Thomas Genon über die Red Bull Rampage 2025„Das ist ein Glücksspiel!“

Dimitri Lehner

 · 28.10.2025

Gleich geschafft: noch einen fetten Spin über den Abschluß-Sprung und Thomas Genon rollt unverletzt ins Ziel. Das schafften nicht alle Fahrer dieses Jahr. Leider.
Foto: Christian Pondella / Red Bull
Thomas Genon hat es endlich geschafft: rauf aufs Podium bei der Red Bull Rampage 2025. Für den belgischen Freeride-Profi ist das ein Riesenerfolg, denn die Rampage gilt als die inoffizielle Weltmeisterschaft der Freerider. Wir sprachen mit „Tommy G“ über Gefahren, Style, fehlende Kontrolle, Leistungsdruck und warum die Fahrer freiwillig alles riskieren.

Der Belgier Thomas Genon (32) ist ein Phänomen. Es gibt quasi nichts, was das Bewegungstalent nicht kann. „Tommy G“ wie Genon in der Szene genannt wird. Als Teenager gewann Genon den hochkarätigen Joyride-Slopestyle in Whistler, in der Szene so was wie der Superbowl der Freestyle-Mountainbiker. Tommy G startete beim härtesten Downhill-Race der Welt, der Red Bull Hardline in Wales, ist Videostar und Rampage-Veteran. Nach 12 Teilnahmen bei der Red Bull Rampage gelang dem Belgier nun endlich ein Podiumsplatz: Silber für Genon!

BIKE: Herzlichen Glückwunsch zu deinem Silbermedaillen-Erfolg bei der Rampage. Endlich hast du es geschafft!

Thomas Genon: (Lacht.) Ich bin mir nicht sicher, was ich anders gemacht habe, aber danke dir!

Bei deinem ersten Lauf hast du für viel Aufregung gesorgt, als du direkt unterhalb des Gipfels in einem 360er über die Klippe gesprungen bist. Nur wenige Zentimeter trennten dich von einem gefährlichen Sturz in die Tiefe. Danach musstest du eine gefühlte Ewigkeit auf deinen zweiten Lauf warten. Wie schwierig ist es, einen zweiten Lauf überhaupt zu fahren?

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Thomas Genon: Du kannst nur hoffen, dass der erste Lauf klappt, andernfalls erlebst du einen Stress, der kaum vorstellbar ist. In diesem Jahr musste ich das durchstehen. Man sitzt da oben und hat keine Ahnung, wann der Wind auffrischt – und meistens wird er im Verlauf des Tages stärker. Meine Nerven lagen blank.

Leistungsdruck und Nervensägerei

BIKE: Und währenddessen sitzt du da oben und wartest.

Thomas Genon: Es ist eine wahnsinnige Anspannung. Du sitzt mit den anderen Fahrern dort, aber eigentlich ist jeder für sich allein. Allein mit seinen Gedanken und mit seinem Stress. Das ist ein einzigartiges Erlebnis, das man überstehen muss, glaube mir!

BIKE: In deinem ersten Lauf hast du uns fast einen Herzinfarkt verpasst, als du so nah am Abgrund landetest nach deinem 360er. Hast du das überhaupt bemerkt?

Thomas Genon: Ich habe nur gespürt, dass ich etwas zu weit nach links geraten bin. Das größere Problem war, dass ich vom Kurs abgekommen bin und anhalten musste. Der erste Lauf war also verloren. Aber ich weiß, wie man solche Dinge korrigiert.

BIKE: Moderator Cam McCaul sagte im Livestream: „Oh je, ich will nicht, dass er das noch mal macht!“ Schließlich hätte dir dasselbe passieren können wie Emil Johansson, der die Klippen hinabstürzte.

Thomas Genon: Vermutlich hätte ich den 360er nicht mehr riskiert, wäre Emils Sturz vor meinem Lauf passiert. Doch er startete nach mir.

Schreckmoment: Thomas Genon dreht einen 360er direkt unterm Gipfel und landet nur Zentimeter vom Abgrund entfernt. 10 cm weiter links und er wäre abgestürzt.Foto: Long Nguyen / Red BullSchreckmoment: Thomas Genon dreht einen 360er direkt unterm Gipfel und landet nur Zentimeter vom Abgrund entfernt. 10 cm weiter links und er wäre abgestürzt.

Pokal oder Spital

BIKE: Alle sprechen über die schrecklichen Stürze. Vor allem über den von Adolf Silva. Hast du Silvas Sturz mitbekommen?

Thomas Genon: Ich habe seinen Sturz gesehen und wusste auch, dass er einen Doppelflip über den Drop machen wollte. Ich konnte nicht anders, als hinzusehen. Der Sturz war heftig, doch wenigstens stürzte er auf eine steile Landung. Wir Fahrer hatten keine Ahnung, wie schwer die Verletzungen sein würden. Ehrlich gesagt, dachte ich zuerst, es wäre nicht allzu schlimm. Erst, als ich den Sturz nach dem Wettkampf in Zeitlupe sah, wurde mir klar, dass es schlimmer war.

BIKE: Szymon Godziek flog wie ein Crashtest-Dummy durch die Luft, Silva kann seine Beine nicht mehr bewegen, Emil Johansson wäre beinahe in den Canyon gefallen – ist das Risiko noch tragbar?

Thomas Genon: Wir sprechen hier von sehr unterschiedlichen Stürzen. Emils Sturz war im Grunde gefährlicher als der von Adolf Silva. Grundsätzlich gilt: Jeder kann bei diesem Wettkampf stürzen – und wir haben keine Kontrolle über die Konsequenzen. Emil hätte auch wie Adolf im Krankenhaus landen können. Ich auch, wäre ich noch ein paar Zentimeter weiter nach links gedriftet. Dennoch gibt es Unterschiede. Emil ist bei einem Trick gestürzt, den er eigentlich im Schlaf beherrscht, den er regelmäßig trainiert. Emil hatte schlichtweg Pech. Szymon Godziek hat ohne Frage viel riskiert bei seinem Frontflip-Drop. Doch auch hier gilt: Szymon kann den Trick und hat fleißig zuhause geübt. Im Gegensatz zu Emil und Szymon hat Adolf alles auf eine Karte gesetzt. Jeder, der davon wusste, ahnte, dass es nicht klappt. Ich kann niemandem vorwerfen, wenn er so eine Nummer wagt. Aber wenn du mich fragst, sage ich: Seine Erfolgschance beim Doppelflip über den Drop war gering. Ich habe nicht daran geglaubt.

BIKE: Ist die Rampage zu gefährlich geworden?

Thomas Genon: Wir Freerider haben nur die Rampage. Es gibt kein anderes Event in dieser Klasse. Nur dieses eine Mal im Jahr haben wir die Chance, wahrgenommen zu werden. Wenn du als Worldcupper ein Rennen verpatzt, kannst du es am nächsten Wochenende wieder gutmachen. Wir nicht. Wir müssen ein Jahr warten, vorausgesetzt, wir werden erneut eingeladen. Das erzeugt enormen Druck. Dazu kommt, dass niemand von uns Freeridern 100.000 Dollar im Jahr verdient; die meisten von uns kämpfen, um über die Runden zu kommen. Das führt zu noch mehr Leistungsdruck.

BIKE: Die Branche befindet sich in Schwierigkeiten. Du wurdest z.B. aus dem Canyon Team entlassen, und dennoch bist du mit deinem Canyon Torque gestartet – sichtbar für die ganze Welt oben auf dem Startturm.

Thomas Genon: Im Moment habe ich keinen Bike-Sponsor, das stimmt. Nimm den Sieger: Haydon Zablotny. Ich glaube, auch er hat keinen Bezahl-Deal, weil der Bike-Hersteller finanzielle Probleme hat. Oder Tom Van Steenbergen – er fährt für eine Marke, die auf dem Markt kaum präsent ist. Erst der Vierte, Tomas Lemoine, hat einen richtigen Bike-Sponsor. Das zeigt deutlich, warum wir bei der Rampage alles geben. Der Druck ist groß!

Rampage – als Format noch vertretbar?

BIKE: Nochmal: Bedeutet das, dass die Rampage zu gefährlich geworden ist?

Thomas Genon: Nein! Gebt uns fünf Rampages und alles sähe ganz anders aus. Dann wäre der Druck nicht so immens, und der Stress würde sich reduzieren. Ich bin sicher, wenn es nur einen Downhill-Worldcup gäbe, wäre das Szenario ähnlich. Denn Worldcup-Racing ist im Grunde noch gefährlicher als die Rampage.

BIKE: Adolf Silva, Finley Kirschenmann, Jaxson Riddle – viele Fahrer tragen nicht einmal einen Rückenprotektor.

Thomas Genon: Auch ich trage keinen, weder zu Hause noch bei der Rampage. Ein Rückenprotektor hätte Adolf Silva meiner Meinung nach nicht geholfen. Gegen Stauchungen und Torsionen schützen diese Teile nicht.

BIKE: Zu Beginn hast du das Judging angesprochen und gesagt, du hättest dieses Jahr nichts anders gemacht als sonst. Doch diesmal bist du auf Platz 2 gelandet. Was sagst du zum Judging?

Thomas Genon: Auch das erhöht den Druck auf uns Fahrer. Niemand weiß, was Sache ist. Dieses Jahr bin ich sehr froh mit meinem zweiten Platz. Doch ich glaube nicht, dass mein Run dieses Jahr krasser oder härter war als letztes Jahr. Sprich: Es ist, was es ist – du weißt nie, wie du abschneiden wirst. Auf der anderen Seite, muss man aber auch sagen, dass das Judging super schwer ist. Manche sehen Emil Johanssons Run ganz vorne, andere nicht – letztendlich ist es Geschmacksache.

12 Rampage-Teilnahmen in den letzten 13 Jahren. Meist landete Thomas Genon unter den Top-10, jetzt Platz 2: „Nix anders gemacht!“Foto: Bartek Wolinski / Red Bull12 Rampage-Teilnahmen in den letzten 13 Jahren. Meist landete Thomas Genon unter den Top-10, jetzt Platz 2: „Nix anders gemacht!“

BIKE: Geschmackssache?

Thomas Genon: Na klar. Lass’ uns an einen Tisch setzten! Du, ich und ein paar Rampagefahrer und Journalisten. Da wird jeder seine ganz eigene Meinung haben. Und das erzeugt Druck auf uns Fahrer. Denn ich kann nächstes Jahr nicht bei der Rampage starten und mir vornehmen aufs Podium zu kommen, denn ich weiß nicht, was dann dazu nötig ist. Das ist ein Glücksspiel.

BIKE: Zum Beispiel habe ich Haydon Zablotny nicht auf Platz 1 gesehen. Ich fand deinen Run beeindruckender. Und du?

Thomas Genon: Ich bin ein großer Fan von Haydons Style. Sein Run und seine Linie haben mir sehr gut gefallen. Deswegen habe ich mich sehr für ihn gefreut, dass er es auf Platz 1 geschafft hat. War sein Lauf schwieriger als meiner? Nein, das glaube ich nicht. Aber mir hat gefallen, wie er aussah. In meinen Augen hatte sein Lauf alles: Style, einen kniffligen Start, tolle Tricks von oben bis unten. Als Judge hätte ich ihn auch auf Platz 1 gesehen.

Die Eyecatcher 2025

BIKE: Hast du dir die Läufe der anderen Fahrer im Replay angesehen?

Thomas Genon: Einige davon.

BIKE: Welcher Stunt hat dich am meisten beeindruckt?

Thomas Genon: Jaxson Riddles Back-to-Back-Backflips: Backflip Heelclicker in Backflip Step-Down.

Highlight des Wettkampfs: Backflip Heelclicker von Jaxson Riddle.Foto: Bartek Wolinski / Red BullHighlight des Wettkampfs: Backflip Heelclicker von Jaxson Riddle.

BIKE: Ich fand es beeindruckend, wie Finley Kirschenmann beim Step-Down auf seinen Sattel gestiegen ist.

Thomas Genon: Oh ja, die Youngsters haben einen ganz eigenen Style. Finley, Talus, Jaxson sind absolut New School. Sie scheinen nichts zu tun, was sie nicht auch bei anderen Sessions machen würden. Und deswegen sehen diese Jungs so gut aus.

BIKE: Und du?

Thomas Genon: Wenn ich meinen Lauf im Replay anschaue, sehe ich, dass ich unter immensem Stress stehe. Die Hochspannung hat Auswirkungen. Mein Style ist nicht so sauber wie sonst, weil ich alles gebe und versuche, den verrücktesten Run abzuliefern, den ich kann. Man sieht mir die Anspannung an. Im Gegensatz zu den Jungs, denen man den Fahrspaß ansieht. Letztendlich spiegelt sich das in den Punkten wider, denn die Youngsters bleiben eher in ihrer Komfortzone, während wir anderen darüber hinausgehen. Aber die Jungs sehen ganz sicher cooler und stylischer aus.

BIKE: Tom Isted hat beim Finalsprung eine Cashroll mit dem Bigbike gemacht. Wie schwer ist das?

Thomas Genon: Tom Isted hatte einen verrückten Run. Es ist unglaublich schwer, am Ende nicht zu patzen. Eine Schwierigkeit am Schluss zu zeigen, erfordert Stahlnerven.

BIKE: Wurde sein Lauf unterbewertet?

Thomas Genon: Zum Einschätzen musst du vor Ort sein. Das funktioniert nicht vom Bildschirm aus. Tom begann ziemlich schwach. In dem Bereich, wo die meisten Punkte vergeben werden, startete er, im Gegensatz zu Cam Zink oder Adolf Silva, von einer weniger anspruchsvollen Linie. Das hat ihm das Resultat verhagelt. Trotz einer Cashroll macht das wenig aus.

BIKE: Und auch seine Barrelroll über die Sharkfin?

Thomas Genon: Selbst die Barrelroll kann das nicht ausbügeln. Die hätte in meinen Augen den „Best Trick Award“ verdient. Sein oberer Teil war der am wenigsten anspruchsvolle im Starterfeld.

BIKE: Tomas Lemoine sprang über den höchsten Drop im Rampage-Gelände, den „Stratos“-Drop. Wie hoch war der?

Thomas Genon: Keine Ahnung. Der Stratos-Drop ist ziemlich hoch. Zahlen interessieren mich grundsätzlich nicht. Ich könnte dir nicht mal sagen, wie hoch mein höchster Drop je war. Für mich zählt eher die Schwierigkeit. Nehmen wir meinen Anfangsdrop: nicht besonders hoch, aber extrem anspruchsvoll. Die Landung hängt, liegt zu nah unter der Kippe und ist verdammt riskant – rechts und links lauert der Abgrund.

Eine harte Kalkulation

BIKE: Wie viele Rampages bist du schon gefahren?

Thomas Genon: Zwölf. Seit 2012, also vor 13 Jahren, fahre ich mit. Doch eine Rampage ist wegen Corona ausgefallen.

BIKE: Wirst du nächstes Jahr wieder dabei sein?

Thomas Genon: Auf jeden Fall.

BIKE: Steht ein Rampage-Sieg noch auf deiner Bucketlist?

Thomas Genon: Jeder will gewinnen. Mir geht es nicht um das Preisgeld, sondern darum, etwas zu Großes erreichen.

BIKE: Der Sieger Haydon Zablotny hat 100.000 Dollar und den Ford Raptor gewonnen. Was hast du für deinen zweiten Platz erhalten?

Thomas Genon: Der Zweite bekommt 40.000 Dollar.

BIKE: Nicht schlecht. Solange man es nicht mit anderen Sportarten vergleicht.

Thomas Genon: Man muss bedenken, dass wir Freerider nie solche Summen sehen. Deswegen ist das viel Geld für uns. Aber du musst zuerst aufs Podium kommen. Bei den 12 Rampages, die ich gefahren bin, musste ich immer draufzahlen.

BIKE: Wie sieht da die Rechnung aus?

Thomas Genon: Du bekommst 9.000 Dollar Startergeld. Damit bezahlst du deine Bauteams und Flüge, aber das reicht nicht. Ich habe gestern abgerechnet: Abgesehen vom Preisgeldes, musste ich 3.000 Euro drauf legen – mit Hilfe meiner Sponsoren. So geht es 80% der Fahrer.

BIKE: Glaubst du, dass dich Canyon nach diesem Erfolg wieder als Teamrider engagiert – schließlich war dein Bike in Close-Ups weltweit sichtbar.

Thomas Genon: Das wäre schön. Mal sehen, was passiert.

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