Henri Lesewitz
· 06.04.2022
Das BIKE-Festival in Riva steht vor der Tür. Jetzt noch schnell anmelden und beim Scott Bike Marathon mitfahren. Chefredakteur Henri Lesewitz über die Ronda Extrema.
Blut, Schweiß, Tränen und im Ziel ein unvergleichliches Gefühl von Triumph: Marathons sind die Heldenschmieden der Bike-Szene. Und am 30. April eröffnen wir beim Riva BIKE Festival am Gardasee die Saison. Beim Marathon gibt es 3 Strecken zur Auswahl: Ronda Piccola (30,67 km, 1065 hm), Ronda Grande (59,56 km, 2406 hm) und die Ronda Extrema (82,77 km, 3484 hm). Zusätzlich werden zahlreiche Workshops angeboten: Von Tubeless über Bremsen bis zu Tech Talk für Frauen. Am Sonntag gibt's ein Enduro-Rennen.
Hier entlang, um direkt zur Anmeldung für den Scott Bike Marathon zu gelangen. Auch für einige Workshops der Bike Academy sind noch Plätze frei. Jetzt anmelden!
Dieser Bericht vom BIKE Chefredakteur Henri Lesewitz macht auf jeden Fall Lust, das Ganze selbst auszuprobieren.
Was macht MTB-Marathons so magisch? Marathon-Biker, das sind doch für die meisten bloß Irre, die sich mit Kreuzblick über zu hohe Berge schinden. Diese Ahnungslosen! Unser Autor ging beim letztjährigen Marathon am Gardasee durch die Hölle und fand es ziemlich himmlisch. Die Magie des Schindens – ein Selbstversuch auf der Ronda Extrema.
05:30 Uhr: Hornhaut ist der beste Handschuh. Das sang einst eine Punkband, deren Name zu derb ist, um ihn hier zu nennen. Der Handywecker hat mich kaum wachgepiepst, da huscht mir dieser Satz durch den Kopf. Die ganze Nacht lang habe ich mich hypernervös und mit kaltem Schweißfilm auf der Stirn im Hotelbett herumgewälzt. Doch nun ist es, als hätte sich mit dem Piepen eine Art Hornhaut über das Nervensystem gelegt.
Eine Art Schutzmantel. Ein aus Zeiten der Säbelzahntiger stammendes Phänomen, das den Körper bei Gefahr blitzartig von Angst befreit und so in maximale Leistungsbereitschaft versetzt. Offenbar hält mein Körper den Riva-Marathon für ein gefährliches, sich anpirschendes Raubtier. Gut so. Der Körper funktioniert jetzt wie eine Maschine.
Zwei Stunden bis zum Start. Runter zum Frühstücksraum. Müsli kauen. Stumm. Präzise. Zielorientiert (Kalorien!). Zurück ins Zimmer. Toilette. Flaschen füllen. Anziehen. Mit gekonnten Körperdrehungen in die Träger der Lycrahose einfädeln. Trikot. Helm. Brille.
Dann die Schuhe. Laser-gebohrtes Microtech-Obermaterial. Carbon-Glasfaser-Sohlen. Dual-Boa-S2-Drehverschluss. Mit sanftem Druck schmiegen sich die Highend-Treter an den Fuß. Mit staksenden Schritten runter in den Radkeller. Das Klicken der Pedale macht die Verwandlung zur Mensch-Maschine perfekt. 30 Minuten bis Rennbeginn.
07:20 Uhr: Die beste Euphorie ist die, der etwas Schreckliches vorangeht. Wenn es nach dem mythenumrankten Ruf der berühmt-berüchtigten Ronda Extrema geht, dann wird diejenigen, die heute das Ziel erreichen, ein wahrer Schwall von Glückshormonen durchströmen.
Die 83 Kilometer und 3484 Höhenmeter werden die Leidensfähigkeit Schicht für Schicht offenlegen. Fiese Rampen. Steile Abfahrten. Und dazu ein Untergrund, der sich so schamlos spröde gibt, dass selbst modernste Fahrwerke nicht vermögen, ihn zu bändigen. Genau das macht den Reiz von Marathon aus.
Selbst mit besten Fitness-Werten ist nicht gesagt, dass man das Ziel erreicht. Alles kann passieren. Nur, wenn Körper, Psyche und Material zu einer symbiotischen Hochleistungseinheit verschmelzen, wird man den Zielstrich sehen.
Bis dahin heißt die Wahrscheinlichkeit des Ankommens: definitiv vielleicht. Es muss sich mindestens kippelig anfühlen. Sonst kann man gleich daheimbleiben. Die heitere Mitklatschmusik aus den Boxen, die Partystimmung in die Gassen von Riva blasen soll, steht im harten Kontrast zur konzentrierten Regungslosigkeit in den Startblöcken. Man kann die Anspannung förmlich knistern hören.
"Eine Minute bis zum Start! Ich will die Hände sehen!", peitscht der Moderator die Stimmung an. Das nervöse Röhren der Führungsmotorräder durchdröhnt das Wortstakkato. Startschuss.
Kilometer 5: Beine lügen nicht, und Pulsmesser petzen jede Praline. Der Beginn des Asphaltanstiegs ist der Moment der Wahrheit. Wie ein Sonar versuche ich, jede Tiefenreaktion meines Körpers auf die Steigung zu erfassen. Ist der Grad des Muskelschmerzes noch im grünen Bereich? Wieso reagiert die Atmung so hysterisch? Und warum sehen die anderen im Gegensatz zu mir so locker aus? Diese Tiere!
Die Pandemie hat mich etwas aus dem Tritt gebracht. Es ist mein erster Marathon seit zwei Jahren. Was einer Wiederentdeckung meines Körpers gleichkommt. Obwohl ich regelmäßig Touren mit ähnlichen Eckdaten fahre, fühlt sich ein Marathon anders an. Rauer, fordernder. Was an den anderen liegt. Selbst, wenn man keinerlei Platzierungsambitionen hegt, so orientiert man sich doch an ihnen.
Die Konkurrenz ignorieren? Geht nicht. Weil es deprimierend ist, überholt zu werden. Und weil es wiederum nichts Geileres gibt, jemand anderes zu überholen. Eklig fühlt sich das an, mit Blutgeschmack im Mund an der Gruppe dranbleiben zu wollen und feststellen zu müssen: keine Chance. Egal, meine Gegner sind nicht die anderen. Mein Gegner ist die Strecke. Und dieser Kampf ist noch zu gewinnen.
Kilometer 28: Für die linke Spur zu langsam, für die rechte Spur zu schnell. Es ist, als hätte Pop-Poet Tom Liwa seine berühmte Song-Zeile meinem heutigen Marathon-Auftritt gewidmet. Nach den ersten 1600 Höhenmetern pendelt mein Körpergefühl zwischen Zweifel und Zuversicht. Erfreulich: Die Fahrer um mich herum machen durchweg einen kompetenten, sehnigen Eindruck und tragen Team-Trikots mit Sponsorenlogos. Was darauf schließen lässt, dass ich nicht so langsam bin, wie es mir vorkommt.
Beunruhigend: Die steilen Rampen haben meinen Beinen schon spürbar zugesetzt. Auf die kurzen Stiche der von Raureif bedeckten Malga-di-Vigo-Hochebene reagiert die innere Oberschenkelmuskulatur bereits zickig. Wenn ich so weiterfahre, wird das Desaster nicht lange auf sich warten lassen.
Die hohe Kunst des Marathon-Fahrens ist es, das Tempo exakt zwischen dem roten und dem grünen Bereich auszutarieren. Und zwar auf den Zehntel-Km/h genau. Wofür sich Psyche und Beine erst mal gegenseitig abtasten müssen. Jeder Marathon ist ein Rendezvous mit sich selbst.
Kilometer 45: Ein Bike ist die Faszienrolle fürs Gehirn. Und wenn man in dieser Metapher bleiben will, dann ist die Trail-Batterie des Marathon-Mittelstücks die Version mit Noppen. Die verblockten, scharfkantigen Sektionen haben mich komplett ins Hier und Jetzt katapultiert. Maximale Fokussierung. Keinerlei Störgedanken mehr. Alltag? Probleme? Alles ausgeknipst.
Herrlich und pur ist das, wie die Hangabtriebskraft an einem reißt. Der kleinste Fehler könnte verheerende Folgen haben. Das Wissen um diese Tatsache lädt den Moment mit einer gruseligen, aber auch faszinierenden Intensität auf. Was das betrifft, haben Marathon-Abfahrten viel mit Freeclimbing gemein. Behält man die Kontrolle, ist es das vielleicht Beste, was man erleben kann. Aber wehe, etwas geht schief. Dann Halleluja!
Kilometer 65: Kraft macht keinen Lärm, sie ist da und wirkt. Albert Schweizer, was für ein schlauer Philosoph! Stumm, nur vom Knirschen des Schotters unter den Reifen vertont, arbeitet sich der Pulk der Geschundenen den letzten biestigen Anstieg hinauf. Ich fühle mich völlig groggy und gleichzeitig durchwallt von einem tiefen, wohligen Gefühl des Friedens.
Die Erkenntnis, dass ich es aller Voraussicht nach ins Ziel schaffen werde, lässt die Anspannung von mir abfallen. Zum ersten Mal erlaube ich mir Blicke in die Umgebung. In der Ferne glitzert der Gardasee. Ein ergreifender Anblick. Doch noch liegen 300 Höhenmeter zwischen mir und der finalen Abfahrt.
Normalerweise eine Sache von zwanzig, dreißig Minuten. Nicht aber, wenn einem bereits die Strapazen von fünf Stunden Marathon in den Knochen stecken. Die Beine sind mit der Tagesdosis straff weggekneteter Höhenmeter etwas überfordert. Aber das tut denen mal ganz gut.
Mit eckigen Tritten und im kleinsten Gang würge ich die Kurbel von einer Umdrehung in die nächste. Es ist die Energie aus der tiefsten inneren Hölle, die mich vorantreibt. Eine mentale Detonation, die sämtliche noch verbliebenen Reserven mobilisiert.
Kilometer 82: Das Wort Duden steht nicht im Duden. Und garantiert findet sich dort auch kein Begriff, der imstande ist, den emotionalen Zustand beim Erblicken des Zielbogens zu beschreiben. Die Beine, die Schultern, die Lungenflügel, die Knie, die vor Schweiß brennenden Augen – es ist, als würde ein Ruck der Erleichterung durch alle Körperzellen fahren.
Man hört den eigenen Namen aus den Boxen dröhnen, der vom Moderator so feierlich ins Mikro gerufen wird, als hätte man gerade den Streckenrekord geknackt. Ausklicken, absteigen. Und dann kommt er, der Einschuss der Glückshormone. Ein irres Euphorieerlebnis. Als hätte man gerade den Angriff eines Raubtiers abgewehrt. Und für unsere prähistorisch geprägte Sensorik ist es ja auch ein bisschen so.
Ronda Extrema am Gardasee – die legendäre Strecke des BIKE-Marathon in Riva als Tour
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