergleich auf Augenhöhe mit dem Tern BYB, bis dahin eine, wenn nicht DIE Benchmark in diesem Segment. Mit den zwei “Zwergen” war eines von drei geplanten kleinen Duellen gesetzt. Ein zweites Rad gegen Rad Match sollte eher im sportiven Bereich stattfinden.

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Starker Auftritt: Die voluminösen Reifen geben dem G-Line nicht nur Charakter, sondern auch Grip.Foto: Helge TscharnStarker Auftritt: Die voluminösen Reifen geben dem G-Line nicht nur Charakter, sondern auch Grip.

Auf der Suche nach Modellen mit City-Ausstattung, aber Geometrie, Linienführung und Gewicht eines Sportlers war die Auswahl recht schnell klar. Das BMC 257 mit seinem integrierten Licht und den tollen Farbkontrasten ist dabei ein hierzulande selten gesehener Kandidat; in seiner Heimat, der Schweiz, sieht man es wohl öfter. Nicht ganz so auffällig ist sein Gegenüber aus dem Hause Cube. Das Hyde wirkt dagegen fast spießig, seine Kombi aus sportlicher Sitzhaltung, den ultradicken leicht laufenden Pneus und der Nabenschaltung macht es aber zum Wolf im Schafspelz – superflink auf den allermeisten Terrains.

Schnelltransport: Der perfekt passende Lowrider und die cleveren Cube-Taschen kosten das Rad selbst beladen kaum etwas von seiner Dynamik.Foto: Helge TscharnSchnelltransport: Der perfekt passende Lowrider und die cleveren Cube-Taschen kosten das Rad selbst beladen kaum etwas von seiner Dynamik.

Exoten unter den Rad-Exoten

Die Überschrift für unsere dritte Paarung war schwer zu formulieren. Exoten unter den Exoten, super mutige Aufbauten, top Technik meets top Design, so unsere Arbeitstitel. Sich präsentieren sollte ein extrem schickes und cleanes Rad auf Basis eines Gravelbikerahmens. Das oder der Wilhelm von Schindelhauer kommt in vielen Varianten daher, aber die in unseren Augen mit Abstand originellste, schönste und auch praktischste Aufbauvariante war die als unverwüstlicher Commuter mit Pinion-Getriebe, Dropbar und dem schicken Frontträger für Rucksack und Co. Solch ein Frontträger ist auch designtechnisches Kernelement des letzten Kandidaten.

Das topmoderne Stahlbike namens Hobo ist für einen Großserienhersteller wie Rose ein echt gewagter Schritt, dazu gibt es das Bike mit richtig knalligen Farben und Kontrasten und neben klassischen Schaltungen wie Deore und GRX sogar mit einer funkgesteuerten Sram-Rival-Schaltung. Diese “wunderbar unvernünftige” Kombi aus super robustem Stahlflizer und topmoderner Technik gefiel aber offenbar nicht nur uns, sondern auch den Kunden. Zum Test stand tatsächlich nur die mechanische Schaltvariante bereit. Das Rad interessierte uns aber allgemein sehr, also her damit!

Ohne Vergleich im Test der Citybikes

Trotz der gemeinsamen Arbeitstitel und der kleinen Paarduelle innerhalb dieser Geschichte – das ist kein üblicher Vergleichstest, dazu sind die sechs Modelle einfach zu unterschiedlich, was Technik, Preis, Einsatzspektrum, Ausstattungsoptionen und Fahreigenschaften angeht. Um nicht “aus Versehen” Äpfel mit Salat zu vergleichen, haben wir auch auf jegliche Benotung oder Kategorisierung verzichtet. Wenn nicht, hätte sich darunter sicher auch eine Darstellung des Hingucker-Effektes oder der Sympathiewerte befunden. Selbst an den abgelegenen Orten, an denen wir das nagelneue Brompton ausprobiert haben, fiel es auf, nicht nur durch sein knalliges Orange.

Es ist orange, es ist superflink, und es ist brandneu! Mit seinem ersten 20-Zöller hat Faltradplatzhirsch Brompton neue Ufer betreten.Foto: Helge TscharnEs ist orange, es ist superflink, und es ist brandneu! Mit seinem ersten 20-Zöller hat Faltradplatzhirsch Brompton neue Ufer betreten.

Dass ein Rad, das gefaltet nur knapp nicht ins Handgepäck passt, so vollwertig ausgestattet sein kann und auch in Sachen Fahrperformance nicht großartig gegen 28-Zöller abfällt, löste viel wohlwollendes Staunen aus. Das Hobo-Testbike polarisierte sowohl Testfahrer als auch Zaungäste. Der wuchtige Frontträger verzerrt die Proportionen des an sich schlanken Rades. Mal vom praktischen Nutzen des stabilen Trägers abgesehen, gewöhnten sich zwei von drei Involvierte binnen Minuten an diese “Frontlastigkeit”. Und sowohl in der Mode als auch im Automobilsektor mauserten sich anfangs ähnlich belächelte Designs später zu Designprunkstücken. Wie sich das Rad damit fährt, ist eine andere Sachen, aber wer auch immer Produktmanager vom Hobo war, Respekt vor so viel Mut!

Citybikes: Viele Wege durch die Stadt

Beim Begriff Citybikes denkt man schnell an aufrechte Sitzhaltung, Nabenschaltung, tiefen Einstieg, Drahtkorb vorne, kurz übersetzte Gänge und eher wenig Emotionalität. Für die entspannte Fahrt aus der Tiefgarage zum Bäcker, für den Weg in einen Park oder den Besuch von Freunden drei Blocks weiter passt das ja auch. Aber der Alltag mit Rad hat sich so gewandelt. Der Weg zur Arbeit bedeutet oft Zeitdruck, da könnte man ein schnelleres Rad brauchen.

Viele Städter haben keinen festen Stellplatz und müssen das Rad treppauf, treppab tragen, für den Verzicht aufs Auto reichen fünf Kilo Traglast eines klassischen Frontkorbs nicht mehr aus, längere Wegstrecken könnte man mit Zug und Bus erleichtern, wenn das Rad darin mitkäme, und mit oder ohne Pkw, das Rad mausert sich immer mehr zum Statussymbol oder vielleicht besser zum Produkt, mit dem man ein Stück weit seine Persönlichkeit ausdrückt. Und genau für all diese gar nicht seltenen Fälle sind unsere City-Exoten wie gemacht. Der Ausdruck Exoten ist genau genommen sogar falsch; die Räder sind nach unserer Meinung eher fortschrittlich als exotisch, eher durchdacht als spleenig, eher superpraktisch als verrückt.

Alltagsproblem gelöst: Falträder sind deutlich leichter durch Menschenmengen zu bewegen.Foto: Helge TscharnAlltagsproblem gelöst: Falträder sind deutlich leichter durch Menschenmengen zu bewegen.

Drei unterschiedliche Typen von Citybikes

Citybikes: Typ sportlich, praktisch, stabil

Es hat neben der Imagefrage auch einen ganz praktischen Grund, warum man sogar in den Städten zum großen Teil Gravelbikes als Commuter sieht. Ob mit Schutzblechen und Licht oder “nackt”, die Kombi aus Geländesportler und Anzugträgern ist heutzutage keine Seltenheit. Wer kein schnelles Pedelec anschaffen und ins Büro oder den Keller wuchten will, kann damit nämlich Zeit und oder Kraft sparen. Ein sportliches Rad bringt im Gegensatz zum klassischen Citybike über den Daumen eine halbe Minute pro Kilometer, echt viel, wenn man mal wieder spät dran ist.

Ihr Nachteil: Die Sitzposition ist teils zu sportlich, weniger für den Fahrer oder die Fahrerin, eher für die Kleidung. In einer schicken Jacke oder einem Jacket spannt sich der Stoff am Rücken schon bedenklich. Außerdem ist die obligatorische Kettenschaltung eines Gravelbikes für ein Alltagsrad vielen zu pflege- und wartungsintensiv. Da kommen Bikes wie unsere “Stadtsportler” ins Spiel. Alternativ zu den beiden war uns noch der “Commuter 7” von Canyon eingefallen oder das Rose “Backroad” mit dem Flatbar, beide waren aber erst in den letzten Monaten im MYBIKE Test.

Das Testfeld: BMC 257 und Cube Hyde

Das Prinzip hinter den beiden getesteten, dem BMC “257” und dem Cube “Hyde” ist schnell erklärt, man verbaut Komponenten mit großen Wartungsintervallen und hoher Resistenz gegen Wetter und Schmutz an Rahmensets, die sowohl deutlich leichter sind als übliche Cityrahmen und dazu eine Haltung erlauben, die um einiges effizienter zu Treten ist und durch mehr Last auf dem Vorderrad auch schnellere Kurven mit ausreichend Sicherheitsreserve zulässt. Im Test ließ man mit beiden Modellen bei jedem Ampelstart die aufrecht sitzenden Pendler weit hinter sich.

Das Hyde ist das unauffälligste der sechs Citybikes, zumindest im Stand. Könnte in Sachen Diebstahlschutz sogar von Vorteil sein.Foto: Helge TscharnDas Hyde ist das unauffälligste der sechs Citybikes, zumindest im Stand. Könnte in Sachen Diebstahlschutz sogar von Vorteil sein.

Dieses Plus an Effizienz kann man entweder für Zeitgewinn einsetzen, oder man fährt gleichschnell aber mit weniger Kraftaufwand und Schweiß. Mit den großen Bremsscheiben und den fetten Reifen würden wir unsere “Stadtsportler” sogar als sicherer einschätzen als die allermeisten Citybikes. Und, das gilt auch für die nachfolgenden Modelle, es ist ein weit verbreiteter Irrglaube, dass komplett aufrecht zu sitzen, gesünder für den Rücken sei. Das Gegenteil ist der Fall. Schläge vom Hinterrad, die durch den Sattel senkrecht in den Fahrer geleitet werden, gehen mit leichter Oberkörpervorlage sozusagen am Rücken vorbei, während die Kräfte in komplett aufrechter Haltung in die Wirbelsäule weitergeleitet werden. Die Stützlast für die Hände ist bei der Gattung Stadtsportler mit geradem Lenker auch nicht problematisch.

Citybikes: Typ wandelbar, praktisch, kompakt

Klapp- und Falträder leiden seit langem unter dem Image, genau das nicht zu sein, kein bisschen sportlich, Rädern mit 26 oder 28 Zoll-Felgen hoffnungslos unterlegen, was Effizienz und Beherrschbarkeit angeht, und auch Stabilität spricht man ihnen allzu schnell ab. Modelle wie das ultrakompakte 16 Zoll Brompton, das gefederte Birdy und zuletzt die leichten von Tern haben dem zwar entgegengearbeitet, aber einmal gesät halten sich solche “Gerüchte”.

Heute kein Weltrekord: Etwa 20 Sekunden brauchten wir zum Falten des Citybikes, der WR steht bei 4,1.Foto: Helge TscharnHeute kein Weltrekord: Etwa 20 Sekunden brauchten wir zum Falten des Citybikes, der WR steht bei 4,1.

Aber warum sollte man sich überhaupt ein Rad für verhältnismäßig viel Geld kaufen, dessen Vorteile im Transport und nicht im Fahren liegen? Pendler, die die Öffentlichen und das Rad kombinieren, werden hier Lobeshymnen singen. In eine Tasche gepackt kosten Falträder kein extra Ticket, man erfährt nicht die hasserfüllten Blicke der Mitfahrer, wenn man ein ausuferndes Stadtrad in den Wagon schiebt, und durch das Gewusel am Bahnhof kommt man mit den Kleinen zum Trolley zusammengefaltet auch viel besser.

Das Testfeld: Tern BYB und Brompton G Line

Sie passen in jeden Kofferraum, wenns zum Ausflug geht, sie können sicher und trocken unterm Schreibtisch oder der Garderobe stehen, während sich andere Sorgen um nasse Sättel, rostende Ketten und Langfinger machen müssen. Falträder sind saupraktisch – und in den neuesten Gegerationen nicht mal mehr so viel “weniger Fahrrad” als früher. Unsere zwei Test-Citybikes sollten zusätzlich zum Markenduell einen Vergleich zwischen den 20-Zoll Rädern am Tern und den 16-Zoll Versionen liefern, die seit jeher standardmäßig an Bromptons verbaut sind.

Das Tern ist dank seiner Geometrie und der Reifen etwas langstreckentauglicher. Im runden Softbag verbirgt sich eine selbstentfaltende Tasche.Foto: Helge TscharnDas Tern ist dank seiner Geometrie und der Reifen etwas langstreckentauglicher. Im runden Softbag verbirgt sich eine selbstentfaltende Tasche.

Lange war eine große Neuheit von deren Seite angekündigt, dass dann aber das „G Line“ mit den breiten 20-Zöllern bei uns eintrifft, darauf hätten wir nur wenige Euros gesetzt, eher auf eine Elfgang-Nabenschaltung oder Leichtbauversion. Dass die Traditionsmarke hier angestammte Gefilde verlässt, ist vergleichbar mit einem Wechsel von Ford zum Motorradbau. Schließlich ist das neue Brompton in gefaltetem Zustand nicht ganz so rekordverdächtig klein, das Verhältnis aus Fahreigenschaften und “Packmaß”, der Gradmesser für diese Bike-Klasse nach unserer Meinung, ist aber nach einer Woche mit dem Rad besser einzuschätzen als bei den Modellen mit kleinen Rädern.

Citybikes: Typ anders, praktisch, hightech

Wenn man mit einem knallorgangen oder pfeilschnellen Faltrad schon auffällt, dann erst recht mit einem Exoten, der sowohl von seinem Design als auch von seiner Ausstattung her gleichermaßen aus der Masse heraussticht. Und genau diese beiden Komponenten bieten unsere zwei letzten Kandidaten. Beiden kombinieren auf ihre Art einzigartige Designelemente mit für die Stadt wirklich praktischen Bauteilen, dabei könnten sie unterschiedlicher kaum sein – auch die beiden Firmen, denen sie entstammen, nicht.

Das Testfeld: Rose Hobo und Schindelhauer Wilhelm

Das “Hobo” kommt von Großserienhersteller Rose. Dass man da eben nicht nur für die breite Masse baut, zeigt das mutige Stahlrad mit seiner schlanken Linie. Angelehnt an die bei Radkurieren und besonders bei jungen “Intellektuellen” beliebten alten Rennradrahmen der 80er kommt das Rad sehr clean aber mit knalligen Farben daher. Gebrochen wird der Look durch den massiven Frontträger, der allerdings Zubehör und nicht Serie ist.

Das Rad macht so an der Ampel schon Eindruck. Noch mehr, wenn jeder Schaltvorgang vom leisen Surren des Stellmotors der Schaltung begleitet wird, denn: Das “Hobo” gibt es tatsächlich mit einer funkgesteuerten, elektronischen Schaltung. Das hat weniger greifbare Bedienungsvorteile, ist aber einfach ein Statement, eine so moderne Schaltung an ein eher clean und simpel aufgebautes Rad zu schrauben. Richtig viel Sinn ergibt das Pinion-Getriebe an Mitbewerber “Wilhelm”.

Sicher als luxuriös zu betrachten ist es die derzeit robusteste Schaltlösung am Markt, zusammen mit dem Riemenantrieb sind die Wartungsintervalle riesig. Das ganze verbaut auf einem sportlichen Rahmen, der “Wilhelm” ist ein Customaufbau, den es auch als Gravelbike oder Single Speed gibt. Das Rad ist bei weitem nicht so auffällig wie das Rose, Insider erkennen aber sofort dieses Sahnstückchen im wertigen Alurahmen. Der smarte Frontträger unterstreicht: Das ist ein praktisches Rad und gehört in die Stadt! Technik kann also ganz unterschiedlich in Szene gesetzt werden, und genau deshalb bestreiten diese zwei das dritte Duell unseres Tests über praktische Exoten für die Stadt.

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